Politik

Keine Spur von Edward Snowden Im Labyrinth der Transitzone

Im Transit-Hotel "Luft Express". Länger als eine Nacht darf man hier eigentlich nicht bleiben.

Im Transit-Hotel "Luft Express". Länger als eine Nacht darf man hier eigentlich nicht bleiben.

(Foto: AP)

Vielleicht befindet sich Edward Snowden in einer der VIP-Lounges des Moskauer Flughafens Scheremetjewo, oder in einem Zimmer des zum Transitbereich gehörenden Kapselhotels "Luft-Express". n-tv Reporter Dirk Emmerich hat auf dem Flug nach Kiew einmal nachgeschaut.

Im Transitbereich von Scheremetjewo.

Im Transitbereich von Scheremetjewo.

(Foto: REUTERS)

Moskau, Flughafen Scheremetjewo - Passkontrolle für Reisende aus dem Ausland, deren Endziel nicht hier ist. Sie benutzen Moskau als Zwischenstopp, als Transit. So auch ich, mein Reiseziel ist Kiew, die Hauptstadt der Ukraine. Weiterflug in drei Stunden. Ein Visum, sonst für die Russische Föderation streng vorgeschrieben, wird nicht verlangt.

Genau drei Tage vor mir hat der US-Geheimdienstexperte Edward Snowden diese Kontrolle passiert. Er war am letzten Sonntag mit dem Aeroflot-Flieger SU-213 aus Hongkong hier in Scheremetjewo, einem der drei großen Moskauer Airports, angekommen. Zeitpunkt der Weiterreise und Endziel unbekannt.

Hinter der Passkontrolle verlieren sich seine Spuren für den normalen Beobachter in einem riesigen Transitbereich. Niemand hier kann sich an ihn erinnern, niemand hat ihn fotografiert oder gefilmt, angeblich auch die Überwachungskameras des Airport nicht, von denen es hier etliche gibt. Der Transitbereich, der vier Terminals miteinander verbindet, gleicht einem Konglomerat aus Duty-Free-Malls, Restaurants, Cafés und unzähligen Lounges der verschiedenen Fluggesellschaften. Und dann gibt es, wie auf jedem Airport, auch noch jede Menge verschlossener Türen. In diesem Labyrinth jemanden wie den 30-jährigen Edward Snowden zu finden, ist unmöglich. Dennoch sind, angestachelt von dem Fall, eine Reihe von Journalisten unterwegs. Gefunden oder gesehen hat ihn bislang jedoch niemand.

Der Lachs und der Braunbär

Aber natürlich ist der im Augenblick meistgesuchte Mann der USA hier nicht einfach irgendwie abgetaucht. Es ist schwer vorstellbar, dass der russische Geheimdienst nicht sofort den Kontakt zu Snowden gesucht hat. Möglich ist sogar, dass er seine Finger bei der Einfädelung der spektakulären Flucht aus Hongkong mit im Spiel hatte.

Blick in ein Zimmer des Hotels.

Blick in ein Zimmer des Hotels.

(Foto: REUTERS)

Vielleicht befindet sich Edward Snowden in einer der VIP-Lounges oder, das glauben inzwischen die meisten hier, in einem Zimmer des zum Transitbereich gehörenden Kapselhotels "Luft-Express". Streng abgeschirmt.

Die Enthüllungen des Whistleblowers über die Überwachungspraktiken US-amerikanischer und britischer Geheimdienste sind propagandistische Munition für die Russen, die seit einiger Zeit wieder einen mehr oder weniger deutlichen Abgrenzungskurs zum Westen, insbesondere zu den USA, fahren. Das Magazin "Time" schreibt, für Moskau sei Snowden fast so, als springe einem hungrigen Braunbären ein Lachs direkt in die Pranken.

Er ist ein Faustpfand gegen die US-Amerikaner und natürlich auch eine große Versuchung, den Geheimdienst-Experten über die Praktiken der NSA abzuschöpfen. Moskauer Zeitungen spekulieren, dass Russland einige der Möglichkeiten und Spielarten der Cyberspionage durchaus selbst nutzbar machen könnte.

Für Putin ist Snowden ein freier Mann

Der Fall ist längst zu einem Präzedenzfall im diplomatischen Poker zwischen Moskau und Washington geworden. Eine Auslieferung lehnt Moskau weiterhin ab. Wie wichtig das alles für den Kreml ist, zeigt auch die Tatsache, dass sich Präsident Wladimir Putin eingeschaltet hat. Zu Beginn der Woche erklärte er auf einer Auslandsreise in Helsinki, Snowden sei "ein freier Mann", der die russische Staatsgrenze offiziell nicht übertreten und in Russland auch keine Verbrechen begangen habe. Zudem gebe es kein Auslieferungsabkommen mit den USA.

"Die Drohungen der USA werden kein Resultat bringen", twitterte der Chef des Auswärtigen Ausschusses in der Staatsduma, Alexej Puschkow. Er lobte Snowden als "modernen Dissidenten". Der Whistleblower sei kein Spion, da er Informationen nicht für Geld, sondern aus Überzeugung preisgegeben habe, schrieb Puschkow. Michail Fedotow vom Kreml-Menschenrechtsrat will Snowden sogar politisches Asyl anbieten. "Wer Operationen der Geheimdienste aufdeckt, die die Sicherheit Tausender bedrohen, verdient Asyl", sagte er der Agentur Itar-Tass.

Dirk Emmerich, n-tv Reporter.

Dirk Emmerich, n-tv Reporter.

Die USA beharren hingegen auf einer Auslieferung des "Verräters". Dafür gebe es, anders als von Moskau dargestellt, durchaus eine "eindeutige juristische Grundlage". Washington hat nämlich den US-Pass des 30-Jährigen annulliert. Er besitzt demnach keine gültigen Dokumente mehr. Aus Moskauer Sicht dürfte dies Ansichtssache sein, zumal er im Transitbereich gar keinen Pass benötigt.

Dennoch bewegt sich die Moskauer Argumentation auf dünnem Eis. Nach der Hausordnung des Flughafens Scheremetjewo dürfen sich Ausländer maximal 24 Stunden im Transitbereich aufhalten, bevor sie mit einem gültigen Flugticket weiterreisen. Diese Frist ist längst verstrichen.

Ausgang ungewiss

Spekuliert wird, dass Snowden doch noch über Kuba nach Ecuador fliegen wird, wo er Asyl beantragt hat. Doch die Flieger Richtung Havanna blieben bislang leer. Aeroflot hat außerdem mitgeteilt, dass es bis Freitag keine Buchungen auf den Namen Snowden gebe, weder nach Havanna noch irgendwo andershin.

Vielleicht hat Snowden inzwischen wirklich Schwierigkeiten, eine einfache Weiterreise zu buchen, denn dass Washington seinen Pass annulliert hat, dürften alle Airlines in Moskau wissen, selbst wenn es dem Pass nicht anzusehen ist. Spätestens beim digitalen Check beim Check-In würde allerdings ein Warnsignal aufleuchten.

Ist Snowden am Ende vielleicht gezwungen, Asyl in Russland zu beantragen? Dann müsste er sein Wissen wohl oder übel mit den Russen teilen. Will er das? Für Moskau wäre dies ein beispielloser Propaganda-Erfolg und eine kaum dagewesene Brüskierung der USA. Das Spiel geht weiter, Ausgang ungewiss. Wo immer sich Edward Snowden jetzt im Augenblick wirklich befindet.

Moskau, Flughafen Scheremetjewo - bei meinem Weiterflug nach Kiew mit einem gültigen Flugticket gibt es keine weitere Passkontrolle. Ich komme ja aus dem Transitbereich.

Quelle: ntv.de

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