Politik

Der "kleinste Fisch" als Sündenbock Gerichtsfarce in Teheran

Clotilde Reiss vor Gericht.

Clotilde Reiss vor Gericht.

(Foto: AP)

Ihren 24. Geburtstag hat Clotilde Reiss in einem iranischen Gefängnis verbracht. Seit sechs Wochen sitzt die blasse, junge Französin in der Islamischen Republik in Haft. Der Iran macht ihr den Prozess, weil sie spioniert und zu Massenprotesten angestachelt haben soll. Ihr Vergehen? Reiss hat mit ihrem Mobiltelefon die Proteste nach der umstrittenen Präsidentschaftswahl im Juni fotografiert und die Aufnahmen nach Frankreich verschickt. Außerdem soll sie einen "Bericht" über die Unruhen verfasst haben. Haltlose Vorwürfe, erklärt die französische Regierung in Paris. Auch Staatschef Nicolas Sarkozy setzte sich heute für die junge Französin ein.

"Clotilde ist nicht politisch"

Lieb, nett und wohlwollend sei die vermeintliche Aufrührerin, sagen Freunde, Kollegen und ehemalige Dozenten in Frankreich über sie. "Clotilde ist nicht politisch", sagt ihr Vater Rémi Reiss. "Sie engagiert sich dort nicht, man kann sie nicht als militant betrachten." Seine Tochter habe gar nicht die Veranlagung dafür. "Ihre Motivation sind die Kunst, die Kultur, ihre Kenntnis des Iran", sagt der Ingenieur. "Sie hat sich nichts vorzuwerfen und man kann ihr nichts vorwerfen."

Von iranischer Kinderfrau großgezogen

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(Foto: REUTERS)

"Clotilde hat ihre Mama verloren, als sie noch klein war", berichtet eine Freundin der Tageszeitung "Le Parisien". Seit sie vier oder fünf Jahre alt gewesen sei, habe sich eine iranische Kinderfrau um sie gekümmert, daher komme ihr Interesse und ihre Liebe für das Land. Aufgeschlossenheit und Neugier habe sie zu Hause gelernt, als Teenager sei sie mit ihrem Vater ins Ausland gereist, sagt die Freundin. "Später hat sie richtig Persisch gelernt."

Französischlehrerin in Isfahan

Als Französischlehrerin kam Clotilde Reiss im Februar nach Isfahan, einer Millionenstadt im Landesinneren des Iran. Sie hatte dort eine Anstellung "im Rahmen der französisch-iranischen Zusammenarbeit", sagt ihr Vater. Die junge Frau hatte erst im Herbst ihr Diplom gemacht. Sie war "eine entschlossene und leidenschaftliche Studentin", erinnert sich Fakultätsleiter Benoît Lengaigne vom Institut für politische Studien im nordfranzösischen Lille. Ihre Leistungen waren "herausragend".

Erzählte, "was sie gesehen hat"

Tatsächlich hätten ein paar Freunde und auch sie während der blutigen Proteste gegen die Präsidentschaftswahl im Juni eine E-Mail von Clotilde bekommen, berichtet die ehemalige Kommilitonin Camille. Darin habe ihre Freundin ganz einfach als Augenzeugin erzählt, "was sie gesehen hat". Im Übrigen nichts anderes, "als man ohnehin in den Medien und den Zeitungen gesehen hat", fügt die frühere Studienkollegin hinzu.

Empörung in Frankreich

Dem Iran reicht das aber, um die junge Frau vor Gericht zu stellen. "Als ob eine junge Französin von 23 Jahren mehrere Millionen Menschen zu Protesten anstacheln könnte", sagt Frankreichs Außenminister Bernard Kouchner. "Das ist doch unseriös!" Clotilde Reiss sei wohl zweimal "zusammen mit hunderttausenden Iranern" auf die Straße gegangen, daran sei nichts Verwerfliches. Was der Iran ihr vorwerfe, entbehre jeder Grundlage und sei "trügerisch", kritisiert der Minister im "Parisien".

"Den kleinsten Fisch gefangen, den sie kriegen konnten"

Als ob eine junge Französin mehrere Millionen Menschen zu Protesten anstacheln könnte...

Als ob eine junge Französin mehrere Millionen Menschen zu Protesten anstacheln könnte...

(Foto: AP)

Eine Freundin in Isfahan sagte dem "Parisien", Reiss habe ihre Arbeit geliebt. Sie seien bisweilen essen gegangen oder hätten zusammen Musik gehört. "Wir haben uns erzählt, wir sehr wir von den französischen Croissants träumen", erzählt die Vertraute. "Es scheint, als hätten sie den kleinsten Fisch gefangen, den sie kriegen konnten."

Quelle: ntv.de, AFP

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