Politik

"Schwierige Schwangerschaft" Gesundheitsreform kommt

Die Bundesregierung ist mit ihrem wichtigsten Reformprojekt fast am Ziel: Union und SPD setzten am Freitag die umstrittene Gesundheitsreform im Bundestag durch, mussten aber zahlreiche Abweichler in den eigenen Reihen in Kauf nehmen. Endgültig entscheidet nun am 16. Februar der Bundesrat. In der Länderkammer zeichnete sich eine Mehrheit für die Reform ab.

Für den mühsam ausgehandelten Kompromiss votierten 378 von 592 Abgeordneten. 51 Koalitionspolitiker stimmten mit Nein oder enthielten sich. Die Opposition votierte geschlossen gegen die Reform. Krankenkassen, Ärzte, Krankenhäuser, Gewerkschaften und Arbeitgeber äußerten massive Kritik. In der Koalition entbrannte ein Streit über höhere Steuern zur Finanzierung der gesetzlichen Kassen.

"Schwierige Schwangerschaft"

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) nannte die Reform "ein sehr bedeutendes Werk". Mit Blick auf das monatelange Gezerre in der Koalition und die Abweichler sprach sie von einer "schwierigen Schwangerschaft". Die Reform soll zum 1. April in Kraft treten.

In der namentlichen Abstimmung stimmten 378 Abgeordnete aus Union und SPD mit Ja, 206 mit Nein. Acht enthielten sich. 23 Unions-Abgeordnete votierten gegen die Reform, bei der SPD waren es 20. In beiden Fraktionen gab es je vier Enthaltungen. Nicht an der Abstimmung teil nahmen bei der Union sieben und bei der SPD elf Abgeordnete.

Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) sprach von einer "guten Mehrheit". "Ich bin damit zufrieden." Zu den Kernpunkten der Reform zählen die Einführung des Gesundheitsfonds, zusätzliche Steuermittel für das Gesundheitswesen und eine Pflicht zur Versicherung vom Jahr 2009 an.

"Mehr Wettbewerb zum Vorteil der Patienten"

Schmidt sagte in der dreieinhalbstündigen Debatte, sie erwarte mehr Wettbewerb im Gesundheitssystem zum Vorteil der Patienten. Sie verteidigte den künftigen Einheitsbeitrag in der gesetzlichen Krankenversicherung, da gleiche Leistung keine unterschiedlichen Beiträge mehr rechtfertige. Die Reform sei gut für die medizinische Versorgung und eine klare Orientierung für die Zukunft. Unionsfraktionsvize Wolfgang Zöller (CSU) sagte, die Finanzierung des Gesundheitssystems über den neuen Fonds sei ein "Schritt in die richtige Richtung".

Linksfraktionschef Gregor Gysi kritisierte, die Reform diene nur der Wirtschaft, da künftige Mehrbelastungen allein den Beschäftigten auferlegt würden. "Das hat mit sozial und solidarisch gar nichts zu tun." FDP-Chef Guido Westerwelle warf der Regierung vor, sie ebne den Weg in Staatsmedizin, Kassensozialismus und Planwirtschaft. Grünen-Fraktionschefin Renate Künast sagte, die große Koalition sei vor der Gesundheitslobby eingeknickt.

Union lehnt Pläne zur Steuererhöhung ab

Politiker von CDU und CSU lehnten Pläne von Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) ab, nach dem Jahr 2010 Steuern zu erhöhen, um so den wachsenden Bundeszuschuss an die gesetzlichen Kassen zu finanzieren. Bis Ende 2009 schloss Vize-Regierungssprecher Thomas Steg höhere Steuern aus. Der CDU-Haushaltsexperte Steffen Kampeter erklärte: "Mit der Union wird es auch nach 2009 keine Steuererhöhungen geben." Unions-Fraktionschef Volker Kauder sagte: "Wir machen da nicht mit."

Viele Bundesländer ließen ihr Abstimmungsverhalten im Bundesrat offen. Allerdings zeichnete sich ab, dass einige der schärfsten Kritiker wie Bayern und Hessen ihren Widerstand aufgeben könnten. Andere Länder wie Baden-Württemberg, dessen Ministerpräsident Günther Oettinger (CDU) ebenfalls zu den Kritikern gehörte, müssen sich wohl aus Rücksicht auf den Koalitionspartner FDP enthalten. Etliche Landesregierungen machten ihre endgültige Position davon abhängig, wieweit ihre Änderungswünsche berücksichtigt wurden.

"Völlig falsche Grundausrichtung"

Die Spitzenverbände der gesetzlichen Krankenkassen bedauerten, dass die Reform "trotz erheblichen Widerstands von breiten Teilen der Bevölkerung" verabschiedet worden sei. Bundesärztekammer-Präsident Jörg-Dietrich Hoppe kritisierte eine "völlig falsche Grundausrichtung". Der Verband privater Krankenkassen erklärte das Reformprojekt für gescheitert. Der Vorsitzende des BKK-Bundesverbandes, Wolfgang Schmeinck, sagte: "Jetzt hilft kein Jammern über die Gesundheitsreform, jetzt müssen wir im Interesse der Versicherten das Beste aus diesem Mangelwesen machen."

DGB-Chef Michael Sommer gab der Reform "eine Halbwertszeit von höchstens drei Jahren". Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt zeigte sich enttäuscht. Die Reform verfehle alle wesentlichen Anforderungen an eine zukunftssichere Neuordnung des Gesundheitswesens.

Quelle: ntv.de

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