Zehnstündiges Ringen ohne Ergebnis Hartz-IV-Kompromiss lässt auf sich warten
07.02.2011, 07:18 UhrBis tief in die Nacht verhandeln Koalition und Opposition über die überfällige Neuregelung von Hartz IV. Doch trotz eines Vorstoßes der Kanzlerin zeigen sich SPD und Grüne unzufrieden mit den Angeboten der Regierung. Vor allem bei der Höhe des Regelsatzes liegen die Vorstellungen weit auseinander. Eine schnelle Einigung scheint ausgeschlossen.

Da war die Stimmung noch gut: Die Verhandlungsrunde vor dem Marathon.
(Foto: dapd)
Eine Einigung bei der Hartz-IV-Reform steht weiter aus. Die Kompromissgespräche von Koalition und Opposition wurden ohne Ergebnis auf Dienstag vertagt. Zuvor hatten beide Seiten fast zehn Stunden miteinander verhandelt. Damit ist nicht klar, ob die Reform plangemäß am Freitag von Bundesrat und Bundestag verabschiedet werden kann. "Die Wahrscheinlichkeit ist eher gering", zeigte sich Bundesarbeitsministerin von der Leyen skeptisch.
Hauptstreitpunkt ist die Höhe des künftigen Hartz-IV-Regelsatzes. Trotz Annäherungen beim Bildungspaket ist nach wie vor offen, wie das Geld dafür an die Kommunen transferiert werden soll. Keine Annäherung gibt es bisher bei der Forderung nach gleichem Lohn für gleiche Arbeit in der Leiharbeit, wo die Regierungskoalition auf einer Neun-Monatsfrist beharrt.
Verhandlungen bis 3.30 Uhr
"Wir brauchen eine weitere Unterbrechung", erklärte von der Leyen nach der Marathonsitzung. Die Verhandlungen könnten erst abgeschlossen werden, "wenn alle Fragen geklärt sind". Die SPD-Verhandlungsführerin Manuela Schwesig und Grünen-Chef Fritz Kuhn unterstrichen erneut, dass es ohne Zugeständnisse der Koalition in allen drei Verhandlungsfeldern - Regelsatz, Mindestlohn und Bildungspaket - keine Einigung geben könne.
Die Spitzenrunde aus CDU, CSU und FDP sowie SPD und Grünen ging gegen 03.30 Uhr auseinander. Nach Angaben von Teilnehmern hatte die Koalition um eine Unterbrechung gebeten, um sich mit den Parteispitzen zu besprechen. Sollte bis zur nächsten Sitzung des Bundesrates an diesem Freitag kein Verhandlungsergebnis vorliegen, ist eine Sondersitzung der Länderkammer im Gespräch.
Kanzlerin erneuert Angebot

Fritz Kuhn (neben Manuela Schwesig) empfahl genervt: "Wir sollten alle schlafen gehen."
(Foto: dpa)
SPD und Grüne verlangen dem Vernehmen nach, dass bei der Berechnung des Existenzminimums für Langzeitarbeitslose jene nicht berücksichtigt werden, die weniger als 100 Euro im Monat hinzuverdienen. Dadurch würde der Hartz-IV-Regelsatz nicht wie von der Koalition vorgesehen um fünf Euro, sondern um 11 Euro auf 370 Euro im Monat steigen. Kuhn sagte, es gehe darum, die Berechnung "verfassungsfest" zu machen.
Zu Beginn der Verhandlungen hatte die Koalition angeboten, die Kosten der Kommunen für die Grundsicherung armer Rentner komplett zu übernehmen. Im Gegenzug sollen die Kommunen die Kosten für das Bildungs- und Teilhabepaket für Kinder übernehmen, das Zuschüsse zum Schulessen, für Nachhilfe und Vereine vorsieht. Bundeskanzlerin Merkel hatte den Vorstoß, der Bewegung in die festgefahrenen Gespräche bringen sollte, höchstselbst eingefädelt.
Neu war der Vorschlag jedoch nicht. Denn Finanzminister Wolfgang Schäuble hatte schon Anfang November vergangenen Jahres den Kommunen angeboten, die Kosten für die Grundsicherung armer Rentner komplett zu übernehmen - dafür aber Entgegenkommen bei der Reform der Gemeindesteuern verlangt. "Zweimal das gleiche Geschenk, einmal zu Weihnachten, einmal zu Ostern", spottete ein SPD-Unterhändler.
SPD und Grüne vorsichtig
Von der Leyen sagte: "Wir haben ein milliardenschweres Angebot gemacht". Schwesig entgegnete, SPD wie Grüne begrüßten es, dass der Bund hier die Kommunen entlasten will. Damit sei aber immer noch nicht geklärt, wie die Bildungsausgaben garantiert werden.
Die schrittweise Übernahme der Grundsicherung für arme Rentner durch den Bund würde die Kommunen im Zeitraum von 2012 bis 2015 insgesamt um 12 Milliarden Euro entlasten, hieß es aus Regierungskreisen. Diese Entlastung zielt darauf, der Opposition die Zustimmung zum Hartz-IV-Paket schmackhaft zu machen.
Derzeit tragen die Kommunen die Hauptlast der Grundsicherung im Alter. 2009 schlug diese Sozialhilfeleistung mit knapp 3,9 Milliarden Euro zu Buche. Bis 2020 ist nahezu eine Verdoppelung auf 7,2 Milliarden Euro prognostiziert. Die Grundsicherung im Alter kam zuletzt knapp 800 000 armen Rentnern zugute.
Keine Fortschritte bei "Equal Pay"
Auch strengere Regeln für die Zeitarbeit blieben umstritten. Dort sperrte sich die FDP dagegen, die gleiche Bezahlung von Leiharbeitern und Stammbeschäftigten bereits nach einer kürzeren Frist als neun Monaten vorzuschreiben. SPD und Grüne waren mit der Forderung nach einer Frist von vier Wochen in die Verhandlungen gegangen.
"Da hat die FDP eine Betonhaltung", beschwerte sich ein Verhandlungsteilnehmer der Opposition. Zuversichtlich zeigten sich Oppositionsvertreter, dass es für die Zeitarbeit zumindest eine Lohnuntergrenze geben werde. Auch für das Wach- und Sicherheitsgewerbe sowie für die Weiterbildung sei die Einführung eines Mindestlohns im Gespräch.
Das Bundesverfassungsgericht hatte im Februar vergangenen Jahres eine Neuberechnung des Regelsatzes für 4,7 Millionen erwachsene Hartz-IV-Bezieher und mehr Bildungsförderung und Teilhabe für bedürftige Kinder verlangt. Beides ist seit dem 1. Januar überfällig.
Quelle: ntv.de, dpa/rts