Politik

"Trickserei bei Atomlaufzeiten" Gutachten spaltet Deutschland

Selten hat ein Gutachten die politische Landschaft so erschüttert, wie das Energiegutachten zur Laufzeitverlängerung deutscher AKW. Umweltverbände und Opposition sprechen von Trickserei, weil die Vorgaben willkürlich erscheinen. Aber auch Schwarz-Gelb ist sich nicht grün. Wirtschafts- und Umweltminister lesen das Gutachten unterschiedlich.

Offener Reaktor im AKW Grundremmingen.

Offener Reaktor im AKW Grundremmingen.

(Foto: dpa)

Die SPD im Bundestag hat der Regierung bei der Verlängerung der Atomlaufzeiten "Trickserei" vorgeworfen. Das werde ein parlamentarisches Nachspiel haben, sagte SPD-Vizefraktionschef Ulrich Kelber in Berlin. In der nächsten Bundestagssitzung Mitte September werde die SPD die Regierung mit Fragen zur Entstehung der nun vorliegenden Gutachten zu den einzelnen Energie-Szenarien konfrontieren. Möglicherweise werde sie auch Akteneinsicht fordern.

In dem Energiegutachten haben die Wissenschaftler mit Ökostrom-Prognosen gerechnet, die deutlich niedriger sind als die Regierungsannahmen. Dies wiederum hat Einfluss auf die Effekte längerer Atomlaufzeiten. So wird bis 2020 ein Ökostrom-Anteil von 33,7 Prozent angenommen; die Regierung selbst prognostiziert 38,6 Prozent.

Völlig unerklärlich sei der geringe Zuwachs in den Jahren 2030 bis 2040, in denen die Zunahme der erneuerbaren Energien nur bei 2,8 Prozent liegen soll, sagte Greenpeace-Energieexperte Andree Böhling in Hamburg. "Und dies obwohl die Kosten der erneuerbaren Energien im Jahr 2030 deutlich geringer als heute sein werden und die Wettbewerbsfähigkeit nach Meinung aller Experten ohne Förderung gegeben sein wird", so Böhling.

Das von RWE betriebene Atomkraftwerk Biblis in Südhessen.

Das von RWE betriebene Atomkraftwerk Biblis in Südhessen.

(Foto: dpa)

Zudem hätten die Gutachter in den Laufzeitverlängerungs-Szenarien von 12 und 20 Jahren mit weitaus höheren Effizienzvorgaben und Klimaschutzmaßnahmen gerechnet als bei einem Szenario ohne längere Laufzeiten. Damit seien die positiven Ergebnisse hinsichtlich des CO2-Ausstoßes und der Strompreise zugunsten der Szenarien mit Laufzeitverlängerungen vorbestimmt gewesen.

"Der Vorwurf von Täuschung und Manipulation bei der Berechnung der Energieszenarien bestätigt sich nach der Auswertung des Endberichtes." Die Energieszenarien seien in verschiedener Hinsicht geschönt worden, um Laufzeitverlängerungen von Atomkraftwerken zu rechtfertigen, so Böhling.

Quelle der Vorgaben ist unklar

Die SPD will von Schwarz-Gelb eine Stellungnahme erwirken, wie es zu den "exakten Vorgaben und Vergabekriterien für die Gutachten" kam, insbesondere wegen der Schlechterstellung der Szenarien ohne Laufzeitverlängerung. Ferner will die SPD-Fraktion wissen, warum Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) einen bis Ende Juli gesetzlich vorgeschriebenen Bericht zur Energieversorgung nicht vorgelegt hat. "Insbesondere wollen wir wissen, ob das Ministerium gelogen hat bei der Begründung für die Verzögerung."

Die Restlaufzeiten der deutschen Atommeiler nach dem bisher geltenden Fahrplan zum Atomausstieg.

Die Restlaufzeiten der deutschen Atommeiler nach dem bisher geltenden Fahrplan zum Atomausstieg.

Kritiker hatten gemutmaßt, das Ministerium habe bis zur Entscheidung über das Energiekonzept verschleiern wollen, dass eine Verlängerung der Atomlaufzeiten für die künftige Energieversorgung gar nicht notwendig sei. Das Wirtschaftsministerium hatte mitgeteilt, der Bericht werde voraussichtlich im Herbst vorliegen. Verzögerungstaktik wurde zurückgewiesen.

Der Bericht wird federführend vom Energiewirtschaftlichen Institut der Universität Köln erstellt. Das renommierte EWI-Institut bestätigte in der vorigen Woche, dass es von den Stromkonzernen RWE und Eon Millionensummen als "zweck-ungebundene Grundsatzförderung", erhält, die den Konzernen keine Einflussnahme auf Arbeit und Ergebnis des Instituts ermögliche. Kelber sagte: "Wir wollen wissen, was die Bundesregierung von der Verflechtung von RWE und EWI bekannt war."

Andere Akzente, aber keine Unterschiede

Brüderle und Röttgen werten das Gutachten unterschiedlich.

Brüderle und Röttgen werten das Gutachten unterschiedlich.

(Foto: dpa)

Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) und Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) zogen unterschiedliche Schlüsse aus der rund 200-seitigen Studie: Brüderle betonte, dass laut Gutachten die wirtschaftlichen und klimapolitischen Vorteile bei einer Verlängerung zwischen zwölf und 20 Jahren am größten seien. Röttgen hingegen sagte, die Jahreszahl einer Laufzeitverlängerung habe "marginale und keinesfalls entscheidende Bedeutung" für das gesamte Energiekonzept.

Röttgen versicherte zugleich, zwischen ihm und Brüderle gebe es in der Auswertung des Gutachtens andere "Akzente, aber keine grundlegenden Unterschiede". Brüderle bekräftigte, dass das Kabinett wie geplant am 28. September ein Energiekonzept beschließen werde.

Quelle: ntv.de, dpa/AFP

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen