Politik

Fragen und Antworten zum Luftangriff Hat Guttenberg gelogen?

Viele Fragen offen: Auch die Zahl der Toten ist ungeklärt  - und bleibt es wohl auch.

Viele Fragen offen: Auch die Zahl der Toten ist ungeklärt - und bleibt es wohl auch.

(Foto: AP)

Die jüngsten Erkenntnisse über den Luftangriff bei Kundus werfen immer neue Fragen auf: Was wusste Verteidigungsminister Guttenberg und hat er die Öffentlichkeit über die wahren Ziele des Bombardements belogen? n-tv.de beantwortet die drängensten Fragen und zeigt, wo noch Klärungsbedarf besteht.

Welche neuen Erkenntnisse gibt es zu dem Luftangriff?

Nach Medienberichten sollen nicht, wie bislang behauptet, die beiden entführten Tanklaster das eigentliche Ziel des Angriffs am 4. September gewesen sein, sondern die Taliban-Kämpfer. Der Angriff mit bis zu 142 Toten wurde bislang damit gerechtfertigt, dass mit den mit Benzin gefüllten Lastern ein Selbstmordanschlag auf das Bundeswehrlager geplant werden könnte.

Hat Guttenberg die Öffentlichkeit belogen?

Alles dreht sich um die Fragen, wann der Verteidigungsminister über welche Details zum Luftangriff informiert war und was er davon öffentlich gemacht hat.

Erster Vorwurf: Guttenberg wusste frühzeitig von zivilen Opfern und vertrat trotzdem die Ansicht, der Luftschlag sein angemessen. Ein wichtiges Datum dabei war der 6. November. An diesem Tag bezeichnete der Verteidigungsminister den Luftangriff noch als "militärisch angemessen" und unausweichlich – auch wenn es zivile Opfer gegeben habe. Doch als am 26. November ein Bericht der Feldjäger bekannt wurde, der von zivilen Opfern spricht, ändert Guttenberg seine Meinung und entlässt Generalinspekteur Wolfgang Schneiderhan und Verteidigungsstaatssekretär Peter Wichert. Sie sollen ihm wichtige Fakten vorenthalten haben. Einen Tag später trat sein Amtsvorgänger Franz Josef Jung zurück. Als Konsequenz aus den neuen Berichten bezeichnete Guttenberg erstmals am 3. Dezember den Luftschlag als "nicht angemessen".

Zweiter Vorwurf: Guttenberg war frühzeitig darüber informiert, dass der Angriff in erster Linie Taliban-Kämpfer töten sollte. Das Verteidigungsministerium hatte die Bombardierung stets damit begründet, die beiden von Taliban entführten Tanklaster zerstören zu wollen. Die getöteten Menschen – ob Kämpfer oder Zivilisten – wurden als Kollateralschaden dargestellt. Nach Medienberichten sollen aber sowohl der NATO-Bericht als auch der persönliche Bericht von Oberst Klein klar benannt haben, dass die Taliban-Kämpfer das eigentliche Ziel des Angriffs waren. Guttenberg hat den Vorwurf der Täuschung zurückgewiesen – auch der Opposition habe bereits seit dem 3. November ein deutscher Bericht vorgelegen, der die Taliban als Ziel des Luftschlags nannte.

Welche Berichte zu dem Luftangriff gibt es und was sagen sie aus?

Ingesamt sollen mindesten zehn Berichte existieren, die sich mit dem Bombardement beschäftigen. All diese Berichte werden geheim gehalten, allerdings sind einige Dokumente oder Details bekannt.

Bericht von Georg Klein:

Oberst Klein handelte offenbar als Kommandeur einer geheimen Einheit.

Oberst Klein handelte offenbar als Kommandeur einer geheimen Einheit.

(Foto: AP)

Bereits einen Tag nach dem Angriff soll der verantwortliche Oberst das Dokument verfasst und an das Verteidigungsministerium weitergeleitet haben. Daraus soll hervorgehen, dass nicht die Tanklaster, sondern die Taliban um sie herum Ziel des Angriffs waren. Sie sollten "vernichtet" werden.

Bericht der Feldjäger:

Er soll detailliert dokumentieren, zu welchem Zeitpunkt Informationen über zivile Opfer vom deutschen Regionalkommando in Masar-i-Scharif an das Einsatzführungskommando in Potsdam übermittelt wurden. So habe ein deutscher Oberstarzt bereits am Abend des 4. September zunächst ein verletztes Kind und später zwei etwa 14 Jahre alte verletzte Jungen nach Potsdam gemeldet. Der Bericht soll nicht an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet worden sein und wurde offenbar inzwischen auf der Internetseite Wikileaks veröffentlicht – allerdings sollen mindestens 20 Seiten fehlen. In dem dort veröffentlichten Bericht wirft der Militärpolizist dem verantwortlichen Oberst Klein indirekt vor, sich nicht mit dem nötigen Einsatz um die Spurensicherung nach dem Angriff gekümmert zu haben. So sei es "offensichtlich" gewesen, "dass der Bombenabwurf zu zahlreichen Toten und Verletzten führen wird bzw. geführt hat, ohne dass unmittelbar vor und nach dem Vorfall adäquat gehandelt wurde". Zudem sei die Ermittlungsarbeit "stark beeinträchtigt" worden.

Bericht der afghanischen Untersuchungskommission:

Demnach wurden 30 Zivilisten und 69 Taliban getötet. Die Kommission lastet den Taliban die Verantwortung an. Präsident Hamid Karsai bezeichnete den Angriff als Fehler, nahm die Bundesrepublik aber zugleich in Schutz.

NATO-Untersuchungsbericht (COM-ISAF-Bericht):

Dieser liegt dem Verteidigungsministerium seit dem 28. Oktober vor und spricht unter Berufung auf afghanische Stammesführer von bis zu 142 getöteten oder verletzten Menschen, darunter 30 bis 40 Zivilisten. Es wird der Schluss nahegelegt, dass mit dem Bombardement gezielt die um die Laster vermuteten Taliban-Kommandeure getötet werden sollten. Die Bundeswehr soll demnach ursprünglich sechs Bomben angefordert haben, die US-Piloten hätten aber widersprochen und sich zuerst für Warnflüge ausgesprochen. Schließlich habe man sich auf zwei geeinigt.

Bericht des Internationalen Roten Kreuzes (ICRC):

Darin sollen die Namen von 74 toten Zivilisten aufgelistet sein, darunter auch die von Kindern. Der Angriff verstoße gegen das Völkerrecht. Der Bericht lag Verteidigungsminister Guttenberg vor seiner Erklärung am 6. November vor, als er den Angriff als "militärisch angemessen" bezeichnete.

War der Luftangriff nach dem Einsatzmandat des Bundestages erlaubt?

Welche Informationen lagen wann vor? Diese Frage muss Guttenberg dringend beantworten (hier bei einem Besuch in Afghanistan Anfang Dezember).

Welche Informationen lagen wann vor? Diese Frage muss Guttenberg dringend beantworten (hier bei einem Besuch in Afghanistan Anfang Dezember).

(Foto: AP)

Das ist umstritten. Dass das Ziel nun offenbar die Taliban selbst waren, verleiht dem Angriff nach Ansicht mancher Experten eine neue Qualität.

Die Bundeswehr ist auf Grundlage der UN-Resolution 1833 (2008) an der International Assistance Force (ISAF) beteiligt, was übersetzt so viel wie Internationale Sicherheitsunterstützungsarmee bedeutet. Ziel des Einsatzes ist "die Unterstützung Afghanistans bei der Aufrechterhaltung der Sicherheit sowie der Schaffung eines sicheren Umfeldes für den Wiederaufbau". Für den Einsatz bildet das NATO-Konzept den Rahmen, heißt es im Mandat des Bundestages.

Je nach Auslegung gehören die verschiedensten Maßnahmen zur Schaffung "eines sicheren Umfeldes", wie es im Mandat heißt. Demnach könnte auch ein gezielter, präventiver Luftschlag eine solche Sicherheit garantieren. Kritiker halten dagegen gezielte Tötungen für "absolut nicht vereinbar" mit dem Auftrag der Bundeswehr. In völkerrechtsrelevanten kriegsähnlichen Situationen gilt grundsätzlich, dass eine militärische Maßnahme durch ihren Nutzen gerechtfertigt wird. Ob das in dem Fall des Luftangriffs gilt, muss gegebenenfalls die Justiz klären.

Die große Mehrheit der Experten spricht von einem "nichtinternationalen bewaffneten Konflikt"; landläufig nennt man das Bürgerkrieg. Sollte die Bundesanwaltschaft das ebenso sehen, sind Handlungen deutscher Soldaten nach dem Völkerstrafgesetzbuch zu beurteilen - was ihnen einen deutlich größeren Spielraum gibt als das normale Strafrecht.

Welche Rolle spielt die Bundeswehr-Elite-Einheit KSK bei dem Angriff?

Anfang Dezember wurde durch die "Bild"-Zeitung bekannt, dass das Kommando Spezialkräfte (KSK) maßgeblich an dem Bombardement beteiligt gewesen sein soll. Der verantwortliche Oberst Georg Klein habe als Kommandeur einer geheimen Einheit Taskforce 47 (TF47) gehandelt, die zur Hälfte aus den Bundeswehr-Elitekämpfern bestanden habe. Der verteidigungspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Rainer Arnold, sagte, es sei durchaus denkbar, dass die KSK den Angriff geführt habe. Damit würde sich erklären, warum bestimmte Meldewege nicht eingehalten worden seien, warum Klein seinen Rechtsberater nicht zu Rate gezogen habe und warum das Hauptquartier der NATO-Truppe ISAF nicht benachrichtigt worden sei.

Ein Sprecher des Verteidigungsministeriums erklärte, die Obleute des Verteidigungsausschusses des Bundestages seien am 6. November über die Existenz der TF47 informiert worden. Nach Angaben von Teilnehmern wurde aber über Beteiligung und Rolle der KSK bei dem Einsatz dabei nicht weiter informiert.

Inwieweit war Bundeskanzlerin Angela Merkel über die Vorgänge informiert?

Das ist eine Frage, die vor allem die Opposition aus SPD, Grünen und Linkspartei in den Raum stellt. "Diese Antwort wird sich ergeben im Untersuchungsausschuss, nachdem wir die Unterlagen, die im Kanzleramt dazu vorhanden sind, dem Ausschuss zur Verfügung stellen", sagte Regierungssprecher Ulrich Wilhelm. Dann solle geklärt werden, welche Informationen dem Kanzleramt zur Verfügung gestanden haben. Umgekehrt wollen Union und FDP in dem Untersuchungsausschuss auch klären, inwieweit der damalige Außenminister und heutige SPD-Fraktionsvorsitzende Frank-Walter Steinmeier über den Luftangriff informiert war. Der Untersuchungsausschuss soll am 16. Dezember seine Arbeit aufnehmen, ihm gehören die Mitglieder des Verteidigungsausschusses an.

Quelle: ntv.de

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