Missbrauchsskandal in der Kirche Gläubige sind verunsichert
16.03.2010, 18:10 UhrDeutschlands Katholiken sind wegen der Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche besorgt und empört. Immer mehr Gläubige wenden sich mit Anfragen an die Bistümer. Derweil offenbaren sich weitere Missbrauchsopfer. Der Vatikan aber beklagt, dass manche das Vertrauen in die Kirche zu untergraben versuchten.

Eine "Mauer der Klage" ist in der Basilika Vierzehnheiligen in Bad Staffelstein (Oberfranken) zu sehen. Die Mauer soll Besuchern in der österlichen Bußzeit Gelegenheit geben, ihre Sorgen und Nöte auf einen Zettel zu schreiben und in die Mauerritzen zu stecken.
(Foto: dpa)
Immer mehr Missbrauchsfälle erschüttern die katholische Kirche - nicht nur in Deutschland. In Spanien soll sich ein Geistlicher von 1992 bis 2005 in kirchlichen Schulen an 15 Jungen vergangen haben. Ein weiterer Fall wurde aus dem Kapuzinerkloster Bad Mergentheim (Baden-Württemberg) bekannt. Viele besorgte und empörte Katholiken in Deutschland wenden sich unterdessen mit Anfragen an die Bistümer. Nach einer Umfrage der Deutschen Presse-Agentur dpa kam es bisher aber zu keiner Austrittswelle. Die katholischen Bischöfe Bayerns beraten von Mittwoch an im Wallfahrtsort Vierzehnheiligen über den Skandal.
Der Kölner Kardinal Joachim Meisner äußerte sich entsetzt über die Missbrauchsfälle. In seinen 48 Jahren als Priester habe er noch nie eine so schwere Zeit für die Kirche erlebt, sagte Meisner nach Angaben der Erzbischöflichen Pressestelle. Das Erzbistum will in Kürze eine Frau als Ansprechpartnerin für Missbrauchsopfer benennen.
Staatsanwalt ermittelt
Nach Angaben der Diözese Rottenburg-Stuttgart ermittelt die Staatsanwaltschaft im Fall Bad Mergentheim. Anfang der 70er Jahre soll ein heute knapp 80 Jahre alter Pater mindestens einen Schüler in dem Kloster sexuell missbraucht haben, bestätigte ein Sprecher der Rheinisch-Westfälischen Kapuzinerprovinz in Münster. Das Opfer habe sich erst in den vergangenen Tagen gemeldet. Der Beschuldigte sei erst vor zwei Jahren wieder zurück nach Bad Mergentheim versetzt worden, hieß es. Da es "Auffälligkeiten" gab, sei er seit Jahren von allen seelsorgerischen Diensten entbunden.
"Klamottenknobeln" bei den Franziskanern

Auch drei ehemalige Schüler des katholischen Internats und Gymnasiums Haus Overbach in Jülich berichteten über sexuellen Missbrauch in den 50er Jahren.
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Ein Franziskaner-Pater aus dem Emsland hat in einer NDR-Rundfunksendung zugegeben, in den 70er Jahren gemeinsam mit einem weiteren Pater mit Jugendlichen sogenanntes Klamottenknobeln gespielt zu haben. Der Geistliche habe die Geschichte auch im Gespräch mit dem Orden und dem Bistum Osnabrück eingeräumt, teilten die Franziskaner in Hannover mit.
Bei dem Würfelspiel im Lingener Ludwig-Windthorst-Haus haben Geistliche und Jugendliche je nach gewürfelter Augenzahl Alkohol getrunken, Kleidung bis zum Nacktsein ausgezogen und Wangen sowie Brüste geküsst. Der heute als Seelsorger in einem Kloster tätige Pater ist vom Dienst suspendiert. Der andere Geistliche hatte den Orden 1993 verlassen. Der oberste Franziskaner in Niedersachsen, Pater Norbert Plogmann, rief die Geschädigten auf, sich zu melden.
Keine Konsequenzen in Bensheim
Erste Hinweise auf sexuellen Missbrauch in einem früheren katholischen Jungen-Internat im hessischen Bensheim gab es bereits in den 70er und 80er Jahren - Konsequenzen wurden aber nicht gezogen. Es sei ein Brief an den damaligen Mainzer Bischof, Kardinal Hermann Volk, vom Februar 1981 aufgetaucht, in dem ein Schüler sexuellen Missbrauch durch den Internats-Leiter schildert, teilte das Bistum in Mainz mit. Zu einem daraufhin dem Schüler angebotenen Gespräch sei es nicht gekommen.
Spanischer Priester in U-Haft
Die Zeitung "El País" berichtete über den Fall eines heute 53-jährigen Priesters, der in Spanien 15 Schüler zwischen 12 und 14 Jahren sexuell missbraucht haben soll. Demnach filmte sich der Mann dabei - diese Aufnahmen wurden bei dem Geistlichen in Chile sichergestellt, zusammen mit großen Mengen an kinderpornografischem Material. Der Spanier, der seit 2008 an einer Universität in Santiago de Chile unterrichtete, war im vergangenen Jahr festgenommen worden und sitzt seither in dem lateinamerikanischen Land in Untersuchungshaft.
Skandal verunsichert Gläubige

Die Gründerin einer Selbsthilfegruppe für missbrauchte Ministranten, Sigrid Behm, protestiert vor der Basilika Vierzehnheiligen gegen Kinderschänder in der katholischen Kirche.
(Foto: dpa)
Die Zahl der Kirchenaustritte ist nach bisher vorliegenden Angaben nicht gestiegen. Dies könnte aber auch damit zusammenhängen, dass die austrittswilligen Katholiken sich beim Standesamt - andernorts beim Amtsgericht - melden müssen. "Diese Zahlen erfahren wir erst mit zeitlicher Verzögerung, meistens vier Wochen später", sagte der Pressesprecher des Erzbistums Hamburg, Manfred Nielen.
Viele Bistümer berichten aber über eine erhöhte Zahl von Anfragen, Anrufen und Briefen. "Es gibt schon heftige Reaktionen", sagte der Sprecher des Bistums Würzburg, Bernhard Schweßinger. Anrufer seien teils aufgebracht und sehr emotional, betroffen, ratlos oder enttäuscht. Viele Gläubige fragten nach Informationen über das Thema Missbrauch, sagte der Pressesprecher des Erzbistums Freiburg, Robert Eberle.
Kardinalstaatssekretär Tarcisio Bertone, rechte Hand von Papst Benedikt XVI., beklagte, dass manche das Vertrauen in die Kirche zu untergraben versuchten. Die katholische Kirche genieße aber noch ein großes Vertrauen bei den Gläubigen, sagte Bertone in Rom.
Zusammenhang von Zölibat und Missbrauch
Der Pädophilie-Experte Michael Osterheider sieht einen Zusammenhang zwischen der Ehelosigkeit von Priestern und den Missbrauchsfällen in der katholischen Kirche. Nach seinen Forschungen fühlten sich "Leute, die andere sexuelle Interessen haben, von einer Institution angezogen, wo nicht verlangt wird, dass man in einer Partnerschaft lebt", sagte der Leiter der Regensburger Forensik dem Bayerischen Rundfunk. "Die Täter suchen sich ein soziales Umfeld, wo sie verfügbare Opfer finden", meinte Osterheider. "Da bietet die Kirche ein Feld."
Kinderschutzbund: Verjährungsfristen verlängern
Nach Ansicht der Opferorganisation Zartbitter betrifft der Skandal nicht nur die katholische Kirche. "Schulen, Institutionen der Jugendhilfe und Sportverbände sind im gleichen Ausmaß Tatort sexueller Ausbeutung durch erwachsene und jugendliche Täter wie die Kirche", teilte der Verein in Köln mit.
Der Deutsche Kinderschutzbund verlangt längere Verjährungsfristen für zivilrechtliche Ansprüche von Missbrauchsopfern. "Die bislang dreijährige zivilrechtliche Verjährungsfrist ist entschieden zu kurz und muss dringend der strafrechtlichen angepasst werden", erklärte der Präsident der Organisation, Heinz Hilgers.
Auch im Elite-Internat Schloss Salem am Bodensee hat es nach Angaben des früheres Leiters Bernhard Bueb sexuellen Missbrauch gegeben. Der 71-jährige Publizist ("Lob der Disziplin") sagte im Südwestrundfunk: "Es gab Situationen, wo Schüler sich an mich wandten oder an andere Mitarbeiter und erklärten, sie seien belästigt worden." Die verantwortlichen Lehrer seien darauf sofort entlassen worden. Er habe unmittelbar die Staatsanwaltschaft eingeschaltet.
Quelle: ntv.de, dpa