Politik

Türkische Medien beim NSU-Prozess Gericht deutet Einlenken an

In den türkischen Medien wird die juristische Aufarbeitung der NSU-Morde sehr genau verfolgt.

In den türkischen Medien wird die juristische Aufarbeitung der NSU-Morde sehr genau verfolgt.

(Foto: dpa)

Dass türkische Medien beim NSU-Prozess in München nicht dabei sein können, sorgt am Bosporus für Irritationen. Schließlich sind die meisten Opfer des Nazi-Trios türkischer Abstammung. Auf Bitte der Bundesregierung scheint sich das Gericht bei der Vergabe der Plätze nun zu bewegen. Wie eine Lösung aussehen kann, ist aber weiter offen.

Türkische Medien können nun offenbar doch auf Plätze beim NSU-Prozess hoffen. Die Bundesregierung hat sich in Form der Ombudsfrau für die Opfer der Mordserie, Barbara John, eingeschaltet. Sie habe noch einmal mit dem Oberlandesgericht (OLG) München gesprochen, sagte sie der "Passauer Neuen Presse". "Das Oberlandesgericht hat mir zugesagt, die türkischen Medien einzubinden - was auch immer das heißt. Ich hoffe, dass das Problem gelöst werden kann."

Nach derzeitigem Stand soll für das Verfahren, das am 17. April beginnt, kein türkisches Medium einen der 50 reservierten Plätze für Journalisten im Gerichtssaal bekommen. Weil acht der zehn NSU-Mordopfer türkischer Abstammung waren, ist das Interesse aber auf türkischer Seite sehr groß. Das OLG vergab die Akkreditierungen nach eigener Darstellung nach Eingang der Anträge - andere Medien waren schneller als die türkischen.

"Mir wurde gesagt, dass die Zulassung der Presse nach dem üblichen vorgegebenen Verfahren gelaufen ist", sagte John. Offensichtlich sei nicht daran gedacht worden, dass Medienvertreter aus dem Ausland nicht über die Akkreditierungsregeln in Deutschland informiert sein könnten. "Es wäre besser gewesen, den Prozess in einen größeren Saal zu verlegen", meinte John. Das Gericht habe ihr aber gesagt, dass das nicht möglich sei. Wie eine mögliche Lösung des Problems aussehen könnte, ließ John offen.

Kauder fürchtet "Schauprozess" oder "Public Viewing"

Das Akkreditierungsverfahren hatte dem OLG eine Menge Kritik eingebracht. Der Vorsitzende des Rechtsausschusses des Bundestags, der CDU-Politiker Siegfried Kauder, verteidigte das Vorgehen der Justiz dagegen. "Eine Videoübertragung in einen anderen Saal hätte ein bisschen was von Schauprozess und Public Viewing und wäre ein Verstoß gegen die Menschenwürde der Angeklagten", sagte er dem "Kölner Stadt-Anzeiger". "Das geht nicht. Einen größeren Saal gibt es auch nicht." Dass das OLG ausländische Medien nicht bevorzugt behandelt, findet Kauder richtig: "Ob türkisch oder nicht türkisch, danach unterscheidet die Justiz nicht. Im Übrigen wird immerhin die Hälfte der Sitzplätze für Journalisten freigehalten. Die Entscheidungen des Gerichts bewegen sich im Rahmen des rechtlich Zulässigen und Möglichen."

In der Türkei sieht man das anders. Die liberale türkische Tageszeitung "Sabah" prüft sogar eine Klage. "Wir werden alles tun, was rechtlich möglich ist", sagte der stellvertretende Chefredakteur der "Sabah"-Europa-Ausgabe, Ismail Erel. Die "Sabah", die ihren Europa-Sitz in Mörfelden-Walldorf bei Frankfurt hat, hatte wie alle anderen türkischen Medien keinen der 50 reservierten Journalistenplätze im Gerichtssaal bekommen.

Das Gericht hätte wegen der Besonderheit in diesem Prozess die Möglichkeit gehabt, türkischen Medien feste Plätze zu reservieren, sagte Erel. Er verwies dabei auf den Prozess gegen den Fernsehmoderator Jörg Kachelmann. Dabei hatte das Landgericht Mannheim von den 48 Sitzplätzen zehn an Schweizer Medien vergeben mit der Begründung, wegen der Staatsangehörigkeit Kachelmanns seien die Schweizer Medien angemessen zu berücksichtigen.

Der Chefkorrespondent der "Hürriyet", Ahmet Külahci, warf dem Gericht ebenfalls mangelndes Fingerspitzengefühl vor. Zwar könne er sich vorstellen, dass das Akkreditierungsverfahren juristisch und bürokratisch nicht zu beanstanden sei. "Moralisch und ethisch ist es aber nicht zu vertreten, dass keine Medienvertreter aus der Türkei dabei sein können", sagte Külahci den "Ruhr Nachrichten". Das Interesse an dem Verfahren sei in der Türkei sehr groß. "Deshalb sollte das Gericht mehr Sensibilität zeigen", sagte Külahci.

Verein der Auslandspresse plant Protest

Auch der frühere Richter am Bundesverfassungsgericht, Wolfgang Hoffmann-Riem, sprach sich in der ARD für eine Zulassung türkischer Medien aus. Er plädierte für eine Videoübertragung in einen anderen Saal des Gerichts, um allen interessierten Journalisten die Möglichkeit zu geben, den Prozess zu verfolgen. "Ich würde dem Gerichtspräsidenten raten, dass er in sich geht und sich einen Ruck gibt", sagte Hoffmann-Riem. Dabei werde dieser feststellen, dass er eine "zu rigide" Regel erlassen und "nicht alles bedacht" habe.

Der Verein der ausländischen Presse in Deutschland (VAP) zieht zudem einen förmlichen Protest in Betracht. Ich persönlich fände es gut, wenn wir da aktiv werden würden", sagte VAP-Vizechef Pascal Thibaut der "Berliner Zeitung". "Das hätte ein bisschen mehr Gewicht, als wenn sich nur einzelne ausländische Journalisten zu Wort melden, immerhin vertreten wir 400 Kolleginnen und Kollegen in Deutschland."

"Es sieht so aus, als hätte man das Ganze wie einen Verwaltungsakt abgearbeitet", sagte Thibaut. Im Übrigen könne er nicht beurteilen, "inwiefern diese Anmeldegeschichte von ahnungslosen Justizbeamten bearbeitet wurde oder von den Richtern selbst". Thibaut fügte hinzu: "Die Richter sollten auf alle Fälle ein Gespür für die Brisanz der Thematik haben."

Quelle: ntv.de, jog/dpa/AFP/rts

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