Politik

"Egoistische Unnachgiebigkeit" in der Eurokrise Hollandes Partei greift Merkel an

Man beäugt sich: Merkel und Hollande.

Man beäugt sich: Merkel und Hollande.

(Foto: REUTERS)

Von einer tödlichen Politik ist die Rede, von Thatcherismus und dem Egoismus der Kanzlerin. Mit drastischen Worten kritisieren Frankreichs Sozialisten die Krisenpolitik der EU - und bringen so ihren eigenen Präsidenten in Bedrängnis. Selbst bei europäischen Parteifreunden sorgt das für Kopfschütteln. Die Kritik an der Kritik ist so stark, dass die Sozialisten den Text abschwächen wollen.

Auf der Suche nach einem Ausweg aus der Wirtschaftskrise ihres Landes nehmen Frankreichs Sozialisten die Sparpolitik Europas und Angela Merkel ins Visier. In einem rund 20-seitigen Papier, das am 16. Juni auf einer Parteikonferenz vorgestellt werden soll, gehen sie auf Konfrontationskurs zu Deutschland und bringen Frankreichs Präsidenten François Hollande in Bedrängnis.

Die Politik der EU sei durch ihre Mischung aus politischen Tendenzen des Thatcherismus des derzeitigen britischen Premierministers und der egoistischen Unnachgiebigkeit von Kanzlerin Merkel "tödlich", wie die Zeitung "Le Figaro" aus dem Papier zitierte. Merkel denke "an nichts anderes als an die Spareinlagen der Anleger jenseits des Rheins, an die von Berlin verzeichnete Handelsbilanz und an die nächsten Wahlen", hieß es in dem Text weiter.

In dem Text stellen sich die Autoren die Frage, welche Ausmaße die Schuldenkrise in Europa noch annehmen muss, bis Merkel "endlich anfange", über die Vergemeinschaftung eines Teils der Schulden der Mitgliedsstaaten nachzudenken. "Die Freundschaft zwischen Frankreich und Deutschland meint nicht Freundschaft zwischen Frankreich und der Europapolitik der Kanzlerin", zitierte die Zeitung weiter.

Gemeinsam feierte man den 50. Jahrestag des Elysée-Vertrages, aber das Verhältnis ist längst angespannt.

Gemeinsam feierte man den 50. Jahrestag des Elysée-Vertrages, aber das Verhältnis ist längst angespannt.

(Foto: dpa)

Ministerpräsident Ayrault mahnte im Kurznachrichtendienst Twitter, die deutsch- französische Freundschaft sei entscheidend, um "dem europäischen Projekt neuen Schwung zu geben und den Weg zurück zum Wachstum zu finden". In auf Französisch und Deutsch verbreiteten Twitter-Mitteilungen betonte er: "Ohne einen intensiven und ehrlichen Dialog zwischen Deutschland und Frankreich werden wir die Probleme Europas nicht lösen."

Die Sozialisten änderten nach eigenen Angaben ihr Papier inzwischen so ab, dass Merkel keine große Rolle mehr spielt. Das sagte Jean-Christophe Cambadélis, der in der Parteiführung für internationale Fragen zuständig ist, der Nachrichtenagentur AFP. "Es geht um die politische Auseinandersetzung, nicht um die Stigmatisierung einer Person", sagte er. Die Passagen über Merkel seien von einem Parteikomitee "beseitigt" worden. Die Partei wolle einen "politischen Kampf führen und nicht eine bestimmte Partei stigmatisieren". Am Dienstag soll der Text der Parteiführung der Sozialisten vorgelegt werden.

Steinmeier wirbt um Verständnis

Der aus Frankreich stammende EU-Binnenmarktkommissar Michel Barnier, der dem konservativen Lager angehört, kritisierte die Aktion der Sozialisten. Barnier schrieb bei Twitter: "Bestimmte französische Angriffe gegen Angela Merkel sind unsinnig ... Es gibt keinen Ausweg aus der Krise ohne eine konstruktive Zusammenarbeit zwischen Frankreich und Deutschland." Er riet seinen Landsleuten, Deutschland als Vorbild zu nehmen in den gut funktionierenden Bereichen wie etwa der Tarifpolitik oder Haushaltskonsolidierung.

Für die Konservativen befinden sich die deutsch-französischen Beziehungen schon seit  einiger Zeit in Schieflage. Die Stimmung zwischen den beiden Ländern sei "so schlecht wie selten zuvor", klagte Frankreichs Ex-Premierminister François Fillon, der von 2007 bis 2012 unter Präsident Nicolas Sarkozy Regierungschef war.

Allerdings hatten auch etliche CDU-Politiker in dieser Woche Frankreichs Regierung aufgefordert, endlich mit Reformen und dem Sparen zu beginnen, nachdem die Regierung in Paris ein höheres Haushaltsdefizit als geplant verkündet hatte. Bundeskanzlerin Merkel und Hollande haben bisher einen offenen Streit trotz deutlicher Meinungsverschiedenheiten in der Wirtschafts- und Haushaltspolitik bewusst vermieden. Hollande spricht von einer Beziehung der "freundschaftlichen Spannungen". Hollande gerät innenpolitisch wegen der steigenden Arbeitslosenzahlen in Frankreich und der wesentlich besseren wirtschaftlichen Situation in Deutschland immer mehr unter Druck.

Angesichts des innenpolitischen Drucks auf Hollande warnte SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier die Bundesregierung davor, Frankreichs Kurs in der Schulden-Krise zu verurteilen. "Das könnte das deutsch-französische Verhältnis und damit den wesentlichen Stützpfeiler Europas nachhaltig beschädigen", sagte er der Nachrichtenagentur Reuters. Zugleich mahnte Steinmeier Reformen in Frankreich an: Mit Blick auf die Strukturreformen der "Agenda 2010" der früheren rot-grünen Bundesregierung sagte er: "Am Ende mussten wir die Erfahrung machen, dass doch die Politik die Entscheidungen, gerade die unpopulären, in die Hand nehmen muss. Und deswegen wird es auch in Frankreich auf Francois Hollande ankommen."

Hoffnung auf Regierungswechsel in Berlin

Die Frankreich-Expertin der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP), Claire Demesmay, äußerte sich besorgt, dass in der sozialistischen Partei wegen der Unzufriedenheit nun ein Feindbild gesucht werde. Auch in der Bundesregierung herrscht nach Angaben aus Regierungskreisen die Meinung vor, dass der parteiinterne Druck bei den Sozialisten nun auf Deutschland umgelenkt werden solle. "Hollande hofft zudem auf einen Regierungswechsel bei der Bundestagswahl", sagte CDU/CSU-Fraktionsvize Andreas Schockenhoff.

EU-Parlamentspräsident Martin Schulz kritisierte derweil die Sparpolitik in einzelnen EU-Ländern als "viel zu weitgehend". "Das Argument, dass mit der Reduzierung der öffentlichen Haushalte das Vertrauen der Investoren zurückkommt, ist falsch", sagte der SPD-Politiker der belgischen Zeitung "L'Echo". Keine nationale Wirtschaft erhole sich ohne eine neue Wirtschaftspolitik mit "strategischen Investitionen". Schulz sagte weiter, für das übermäßige Sparen sei nicht allein Merkel verantwortlich. Deutschland habe nur eine Stimme, und im Europäischen Rat säßen noch "26 andere Chefs mit am Tisch".

Auf dem Parteikongress der portugiesischen Sozialisten in Santa María da Feira sagte Schulz, die einseitige Politik der Schuldensenkung habe ausgedient. Er rief zum Kampf für mehr Gerechtigkeit auf und forderte eine bessere Verteilung des Reichtums. Nötig seien vor allem Reformen zur Schaffung von Arbeitsplätzen für junge Leute. "Es ist inakzeptabel, dass 50 Prozent der jungen Menschen in Europa keine Arbeit haben, das zerstört die Gesellschaft", so Schulz.

Auch der belgische Ministerpräsident Elio Di Rupo beklagte eine aus seiner Sicht übertriebene Sparpolitik. In den kommenden Monaten müsse diese Tendenz in der EU bekämpft werden, sagte er der Zeitung "La Libre Belgique". Die Euro-Zone sei dadurch in Sachen wirtschaftliche Erholung in der Welt schlecht aufgestellt.

Quelle: ntv.de, dpa/AFP/rts

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