Chance auf einen Neustart Holt Stoltenberg die Nato aus der Krise?
01.10.2014, 11:31 Uhr
Der neue Nato-Generalsekretär kommt aus Norwegen - und damit aus einem Nachbarland Russlands.
(Foto: REUTERS)
Die Nato bekommt einen neuen Generalsekretär. Der Norweger Jens Stoltenberg bringt die richtigen Eigenschaften mit, das Verhältnis zu Russland zu entspannen.
Es kommt der Nato ganz gut gelegen, dass sie gerade jetzt ihren Generalsekretär auswechseln kann. Der alte hat gute Dienste geleistet, doch die Situation des Bündnisses ist so verfahren, dass jede Bewegung guttun kann.
Denn eigentlich hatte sich der Westen damit abgefunden, seine Allianz mehr als eine internationale Eingreiftruppe zu sehen. Die Nato kämpfte gegen Terroristen und Piraten oder half Ländern wie dem Kosovo und Bosnien. Und nun ist auf einmal der Ost-West-Konflikt wieder da. Die Rhetorik heizt sich auf, Russland lässt seine Kampfjets immer mal wieder an die Grenzen anderer Staaten heranfliegen, mehrfach stießen sie zuletzt in den finnischen Luftraum vor, einmal sogar in den der USA. Die Nato ihrerseits verlegt Truppen näher an Russland heran und will ihre Fähigkeit verbessern, schnell auf Angriffe zu reagieren.
Der neue heißt Jens Stoltenberg
Der bisherige Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen fand zum Abschied harsche Worte: "Wir stehen an der Front einer neuen Schlacht, einer Schlacht zwischen Toleranz und Fanatismus, zwischen Demokratie und Totalitarismus, zwischen offenen und geschlossenen Gesellschaften." Das kann man so sehen, besonders diplomatisch ist es aber nicht, es auch so zu sagen. Denn die Aufgabe der Nato ist es, ihre Mitglieder zu beschützen – und nicht etwa, anderen Gesellschaften Demokratie und Toleranz beizubringen.
Eine rhetorische Abrüstung kann nicht schaden. Und da kommt Rasmussens Nachfolger gerade Recht: Auf den Dänen folgt der Norweger Jens Stoltenberg, bis vor wenigen Monaten Ministerpräsident seines Landes. Er gilt als ruhig, besonnen und kompromissbereit. Sogar als "konfliktscheu" wird er beschrieben. In seiner Biografie gibt es einige Ereignisse, die nun zum Beleg für diese Charakterzüge herangezogen werden: Da ist die eindrucksvolle Reaktion auf die Anschläge von Oslo und Utøja, bei denen 77 Menschen starben – eine Provokation an Norwegens offene Gesellschaft, von der sich Stoltenberg nicht beirren ließ. Er widerstand dem kurzfristigen Reflex, als Reaktion die Sicherheitsmaßnahmen im Land zu verstärken.
Unangenehme Aufgaben sind schon erledigt
Und da ist der Konflikt um die Barentssee, das fischreiche arktische Meer, unter dem große Mengen Öl und Gas lagern. Seit den 1970er Jahren stritten Norwegen und Russland um die genaue Grenzziehung, Stoltenberg gelang der Durchbruch in den Verhandlungen. Allerdings musste er auch nicht mit Wladimir Putin verhandeln, sondern mit Dimitri Medwedew, der damals vorübergehend Präsident war. Dennoch könnte dieser Verhandlungserfolg der entscheidende Eintrag in Stoltenbergs Lebenslauf sein, der ihm nun zum neuen Job verhalf.
Stoltenberg hat das Glück, dass sein Vorgänger einige unangenehme Aufgaben bereits erledigt hat. Unter seiner Leitung vollzog das Bündnis auf seinem Gipfel in Wales den Kurswechsel als Reaktion auf die Aggressionen aus Russland. Stoltenberg muss diesen Kurswechsel nun organisieren, aber nicht mehr politisch durchsetzen und verteidigen.
Wenn Rasmussen auf einmal sanfte Töne gegenüber Russland angeschlagen hätte, wäre ihm das als Einknicken und damit als Schwäche ausgelegt worden. Stoltenberg kann wesentlich vorsichtiger agieren als sein Vorgänger, ohne sein Gesicht zu verlieren. Den unter dem Krieg in der Ukraine leidenden Menschen könnte das zugutekommen. Denn sie wollen vor allem wieder in ihre Häuser zurückkehren. So sehr sich die Nato in der "Schlacht zwischen Toleranz und Fanatismus" im Recht sieht, so klug kann es sein, nicht um jeden Preis auf diesem Recht zu beharren.
Quelle: ntv.de