Taliban wollten Feldlager stürmen "Guttenberg sagt die Unwahrheit"
16.12.2009, 07:15 UhrDer umstrittene Luftangriff war offenbar eine Reaktion auf Pläne der Taliban, das deutsche Bundeswehr-Lager in Kundus zu stürmen. Das bestätigt CDU-Politiker Lamers bei n-tv. Unmittelbar vor Beginn des Untersuchungsausschusses wirft zudem Ex-Generalinspekteur Schneiderhan Verteidigungsminister Guttenberg vor, gelogen zu haben.

Verteidigungsminister Guttenberg soll gelogen haben, sagt der von ihm entlassene Generalinspekteur Schneiderhan (rechts, bei einem gemeinsamen Besuch in Afghanistan).
(Foto: AP)
Der deutsche Oberst Georg Klein soll den Luftschlag in Kundus unter dem Eindruck von Geheimdienstinformationen über Pläne der Taliban zur Erstürmung des Bundeswehrfeldlagers befohlen haben. Der stellvertretende Vorsitzende des Untersuchungsausschusses, Karl Lamers (CDU), bestätigte bei n-tv, dass ein Angriff auf das Bundeswehr-Lager geplant war.
"Wir sind immer davon ausgegangen, dass es natürlich einen Zusammenhang gibt mit den Tanklastwagen, die einem Luftangriff ausgesetzt wurden, und den Taliban, die um diese Tanklastwagen herum waren", sagte Lamers bei n-tv. "Es war klar, dass eine große Gefahr für das deutsche Militärlager dadurch bestand." In den Wochen zuvor habe es bereits Ankündigungen gegeben, dass ein solcher Anschlag stattfinden könnte.
Der Bundesnachrichtendienst (BND) und das Kommando Spezialkräfte der Bundeswehr (KSK) sollen in den Wochen vor dem Luftangriff in Nordafghanistan einen Drei-Stufen-Plan der Taliban aufgedeckt haben, berichtet die Nachrichtenagentur dpa. Die Recherchen seien in der Bundesregierung bekannt gewesen. BND und KSK hätten die Rekrutierung von Selbstmordattentätern in der Region und Bewegungen größerer Gruppen bewaffneter Taliban beobachtet.
"Militärisch ein Erfolg"
Klein sei davon ausgegangen, dass die radikalislamischen Taliban am Abend des 3. September ihren Plan mit der Entführung der Tanklastwagen in die Tat umsetzen wollten. Nach Mitternacht am 4. September gab er den Befehl zum Luftangriff. Bis zu 142 Menschen starben oder wurden verletzt, darunter viele Zivilisten. Der Angriff ist umstritten, weil Klein bei der Anforderung der US-Kampfjets zur Bombardierung gegen Regeln der internationalen Schutztruppe ISAF verstoßen haben soll. Er hatte wahrheitswidrig angegeben, dass eigene Truppen Feindberührung hätten. Deutsche Soldaten waren aber nicht in der Nähe.
In der Bundeswehr heißt es, "militärisch-taktisch sei der Angriff ein Erfolg, strategisch aber ein Desaster". Der Afghanistan-Einsatz habe durch die hohe Zahl der Toten national und international Schaden genommen und belaste darüber hinaus das Verhältnis von Deutschland zu Bündnispartnern. Im Nachhinein sei eindeutig, dass Klein den Angriffsbefehl in dieser Abwägung nicht hätte geben dürfen. Eine Bewertung im Nachhinein werde aber der von Klein empfundenen Bedrohungslage kaum gerecht.
Untersuchungsausschuss beginnt
Die Vorgänge rund um den Luftangriff sind Gegenstand eines Untersuchungsausschusses im Deutschen Bundestag, der heute seine Arbeit aufnimmt. Der Ausschuss wird voraussichtlich mehr als ein Jahr lang arbeiten. Dabei geht es auch um die Frage, ob dem neuen Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) zwischenzeitlich wichtige Dokumente über den Angriff vorenthalten worden waren oder ob er der Öffentlichkeit Informationen vorenthielt.
Opposition kannte Berichte
"Ich würde ungern in der Haut von Oberst Klein in dieser Nacht stecken. Wir wissen, dass er unter unmenschlichem Druck gesteckt hat, und deshalb geht es überhaupt nicht darum, über ihn zu urteilen, sondern über die Fehler, die er gemacht hat", sagte der verteidigungspolitische Sprecher der Grünen, Omid Nouripour, bei n-tv. "Die hat er gemacht und die stehen in allen Berichten drin." Im Ausschuss gehe es aber nicht darum, den Stab über einzelne Leute zu brechen. "Es geht darum, dass wir politische Verantwortlichkeiten ausmachen, und es geht mir persönlich vor allem darum, dass wir am Ende des Tages Empfehlungen abgeben können, damit solche Katastrophen sich nicht wiederholen", sagte Nouripour.
Zugleich bestätigte Nouripour Guttenbergs Aussage, dass die Opposition den NATO-Bericht über den Angriff kannte. Dessen Kritik wies er aber zurück: "Wir haben die geheimen Berichte gelesen, wir haben nicht darüber reden dürfen. Wir haben aber deshalb, weil wir die Berichte kannten, ja immer gesagt, dass wir seine Bewertung nicht verstehen, dass der Militärschlag angemessen und zwangsläufig gewesen sei. Das ist mir bis heute schleierhaft, wie er dazu kam." Deshalb habe er von Guttenberg gefordert, einen Bericht vorzulegen, über den man öffentlich diskutieren könne.
Schneiderhan beschuldigt Guttenberg
Der ehemalige Bundeswehr-Generalinspekteur Wolfgang Schneiderhan hat Guttenberg falsche Angaben im Zusammenhang mit der Kundus-Affäre vorgeworfen. Insbesondere hielt Schneiderhan dem CSU-Politiker vor, den Ablauf seiner Entlassung am 25. November falsch darzustellen. "Was diesen 25. nachmittags angeht, sagt er die Unwahrheit", sagte der General der Wochenzeitung "Die Zeit". Guttenberg hätte ihn auch nur in den einstweiligen Ruhestand versetzen können.
Schneiderhan übernahm erneut die Verantwortung dafür, dass dem Minister nicht alle Berichte über den Raketenangriff auf zwei Tanklaster in Afghanistan vorgelegen hätten. Er wehrte sich jedoch gegen den Vorwurf, Guttenberg seien wichtige Akten vorenthalten und Berichte unterschlagen worden. "Das finde ich inzwischen ehrenrührig", sagte der Vier-Sterne-General. "Unterschlagen hat für mich den Geschmack des Vorsatzes. Und es gab keinen Vorsatz."
Klein behinderte Ermittlungen
Nach einem Bericht des "Stern" soll Klein die Ermittlungen aktiv behindert haben. Der Oberst habe nach dem Angriff Anfang September angeordnet, Ermittler vom Regionalkommando aus Masar-i-Scharif nicht mit den ersten deutschen Soldaten zum Tatort zu lassen. Zur Begründung habe er angegeben, sie seien "vor Ort nicht erwünscht". Die von Brigadegeneral Jörg Vollmer entsandten Ermittler hätten erst später zum Tatort kommen können, als Leichen und Leichenteile bereits von Angehörigen beerdigt worden seien.
Zudem habe Klein Untergebene im Feldlager Kundus angewiesen, bei Ermittlungen nicht zu kooperieren. So habe ein am Bombardement beteiligter Luftleit-Feldwebel Militärpolizisten jede Zusammenarbeit verweigert. Der Feldwebel habe darauf verwiesen, dass es Informationen zum Sachverhalt "nur nach Freigabe" durch den Oberst gebe.
Kanzleramt schlecht informiert
Die "Süddeutsche Zeitung" berichtet unterdessen, das Bundeskanzleramt habe sich bereits frühzeitig wegen der schlechten Unterrichtung durch das Verteidigungsministerium beklagt. Das gehe aus internen Dokumenten hervor. Bundeskanzlerin Angela Merkel habe keinen Zugang zum ersten Bericht der internationalen Schutztruppe ISAF und zum Bericht von Oberst Klein gehabt, als sie am 8. September eine Regierungserklärung zu dem Thema abgab. Die Berichte, die auf zivile Opfer hinweisen, waren demnach zwar bereits am 6. September im Verteidigungsministerium eingetroffen, allerdings erst am 10. September an das Kanzleramt weitergeleitet worden.
Die Opposition im Bundestag hat rund 90 Beweisanträge vorgelegt und will dafür über 40 Zeugen benennen. Dabei geht es um alle wichtigen Akten, Dokumente und Dateien. Unter den benannten Zeugen befinden sich Kanzlerin Merkel, Ex-Verteidigungsminister Franz Josef Jung sowie sein Nachfolger Guttenberg. Auch der inzwischen entlassene Bundeswehr-Generalinspekteur Wolfgang Schneiderhan soll gehört werden, sowie Oberst Klein.
Nach Informationen aus der Opposition soll mit der ersten Zeugenvernehmung in der zweiten Januarwoche begonnen werden. Der SPD-Verteidigungsexperte Rainer Arnold sagte, seine Partei wolle darauf drängen, Guttenberg als ersten Zeugen zu laden. Da es sich um Angelegenheiten der Bundeswehr handelt, wird der Verteidigungsausschuss des Bundestags in diesem Fall zum Untersuchungsausschuss umfunktioniert.
Quelle: ntv.de, tis/dpa/AFP