NATO-Gipfel bei Markus Lanz "Im Krieg geht es um Kämpfen, Töten und Sterben"
12.07.2023, 04:46 Uhr Artikel anhören
Pistorius will 4000 Soldaten im Baltikum stationieren: Militärexperte Neitzel (Bild) nennt die Entscheidung "beachtlich".
(Foto: picture alliance / Geisler-Fotopress)
Der türkische Präsident Erdogan will Schwedens NATO-Mitgliedschaft unterstützen, hieß es zu Beginn des Gipfeltreffens in Vilnius. Von einer Überraschung spricht Militärexperte Sönke Neitzel bei Markus Lanz. Zudem sind Pistorius' Pläne mit der Bundeswehr im Baltikum und Streumunition für die Ukraine Themen der Talkrunde.
Das zweitägige Gipfeltreffen der NATO-Mitgliedsstaaten hat am Dienstag in der litauischen Hauptstadt Vilnius begonnen. Und gleich gab es den ersten Erfolg: Der türkische Präsident Erdogan will Schweden beim Eintritt in das Verteidigungsbündnis unterstützen. Für den Militärhistoriker Sönke Neitzel war das eine Überraschung, sagt er in der ZDF-Talkshow Markus Lanz, in der sich die Gäste unter anderem über den Gipfel unterhalten.
Ursprünglich hatte Erdogan seine Unterstützung von Beitrittsgesprächen mit der EU abhängig machen wollen, glaubt Neitzel. Hat Erdogan die EU vielleicht sogar erpresst? Nein, stellt Pioneer-Chefredakteur Michael Bröcker in der gleichen Sendung klar. Er habe am Dienstag ein Gespräch mit dem türkischen Botschafter in Berlin geführt. Der habe ihm gesagt, Erdogan habe nur den Wunsch geäußert, dass die Türkei EU-Mitglied werden könne. Erdogan wolle sich in seiner neuen Amtszeit wieder der EU nähern und sich von Russlands Präsident Wladimir Putin distanzieren. "Mit Schweden hat er einen Partner, der in den nächsten Jahren für die Türkei kämpfen muss", so Bröcker. Der türkische Präsident habe für seine Zustimmung Diskussionen über eine Zollunion und über die Visafreiheit für türkische Einwanderer herausgeholt.
Deutsche Truppen im Baltikum Paukenschlag
Neitzel erinnert daran, dass US-Präsident Joe Biden der Türkei auch die Lieferung von F16-Kampfflugzeugen in Aussicht gestellt habe. "Für die NATO ist es gut, dass Schweden dabei ist", erklärt der Militärhistoriker. Schweden habe eine starke Marine, während Finnland über eine gut ausgerüstete Armee verfüge. Seit der Besetzung der Krim durch Russland im Jahr 2014 denke die NATO darüber nach, wie sie im Fall eines russischen Angriffs die baltischen Staaten verteidigen könne. "Mit dem Beitritt von Finnland und Schweden ist die geostrategische Situation nun viel besser", so Neitzel.
Ein Paukenschlag sei die Ankündigung von Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius gewesen, 4.000 Soldaten im Baltikum zu stationieren. Neitzel: "Ein wichtiger politischer Schritt, und ich würde auch aus militärischen Gründen so argumentieren. Das ist Pistorius sehr hoch anzurechnen. Da ist Deutschland mal vor der Welle. Ich finde das positiv beachtlich."
Streumunition für die Ukraine
Die Ankündigung der USA, der Ukraine Streumunition zu liefern, ist auf ein geteiltes Echo gestoßen. Dabei handelt es sich um Sprengkörper, die sich in kleine Sprengkörper teilen und so eine relativ große Fläche abdecken können. Allerdings explodiert nur ein Teil davon, etwa 30 bis 40 Prozent der kleinen Geschosse bleiben als Blindgänger zurück. Darum ist es gefährlich, nach einem Einsatz von Streumunition das entsprechende Gebiet zu betreten. 110 Staaten haben den Einsatz von Streubomben geächtet, auch Deutschland. Die USA, China, Russland und die Ukraine gehören nicht dazu.
Für Neitzel ist der Einsatz von Streubomben im Ukrainekrieg vergleichsweise unproblematisch. Sowohl Russland als auch die Ukraine hätten sie schon verwendet. "Die Ukraine kämpft um ihr Überleben. Und der Krieg ist noch nicht entschieden. Die Frage ist, ob es den ukrainischen Staat in zwei Jahren noch gibt. Die Ukraine versucht, die russischen Verteidigungsanlagen zu durchbrechen, die Munition kann bei den Grabensystemen hilfreich sein. Darum würde ich mich schwertun, der Ukraine den Einsatz von Streubomben zu verbieten." In einem Krieg gehe es um Kämpfen, Töten und Sterben, sagt Neitzel. "Es gibt keinen guten Krieg."
Und die russische Menschenrechtlerin Irina Scherbakowa wünscht sich am Ende der Sendung, die Ukraine müsse Erfolge vorweisen. Dann könne auch in Russland die "Menschenfresserzeit", die unter Präsident Wladimir Putin angebrochen sei, zu Ende gehen. Die Mitgründerin der russischen Menschenrechtsorganisation Memorial sagt bei Lanz: "Die Ukraine hat den Krieg als Staat nicht verloren. Wir wissen nicht, wie der Sieg aussieht. Aber den Kampf um die Unabhängigkeit hat die Ukraine schon jetzt nicht verloren."
Quelle: ntv.de