Nazi-Verbrechen und Vertreibung Gauck ehrt die Opfer von Lidice
10.10.2012, 20:16 Uhr
Gauck und Klaus an der Gedenkstätte der Kinder von Lidice.
(Foto: dpa)
Bei seinem schwierigen Besuch am Schicksalsort Lidice bei Prag schließt Bundespräsident Gauck kurz die Augen und verneigt sich vor den Opfern eines NS-Massakers. Als erstes deutsches Staatsoberhaupt besucht der 72-Jährige die Gedenkstätte. Hier hatten SS-Einheiten das böhmische Dorf im Juni 1942 zerstört und die meisten Bewohner ermordet.
Bundespräsident Joachim Gauck hat bei seinem Antrittsbesuch in Tschechien die historische Verantwortung für die Verbrechen des Nationalsozialismus hervorgehoben. Gleichzeitig warnte er in Prag davor, die deutsche Schuld mit dem Thema der Vertreibung zu vermischen. Gauck erinnerte an das "Schicksal der unschuldigen Menschen, die nach dem Krieg vertrieben wurden". Dies sei aber bei seinem Treffen mit dem tschechischen Präsidenten Vaclav Klaus nicht erörtert worden, sagte Gauck.
"Wir Deutschen wissen um die tiefen Wunden, die die Besatzung in Ihrem Land hinterlassen hat", sagte Gauck in einer Tischrede. "Wir fühlen mit den Opfern. Und wir ehren die mutigen Tschechen, die Widerstand gegen brutale Unterdrückung leisteten."
Verneigung in Lidice
Am Nachmittag verneigten sich Gauck und Klaus in Lidice gemeinsam vor den Opfern eines blutigen NS-Massakers von 1942. Gauck legte sichtlich bewegt am Ehrenmal der Gedenkstätte einen Kranz und am Denkmal für die ermordeten Kinder von Lidice Blumen nieder. Er kam auch mit einigen der wenigen Überlebenden des Terrorakts zusammen.
Am 10. Juni 1942 hatten Angehörige der Gestapo und des Sicherheitsdienstes in Lidice alle Häuser gesprengt. Etwa 170 Männer wurden als Vergeltung für den Tod des "Stellvertretenden Reichsprotektors" Reinhard Heydrich erschossen, fast 300 Frauen und Kinder verschleppt. Viele von ihnen kamen in Konzentrationslagern ums Leben.
Unterschiedliche Ansichten zu Europa
Klaus betonte auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Gauck, schwerwiegende Probleme zwischen Tschechien und Deutschland seien nicht zu erkennen. Einziges Streitthema war anscheinend die Europapolitik in der Schuldenkrise. Gauck habe bei dem Meinungsaustausch vom Hoffnungspotenzial gesprochen, er nenne das lieber Wunschdenken, sagte der bekannte Euroskeptiker. "Wir respektieren uns gegenseitig so sehr, dass wir nicht versuchen, den jeweils anderen zu überreden", konstatierte Klaus.
Gauck sagte zur Europapolitik, die Lösung der gegenwärtigen Krise werde nur gemeinsam gelingen. Über den richtigen Weg müsse diskutiert werden. "Ebenso wichtig ist es aber, dass wir den Zauber des "Wunders Europa" bewahren."
Erinnerungen an den Mauerfall
Am Nachmittag besuchte Gauck die Deutsche Botschaft in Prag und erinnerte auf dem Balkon des Gebäudes an die Monate vor dem Mauerfall. Am 30. September 1989 hatte der damalige Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher dort Tausende DDR-Bürger darüber informiert, dass sie in die Bundesrepublik ausreisen dürfen. Auch ein Treffen Gaucks mit dem tschechischen Ministerpräsidenten Petr Necas war vorgesehen.
In einem Zeitungsinterview würdigte Gauck die Verdienste des im Dezember gestorbenen Ex-Präsidenten Vaclav Havel. Er sei ein großer Kämpfer für die Freiheit gewesen. Havel habe immer wieder betont, dass man die Freiheit nicht fürchten dürfe, sagte er der Zeitung "MF Dnes". Erst als im Osten Europas die Angst überwunden werden konnte, seien die Mauern und Grenzen in Europa gefallen.
Quelle: ntv.de, dpa