Politik

Christian Lindner - Retter oder Bestatter der FDP? "Ich spreche lieber über die Zukunft"

Lindner: "Gäbe es sie nicht schon, müssten wir die FDP jetzt erfinden."

Lindner: "Gäbe es sie nicht schon, müssten wir die FDP jetzt erfinden."

(Foto: REUTERS)

Als Generalsekretär konnte Christian Lindner die FDP nicht erneuern. Jetzt soll er sie als Parteichef retten. Mit n-tv.de spricht der 34-Jährige über seine Sorgen angesichts einer Großen Koalition und über seine Pläne für die Liberalen. Fragen über seine Rolle als Hoffnungsträger weicht er aus.

n-tv.de: Schon kurz nach der Bundestagswahl interessierten sich selbst renommierte Tageszeitungen vor allem für Ihre Haartransplantation. Ist die FDP nur noch ein Fall für die Klatschspalte?

Christian Lindner: Das sehe ich gelassen. Als Liberaler bin ich Anhänger der Pressefreiheit. Wenn Sie andere journalistische Qualitätsvorstellungen haben, müssen Sie das mit Ihren Kollegen besprechen. Aber Sie scheint das Thema ja auch umzutreiben.

Am 22. September erleben Spitzenliberale wie Rainer Brüderle und Philipp Rösler (l.) die wohl bittersten Stunde ihrer politischen Karrieren.

Am 22. September erleben Spitzenliberale wie Rainer Brüderle und Philipp Rösler (l.) die wohl bittersten Stunde ihrer politischen Karrieren.

(Foto: REUTERS)

Die Medienberichterstattung spiegelt womöglich die Stimmung in der Gesellschaft. Einen Schock, dass die Partei nach mehr als 60 Jahren im Bundestag plötzlich nicht mehr dazugehört, gab es zumindest nicht. Das ernsthafte Interesse nimmt ab.

Natürlich gibt es einen Unterschied zwischen einer Regierungspartei und der außerparlamentarischen Opposition. Am Ende entscheiden aber Argumente. Im aktuellen Deutschen Bundestag gibt es keine Stimme, die zuerst den Bürgern vertraut und erst dann auf den Staat setzt – von der Marktwirtschaft bis zu den Bürgerrechten reicht diese Lücke. Daher kann ich mich über mangelnde Aufmerksamkeit nicht beklagen. Mich erreichen mehr Einladungen, als ich annehmen kann. Außerdem steigen seit der Bundestagswahl unsere Mitgliederzahlen. Viele freiheitsliebende Menschen ergreifen Partei, damit die Parlamentspause nicht zu lange wird.

In einem halben Jahr ist Europawahl und die Partei droht, selbst an der Drei-Prozent-Hürde zu scheitern.

Was sollen aktuelle Umfragen messen? Die FDP ist gerade erst dabei, sich neu aufzustellen. Wir legen das Fundament auf unserem Bundesparteitag Anfang Dezember, politisch und personell.

Worauf setzen Sie bei der Europawahl?

Wir arbeiten für ein Europa, das marktwirtschaftlicher, bürgernäher und demokratischer wird. Bei den großen, strategischen Fragen ist mehr gemeinsames Handeln nötig – ich denke an Datenschutz und Energiepolitik. Das sind Aufgaben, die rein sachlogisch nicht mehr im nationalen Rahmen gelöst werden können. Andererseits brauchen wir kein Europa, das den Alltag bürokratisiert und Transfers nach dem Vorbild des deutschen Länderfinanzausgleichs organisiert. Deutschland hat unter schwarz-gelber Regierungsverantwortung in den vergangenen vier Jahren deshalb für einen stabilitätsorientierten Kurs in der Euro-Zone gesorgt. Solidarität im Austausch mit Reform für mehr Wettbewerbsfähigkeit – das muss fortgesetzt werden. Dafür braucht es in den Euro-Staaten mit strukturellen Problemen politische Konzepte nach dem Vorbild der Agenda 2010 in Deutschland.

Die Agenda 2010 haben Sozialdemokraten erfunden. Braucht es dafür die FDP?

Wie man dieser Tage überall lesen kann, verabschiedet sich die SPD von der Agenda 2010 – und die Union gleich mit. Unser Ziel ist, die finanzpolitische Eigenständigkeit der einzelnen Euro-Staaten wiederherzustellen. Es gibt in der Euro-Zone beachtliche Fortschritte, weshalb die Extrempositionen der AfD heute ökonomisch überholt und zum Schaden der Bürger sind. Allerdings darf der Reformdruck auch nicht reduziert werden, worauf Konzepte der SPD und möglicherweise dann später der Großen Koalition hinauslaufen. Im Moment wird zum Beispiel über einen gesamteuropäische Abwicklungsfonds für Banken beraten, durch den am Ende die deutschen Sparer für marode Banken in Krisenländern haften sollen. Das wäre die Transferunion durch die Hintertür.

Lassen Sie uns auf die Bundespolitik schauen: Mit der SPD verhandelt die Union über Mindestlöhne, Steuererhöhungen und Mietpreisbremsen. Bereitet Ihnen auch das Sorgen?

Ich bin in der Tat in Sorge, dass die gegenwärtige Stärke unseres Landes, die sich an einem exzellenten Arbeitsmarkt und vollen öffentlichen Kassen festmacht, leichtfertig verspielt wird. Die großen wesentlichen Themen, um die es gehen müsste, sind unsere Privatsphäre in Zeiten der Durchdringung des Alltags mit elektronischen Medien, die marktwirtschaftliche Neugestaltung der Energiewende und auch die Solidität unserer öffentlichen Finanzen, damit der Staat sich aus der Abhängigkeit seiner Gläubiger befreit. All das gehen Union und SPD nicht an. Stattdessen sehen wir sehr viel Klein-Klein, neue bürokratische Fesseln und viel Gefälligkeitspolitik.

Wer ist schuld daran?

Es gibt mehr Posten, mehr Schulden, mehr Abgaben - man hat den Eindruck, dass die SPD die Bundestagswahl gewonnen hat. Es überrascht mich, in welchem Tempo die Union widerstandslos die Prinzipien der christlich-liberale Koalition der letzten vier Jahr aufgibt. Auch viele Wähler der Union werden sich die Augen reiben. In den Debatten im Deutschen Bundestag wird diese Große Koalition dann von Linken und Grünen dafür angegriffen, dass sie zwar mehr Staat, aber immer noch nicht genug Staat, zwar mehr Ausgaben, aber immer noch nicht genug Mehrausgaben, zwar mehr Bürokratie, aber immer noch nicht genug Bürokratie beschlossen hat. Eine Stimme, die zu Maß und Mitte anhält, fehlt.

Viele Liberale haben die Hoffnung, dass Sie dieser Stimme wieder Nachdruck verleihen können. Wie fühlt es sich an, die letzte Hoffnung zu sein?

Als Kandidat für den Parteivorsitz biete ich meiner Partei an, sie in dieser schwierigen Phase zu führen. Mehr denn je kommt es jetzt jedoch darauf an, unsere Kräfte und Ideen zu bündeln. Liberale sind Individualisten, aber wir werden nur als Team wieder erfolgreich sein.

Es gibt da einen Widerspruch: Die Hoffnung in Sie ist groß. Dabei hatten Sie als Generalsekretär doch schon einmal Gelegenheit, die Partei neu auszurichten.

Nein, das Amt des Generalsekretärs hat einen dienenden Charakter für den Parteivorsitzenden.

War Ihnen das bewusst, bevor Sie den Posten übernahmen?

Ja, ich war ja bereits fünf Jahre Generalsekretär in Nordrhein-Westfalen. Danach habe ich dieses Amt zwei Jahre im Bund bekleidet. Leider hat sich die Zusammenarbeit mit dem Parteivorsitzenden Philipp Rösler nicht so entwickelt, wie wir es uns erhofft haben.

Was stimmte an der Zusammenarbeit nicht?

Das ist Vergangenheit. Ich spreche lieber über die Zukunft.

Welche Konsequenzen werden Sie daraus ziehen, wenn Sie die Hoffnungen in Sie enttäuschen und das Projekt "Wiederbelebung FDP" unter Ihrer Führung scheitert?

Bisher bin ich nur Kandidat. Bevor Sie schon eine Bilanz meiner Amtszeit ziehen, lassen Sie mich das Amt doch erst einmal ausüben. Ich mache mir keine Illusionen, dass es eine leichte Zeit ist. Ich bin aber auch sicher, dass wir es schaffen werden. Mögen wir auch unvollkommen sein, mit jedem Tag, an dem ich die Koalitionsverhandlungen beobachte, zeigt sich mir deutlicher: Eine Partei wie die FDP wird eben doch gebraucht. Gäbe es sie nicht schon, müssten wir sie jetzt erfinden.

Mit Christian Lindner sprach Issio Ehrich

Quelle: ntv.de

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