Verdächtige von Potsdam Haftbefehle erlassen
21.04.2006, 06:53 UhrGegen die zwei Tatverdächtigen des rassistischen Überfalls auf einen Deutsch-Äthiopier in Potsdam ist Haftbefehl erlassen worden. Dies bestätigte eine Sprecherin der Bundesanwaltschaft am Freitagabend. Die Haftbefehle lauten auf versuchten Mord.
Nach dem gegenwärtigen Stand der Ermittlungen seien die 29 und 30 Jahre alten Männer "dringend verdächtig", in den frühen Morgenstunden des Ostersonntags ihr Opfer brutal zusammengeschlagen zu haben, hieß es in einer Mitteilung der Bundesanwaltschaft. "Die Beschuldigten haben die Tat bestritten."
Der dringende Tatverdacht beruhe auf der Aufzeichnung eines Gesprächsteils zu Beginn des Überfalls auf einer Telefon-Mailbox und der vorausgegangenen, von der Ehefrau des Opfers mitgehörten Äußerung "Sollen wir Dich wegpusten?" eines der beiden Täter. Nach derzeitigem Erkenntnisstand sei aufgrund der Tatumstände, insbesondere des Gesprächsmitschnitts davon auszugehen, dass die Beschuldigten die Tat aus fremdenfeindlichen Motiven begangen haben.
Nach Angaben der Bundesanwaltschaft wurden am Tatort DNA-Spuren gefunden. So sei auf Flaschenscherben Blut entdeckt worden, das nicht von dem angegriffenen Ingenieur stamme.
Das Opfer, ein 37 Jahre alter Familienvater, schwebt weiterhin in Lebensgefahr. Am Abend versammelten sich in Potsdam laut Polizei etwa 4.000 Menschen, um ihre Solidarität mit dem Opfer zu zeigen. Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD) rief bei der Kundgebung unter dem Motto "Potsdam bekennt Farbe" die Bürger zu Zivilcourage auf. "Wir stellen uns der Gewalt und dem Hass entgegen." Die alltäglichen Ausgrenzungen, Beleidigungen und Bedrohungen, von denen Bürger anderer Hautfarbe berichteten, "dürfen wir nicht akzeptieren", sagte Jakobs.
Kritik an Schönbohm und Schäuble
Generalbundesanwalt Kay Nehm kritisierte indirekt den brandenburgischen Innenminister Jörg Schönbohm (CDU). Dieser hatte gesagt, dass die beiden Männer "bei den uns bekannten rechtsextremistischen Organisationen nicht aktiv waren". Auch die vorzeitige Bekanntgabe einer heißen Spur durch Schönbohm am Donnerstagabend war laut Nehm "nicht unbedingt hilfreich für die Ermittlungen".
Unions-Fraktionsvize Wolfgang Bosbach (CDU) sagte unterdessen der "Mitteldeutschen Zeitung" über Schäubles Einlassungen zur Verantwortung der DDR, Rechtsextremismus sei "nicht nur ein Ost-Phänomen". Auch die Bundesregierung distanzierte sich indirekt. Regierungssprecher Ulrich Wilhelm verwies er auf Studien, wonach eine Häufung rechter Straftaten vor allem in Regionen mit hoher Jugendarbeitslosigkeit und unterdurchschnittlicher Wirtschaftskraft zu beobachten sei. SPD-Vorstandsmitglied Niels Annen betonte: "Pauschale Aussagen sind abwegig."
Schäuble hatte am Donnerstag die These vertreten, die Abschottung der Menschen in der DDR sei für Ausländerfeindlichkeit und Rechtsextremismus in den neuen Ländern verantwortlich. Rechtsextreme Stimmung gedeihe dort am meisten, wo wenige Ausländer leben, sagte er im Deutschlandradio Kultur. "Deswegen ist es eher ein Problem, dass in der früheren DDR die Menschen die Erfahrung gar nicht sammeln konnten, was für eine Bereicherung es ist, mit Menschen aus anderen Teilen der Welt zusammenzuleben."
Der Vorsitzende der Linksfraktion, Gregor Gysi, warf Schäuble deshalb am Freitag in Berlin vor, er beleidige mit seinen Aussagen den Osten. Der Hinweis des Innenministers, wonach "auch blonde, blauäugige Menschen Opfer von Gewalttaten" werden, stieß ebenfalls auf scharfe Kritik. Der Innenausschuss-Vorsitzende Sebastian Edathy (SPD) sagte bei n-tv: "Ich habe bisher noch nicht gehört, dass in diesem Land blonde, blauäugige Deutsche Opfer von rechtsextremistischen Taten geworden sind."
Die Ermittler kamen laut Generalbundesanwalt Nehm auch durch Hinweise aus der Bevölkerung auf die Spur der Verdächtigen. Der Wasserbau-Ingenieur hatte noch unmittelbar vor dem Überfall versucht, seine Frau anzurufen. Dabei wurden die Stimmen der mutmaßlichen Täter auf der Mailbox der Frau aufgezeichnet. Das Band, auf dem Worte wie "dreckiger Nigger" zu hören sind, wurde von der Polizei später ins Internet gestellt. Es konnte auch per Telefon abgerufen werden.
"Piepsi" auf Handymailbox erkannt
Die "Bild"-Zeitung berichtete ohne Nennung von Quellen, einer der beiden Verdächtigen gehöre zur rechten Szene. Der 29-Jährige sei Bodybuilder und solle häufig als Türsteher gearbeitet haben. Er sei der Polizei wegen Drogendelikten und Waffenhandels bekannt. Er habe eine ungewöhnlich hohe Stimme. Freunde des Mannes hätten der Polizei gesagt, der 29-Jährige werde wegen seiner Stimme "Piepsi" genannt. Auch auf der Handymailbox ist eine hohe Stimme zu hören.
Lebenslange Freiheitsstrafe droht
Den beiden Tatverdächtigen droht eine lebenslange Freiheitsstrafe. Sie würde verhängt, wenn ihnen ein fremdenfeindliches Motiv und die Tötungsabsicht nachgewiesen würden, sagte der Generalstaatsanwalt des Landes Brandenburg, Erardo Rautenberg, am Freitag im Inforadio des RBB. Den gesetzlichen Strafrahmen für solche Übergriffe wie auf den 37-Jährigen hält Rautenberg für ausreichend.
Quelle: ntv.de