"Klare Kante zur Industrie" Guttenberg verschnupft
26.05.2010, 22:51 UhrDie Beziehungen zwischen dem Verteidigungsministerium und Teilen der Rüstungsindustrie sind wegen diverser Lieferprobleme, Qualitätsmängeln und höheren Kosten angespannt; der Minister ist verschnupft. Vor Bundeswehroffizieren in Hamburg kündigt Guttenberg hartes Sparen im Wehr-Etat an.

Die weitere Auslieferung des Kampfhubschraubers Tiger verzögert sich nach Schwierigkeiten mit der Verkabelung noch bis September.
(Foto: dpa)
Bundesverteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) geht demonstrativ auf Distanz zur Rüstungsindustrie. Nach Informationen der "Financial Times Deutschland" aus Industriekreisen hat der CSU-Politiker seinen geplanten Besuch auf der Internationalen Luft- und Raumfahrtausstellung ILA in Berlin aus Verärgerung über Lieferprobleme und Kostensteigerungen bei Militärprojekten abgesagt.
Für den Rückzieher gibt Guttenberg gegenüber den Messeveranstaltern offiziell Termingründe an. Aus Militärkreisen verlautete jedoch, eine besondere Nähe zu Rüstungsunternehmen sei vorläufig nicht erwünscht. "Der Minister zeigt derzeit eine klare Kante zur Industrie", sagte ein Branchenkenner der FTD. Nach den Problemen mit dem Militärtransporter A400M eskaliert derzeit auch der Streit mit der EADS-Tochter Eurocopter wegen Verzögerungen beim Kampfhubschrauber Tiger. Guttenbergs Affront zeigt, wie angespannt die Beziehungen zwischen dem Verteidigungsministerium und Teilen der Rüstungsindustrie inzwischen sind. Guttenbergs unmittelbare Vorgänger hatten die ILA regelmäßig besucht.
Aktueller Streitpunkt zwischen Ministerium und Industrie ist vor allem der Kampfhubschrauber Tiger. Laut Vertrag mit dem Hersteller Eurocopter sollte der Bund bis Ende 2009 insgesamt 67 Hubschrauber erhalten, tatsächlich waren es jedoch nur elf. Vor allem bei der Verkabelung gebe es "gravierende Beanstandungen" mit Auswirkungen auf die Flugsicherheit, heißt es in einem Papier des Verteidigungsministeriums, das der FTD vorliegt. Bis zur Beseitigung der Mängel müsse daher die Abnahme der fertig produzierten Hubschrauber gestoppt werden. Das Ministerium geht davon aus, dass die Hubschrauber samt ausgebildeten Piloten frühestens Ende 2012 einsatzfähig sein werden.
Guttenberg will jährlich eine Milliarde Euro sparen
Am Rande der 9. Generals-, Admirals- und Kommandeurstagung der Streitkräftebasis in Hamburg kündigte Guttenberg angesichts der dramatischen Haushaltslage tiefe Einschnitte im Bundeswehr-Etat an. Einzelne Eingriffe in den Beschaffungsplan und "symbolhaftes Streichen von Einzelprojekten" reichten bei weitem nicht aus, sagte der CSU-Politiker, um den mittelfristigen Ansatz des Verteidigungshaushalts um jährlich mehr als eine Milliarde Euro strukturell zu senken.."Wenn man die aktuellen Zahlen zugrunde legt, muss es zwangsläufig einen Paradigmenwechsel geben."

Guttenberg hielt vor hohen Bundeswehroffizieren eine Grundsatzrede zur Zukunft der Streitkräfte.
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So sollen nach Ansicht des Ministers weitere Kasernenstandorte geschlossen werden. "Die Belegungsdichte von derzeit durchschnittlich 900 Soldaten pro Standort ist weiter zu heben." Regionalpolitische Gesichtspunkte seien zweitrangig. Konkrete Einsparprojekte nannte er nicht. Er wolle seine Vorschläge demnächst mit Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) besprechen, sagte Guttenberg.
Bei Fragen der nationalen Sicherheit und bei den Auslandseinsätzen der Bundeswehr höre die Sparbereitschaft jedoch auf. "Bei den Einsätzen muss das vorgehalten werden, was die Soldaten vor Ort brauchen", so Guttenberg.
Neue Diskussion zu Wehrpflicht erwartet
Als "Gretchenfrage" bezeichnete Guttenberg den Fortbestand der Wehrpflicht, die neben der sicherheitspolitischen Notwendigkeit bei der "Integration der Streitkräfte in die Gesellschaft ebenfalls Schlüsselqualität besitzt". Guttenberg: "Mit den jetzt bekannten Zahlen und nicht nur aufgrund koalitionsinterner Träumereien wird auch der Fortbestand der Wehrpflicht erneut einer Diskussion ausgesetzt."
Guttenberg entsprach mit seinen Vorhaben in weiten Teilen den Forderungen der oppositionellen Grünen. Deren haushaltspolitischer Sprecher Alexander Bonde verlangte unter anderem, dass die Rüstungsbeschaffungen reduziert, die Personalstruktur der Bundeswehr verändert und die Wehrpflicht zur Disposition gestellt werde. "Sicherheitspolitisch ist die Wehrpflicht ohnehin nicht mehr zu begründen, sie dient nur als teure Rekrutierungsmaßnahme."
Quelle: ntv.de, FTD/rts/dpa