Dezentrale Linke Gysi will spielen
20.09.2013, 20:58 Uhr
Gregor Gysi würde seine politische Karriere gerne damit krönen, dass er die Linke in die Regierung bringt.
(Foto: dpa)
Auch die Linke gibt in den letzten Wahlkampf-Stunden alles. Dabei kämpft sie vor allem gegen sich selbst. Denn für viele Linke spielt nicht das Gesamtergebnis die entscheidende Rolle, sondern wo die Stimmen herkommen.
Mehrfach gehen die Schirme auf und wieder zu an diesem Freitagnachmittag in Berlin, langsam wird es kalt. Gregor Gysi kommt verspätet zum "zentralen" Wahlkampfabschluss der Linken. So lange spielt eine Polka-Band und versucht, doch noch etwas Bewegung in die paar hundert Besucher zu bekommen. "Politik heißt ja nicht, dass man schlechte Laune haben muss", ruft der Sänger, der heute glitzernde Gürtelschnalle zu Leoparden-Sakko kombiniert. Gesine Lötzsch und Petra Pau wippen immerhin den Takt mit.
So richtig viel Bewegung ist nicht in den Wahlkampf der Linken gekommen. Die Plakate hätten bei der letzten Wahl genauso aussehen können. Immer noch ist es Gregor Gysi, wegen dem sich Menschen im Regen auf den Alexanderplatz stellen. "Ich wäre nicht für eine Gysi-Rede bei dem Wetter vor die Tür gegangen", lobt er die Tapferen. Im Hintergrund wird noch die Bühne von Peer Steinbrück abgebaut, der am Vorabend hier sprach – vor rund zehnmal so vielen Besuchern.
Das Auffälligste an Gysis Rede: Er hält sie allein. Seine Kollegin aus dem Fraktionsvorstand, Sahra Wagenknecht, steht gleichzeitig in Köln. In Berlin wird sie mit keinem Wort erwähnt, so richtig "zentral" ist dieser Wahlkampfabschluss damit nicht. Kein einziges Mal haben sich beide in den vergangenen Monaten gemeinsam auf einer Bühne sehen lassen.
Gysi würde gerne Minister werden
Wagenknecht vertritt mittlerweile den radikaleren West-Flügel ihrer Partei, Gysi steht für den pragmatischen Osten, der schon an mehreren Landesregierungen beteiligt war. Jeder kämpft für sich, denn nach der Wahl werden beide Seiten das Ergebnis genau analysieren: Kommen viele Stimmen aus dem Westen, wird sich die Linke noch härter gegen die anderen Bundestagsparteien stellen. Legt der Osten zu, wäre sogar eine Zusammenarbeit mit SPD und Grünen denkbar.
Das ist auch in Gysis Rede zu spüren. Er schüttelt zwar den Kopf über die Rente mit 67, die Rüstungs- und die Euro-Politik der SPD. Aber er erwähnt von sich aus die Möglichkeit von Koalitionsverhandlungen, zeichnet beim Thema Leiharbeit sogar eine Kompromisslinie. Gysi würde wohl gerne Minister werden am Ende seiner politischen Karriere. Dazu braucht er die SPD. Wagenknecht wirft den Sozialdemokraten stattdessen vor, "ins Bett einer Großen Koalition" kriechen zu wollen.
Der interne Machtkampf führt dazu, dass nun auch die Linken in der Endphase des Wahlkampfes alles geben. Gysi hat sich zwar ein Blatt zurechtgelegt, aber er hat seine Rede in den letzten Tagen so oft gehalten, dass er kein einziges Mal draufgucken muss. Er zappelt auf der Bühne, wie man es von seinen Bundestagsreden kennt, zeichnet mit dem Finger Diagramme in die Luft, macht kaum Atempausen. Ein bisschen überdreht wirkt das manchmal, wenn Gysi juristische Feinheiten im Schnelldurchgang vorträgt und sich dabei echauffiert.
Je mehr Klassenkampf, desto besser
Zunächst klatschen nur wenige. Vielleicht liegt das aber auch nur daran, dass sie mit einer Hand ihren Schirm halten müssen. Beifall gibt es später, als Gysi die klassischen Themen anschneidet: Mindestrente, Mindestlohn, Millionärssteuer. Die Linke wird nicht wegen ihres kreativen Wahlkampfes gewählt, sondern für ihre Kernthemen. Je mehr Klassenkampf, desto besser. Auf 9 Prozent bringt es die Partei laut aktuellster Umfrage damit. Das ist besser als vor einem Jahr, aber schlechter als das Wahlergebnis von 2009.
Für Gysi ist die Politik längst ein Spiel, in dem man den Gegner vor sich her treibt. Mit Witz und Leidenschaft, aber sportlich fair. Von den Zankereien der Berliner Politik kann er einige Anekdoten erzählen. Zum Beispiel, wie nach verlorenen Wahlen die Politiker anderer Parteien ihm auf die Schultern klopfen und sagen: "Das wird schon wieder." In der nächsten Bundestagssitzung will er es sein, der Schultern klopft, sagt Gysi. Er möchte weiterspielen, gerne auch eine Liga höher.
Unter den Regenschirmen interessiert man sich nicht so sehr für das Klein-Klein im Bundestag. Der stärkste Moment in Gysis Rede ist, als von hinten jemand "Sieg Heil" ruft und Gysi damit von seinen Detailfragen abgebracht wird. "Für die Bewertung eines Menschen zählt nicht das Aussehen oder die Herkunft oder die sexuelle Orientierung, sondern allein der Charakter", ruft Gysi zurück. Für sein Statement gegen Rassismus erntet er den lautesten Zwischenapplaus der ganzen Rede. Beim Steinbrück-Auftritt am Vorabend war das genauso.
Quelle: ntv.de