Hintergrundgespräch Greenpeace: "Das darf einfach nicht passieren"
16.07.2001, 15:29 UhrNoch muss viel Licht ins Dunkel des Karlsruher "Atomraubs" gebracht werden. Denn die Angaben darüber, was genau der 49-jährige Arbeiter aus der stillgelegten Wiederaufarbeitungsanlage (WAK) in Karlsruhe geschmuggelt hat, widersprechen sich. Mal ist von Plutonium die Rede, mal von einer radioaktiven Flüssigkeit. Klar ist: In Karlsruhe lagern rund 70 000 Liter einer hochstrahlenden Atomsuppe, die sich während des Betriebs der Anlage angesammelt haben.
Auch Veit Bürger, Energie-Experte bei der Umweltschutzorganisation Greenpeace, kann über die Hintergründe der Tat im Moment nur spekulieren. Dass es sich bei dem entwendeten Material um eine Probe der in Edelstahlbehältern verschlossenen Atomsuppe handelt, hält er jedoch für "relativ unwahrscheinlich".
"Eine solche Probe zu ziehen, wäre hochkompliziert. Es bestünde die Gefahr einer Explosion", erklärt Veit Bürger. Zudem sei die Brühe - ein Gemisch aus Spuren von Plutonium, Uran und einer Menge atomarer Spaltprodukte - derart radioaktiv, dass Kontakt mit ihr unmittelbar zu schwerwiegenden Verstrahlungen und Gesundheitsschäden führen würde.
Eher sei davon auszugehen, dass der Arbeiter "echtes" Plutonium mitgehen ließ. Kontakt mit dem Schwermetall in fester oder pulverisierter Form sei weniger gefährlich, solange das Plutonium nicht geschluckt oder eingeatmet werde. "Packe ich Plutonium zum Beispiel in einen Behälter aus Aluminium, kann ich es ohne größere Strahlenbelastung anfassen", erläutert Veit Bürger, nicht ohne klarzustellen, dass er dies trotzdem "nie im Leben" machen würde.
"Spuren von Plutonium sind sicherlich überall in der Anlage vorhanden", sagt der Greenpeace-Experte. Schließlich war es Sinn und Zweck der WAK, das Plutonium aus den abgebrannten Brennelementen der Atomkraftwerke zu extrahieren. Allerdings wurde das gewonnene Material - insgesamt mehr als 1 000 Tonnen - komplett nach Hanau transportiert. Offen bleibt so, wie der Arbeiter zu seinem Raubgut gekommen ist. Hat er etwa Plutoniumstaub zusammengekratzt? Oder lagern in Karlsruhe doch noch Bestände des radioaktiven Schwermetalls?
Eines steht für Veit Bürger zweifellos fest: "Das darf einfach nicht passieren." Der Vorfall zeige nicht nur ein weiteres Mal die Gefahren im Zusammenhang mit der Atomtechnologie auf, er stelle auch die Sorgfalt bei der Demontage der Karlsruher Anlage in Frage. "Mein Eindruck ist, dass hier aus Kostengründen geschlampt wird", erklärt der Umweltschützer und verweist dabei auf die Leiharbeiter-Praxis bei den Abrissarbeiten.
Gerate radioaktives Material in die falschen Hände, entstünden zusätzliche, kaum kalkulierbare Gefahren. Der Besitz einer strahlenden Flüssigkeit etwa brächte ein immenses Erpressungspotential mit sich. Der Erwerb von Plutonium durch terroristische Organisationen oder aggresive Staaten berge hingegen vor allem deshalb große Risiken, weil bereits wenige Kilo des Schwermetalls für den Bau einer Atombombe ausreichten.
Wurde in Karlsruhe Plutonium gestohlen, so hätte dieses folglich - auch wenn es sich nur um eine geringe Menge gehandelt haben mag - zum Bau atomarer Waffen beitragen können. "Es werden verschiedene Quellen angezapft, um sich Material zu beschaffen", sagt Veit Bürger über die potentiellen Abnehmer, an deren Existenz man lieber nicht zweifeln sollte.
Quelle: ntv.de