"Spukhaftes Fernlöschen" Hacker kontern BKA-Präsident
27.10.2011, 08:18 Uhr
Der Bund will die Trojaner künftig selbst entwickeln lassen.
(Foto: dpa)
Vor wenigen Wochen tritt der Chaos Computer Club eine Lawine los: Der "Staatstrojaner" könne durch die Hintertür zum umfassenden Überwachungswerkzeug gemacht werden. Das BKA streitet dies ab, spricht von einer alten Software. Die Hacker analysieren eine aktuelle Version - und entdecken die gleichen Sicherheitslücken. "Spukhaftes Fernlöschen von Dateien", "akustische Raumüberwachung" - alles sei möglich.
Dem Chaos Computer Club (CCC) ist eine "noch fast fabrikneue" Version des umstrittenen Staatstrojaners zugespielt worden. Eine Analyse des Programmcodes habe ergeben, dass die Spionage-Software weiterhin für rechtswidrige Aktionen eingesetzt werden könne, erklärte der Club. Wo die Software eingesetzt wurde, blieb zunächst offen. Das Bundesinnenministerium dementierte den Einsatz für die ihm unterstellten Behörden, das sind Bundeskriminalamt (BKA), Bundesverfassungsschutz und Bundespolizei. Vor zweieinhalb Wochen hatte der CCC eine erste Trojaner-Software zum Abhören von Kommunikation via Computern angeprangert, die in Bayern eingesetzt wurde.
Nun erklärte der CCC, der neu analysierte Trojaner entspreche "wie seine Vorgängervarianten in keiner Weise dem Stand der Technik" und enthalte "weiterhin die grundgesetzbrechende Funktion zum Nachladen beliebiger Erweiterungen". "Entgegen aller Beteuerungen der Verantwortlichen kann der Trojaner weiterhin gekapert und beliebiger Code nachgeladen werden", sagte ein CCC-Sprecher.
Zierckes Argument entkräftet
BKA-Präsident Jörg Ziercke hatte die Überwachung von Computern als unverzichtbar bezeichnet, wenn das Internet für schwere und schwerste Kriminalität eingesetzt werde. Die Kritik des CCC, der Trojaner könne manipuliert und rechtswidrig eingesetzt werden, wies Ziercke vor einer Woche im Innenausschuss des Bundestages auch mit dem Hinweis zurück, der Club habe eine "circa drei Jahre alte Version der Software (analysiert), die das BKA nicht eingesetzt hat".
Der CCC veröffentlichte nun die Analyse einer neuen Variante des Staatstrojaners (Version 3.6.44 vom Dezember 2010), die ebenfalls von der hessischen Firma Digitask entwickelt wurde. Die umstrittene Funktion des Trojaners, auch Bildschirmfotos (Screenshots) von dem ausgespähten Rechner anzufertigen, wurde in dieser Version entfernt. "Die verfassungswidrige Nachladefunktion steht jedoch weiterhin scheunentorweit offen", erklärte der CCC. "Dies bedeutet, dass unbefugten Dritten vom spukhaften Fernlöschen von Dateien bis hin zur akustischen Raumüberwachung genauso viele Möglichkeiten geboten werden wie den ermittelnden Beamten und ihren von Unkenntnis der technischen Sachlage geplagten Vorgesetzten."
Der CCC-Sprecher forderte die Behörden auf, auf den Einsatz von Trojanern zu verzichten und die Quellcodes der eingesetzten Programme sowie die Prüfprotokolle der Trojaner-Einsätze zu veröffentlichen: "Bei einer staatlichen Infiltration eines Rechners muss unwiderruflich die Möglichkeit erlöschen, Daten von der Festplatte des infiltrierten Systems gerichtlich zu verwerten."
BKA bestreitet Nachladefunktion

Dieser Screenshot zeigt die Software-Analyse der alten und neuen Version der Spionagesoftware.
(Foto: dpa)
Das BKA hatte bestritten, dass die Überwachungssoftware über eine "rechtswidrige Nachladefunktion verfügt, mit der beliebige Schadmodule nachgeladen werden". Die Updatefunktion des Programms werde allein zur Aktualisierung verwendet. Bei einem Update der Internet-Telefonie-Software Skype müsse auch die Überwachungssoftware angepasst werden. Dieser Darstellung widerspricht der CCC nun: "Der CCC konnte sein selbstgeschriebenes Trojaner-Steuerprogramm in nur wenigen Stunden anpassen, die Schadsoftware weiterhin steuern und Code auf den Opfer-Rechner nachladen."
Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) hatte angekündigt, der Bund werde ein eigenes Kompetenzzentrum zur Entwicklung von Software für Internetüberwachung einrichten. Die Bundesländer seien eingeladen, sich daran zu beteiligen. Darüber hinaus soll bis zur nächsten Innenministerkonferenz ein Vorschlag für ein Expertengremium vorgelegt werden, das die bisher benutzte Software von privaten Anbietern überprüft und zertifiziert.
Ein Sprecher der Firma Digitask sagte, er könne noch nicht beurteilen, ob die vom CCC analysierte Software von Digitask stamme. Generell liefere das Unternehmen das, was die Behörden auf der Grundlage geltender Gesetze bestellen. Für den Einsatz der Software seien die Behörden selbst verantwortlich.
Quelle: ntv.de, dpa