Lashkar-e-Taiba-Chef Indien identifiziert Attentäter
02.12.2008, 21:30 UhrDie indische Polizei geht offenbar davon aus, dass einer der Chefs der pakistanischen Gruppe Lashkar-e-Taiba der Drahtzieher der Anschläge von Bombay gewesen ist. Wie das "Wall Street Journal" unter Berufung auf ungenannte Polizeiquellen berichtete, soll Yusuf Muzammil per Satelliten-Telefon zwei Tage vor den Attacken mit den Angreifern gesprochen haben. In einem weiteren Telefon, das in einem entführten Fischerboot gefunden wurde, sollen zudem sein Name sowie die Namen von vier weiteren Rebellenführern gespeichert gewesen sein. Von der indischen Polizei war zunächst keine Stellungnahme zu erhalten.
Der einzig überlebende Angreifer hatte bei Verhören ausgesagt, dass alle Angreifer pakistanische Staatsbürger gewesen seien, wie mehrere indische Zeitungen unter Berufung auf Geheimdienstkreise berichteten. Der Festgenommene gab demnach an, dass alle Kämpfer von der Rebellengruppe Lashkar-e-Taiba trainiert worden seien.
Inzwischen verlangt Indien von Pakistan als Geste des guten Willens die Auslieferung von rund 20 Terrorismusverdächtigen. Dies habe seine Regierung in einer Protestnote gefordert, sagte Außenminister Pranab Mukherjee und warnte vor einer Gefährdung des Friedensdialogs mit Pakistan. Regierungskreisen zufolge geht es dabei um Verdächtige, die Indien schon seit Jahren im Zusammenhang mit früheren Anschlägen sucht. Pakistan rief das Nachbarland zur Besonnenheit auf und bot eine gemeinsame Untersuchung der Anschlagserie in der indischen Finanzmetropole an.
"Niemand spricht von Militäraktionen"
Pakistan müsse auf seinem Staatsgebiet lebende Personen, die vor der indischen Justiz flüchtig seien, festnehmen und ausliefern, sagte Mukherjee. Sein Ministerium hatte am Montag betont, wenn Pakistan - wie von der dortigen Regierung erklärt - eine qualitativ neue Beziehung anstrebe, müsse es entsprechend handeln. Eine militärische Reaktion sei aber nicht geplant, sagte der Minister. "Niemand spricht von Militäraktionen."
Mukherjee machte in einem Fernsehinterview deutlich, dass eine Untätigkeit Pakistans den Friedensprozess der beiden asiatischen Länder gefährde. Indien habe nicht die Absicht, die Friedensbemühungen in Frage zu stellen, sagte Mukherjee, Wenn Pakistan aber nicht angemessen auf die Anschläge reagiere, werde es schwierig sein, zur Tagesordnung überzugehen, "und dazu gehört der Friedensprozess".
Unterweltgröße im Visier
Zu den Verdächtigen, die Indien überstellt bekommen will, gehört Regierungskreisen zufolge der meistgesuchte Mann des Landes, die Unterweltgröße Dawood Ibrahim. Er wird wegen der Bombenanschläge in Bombay im Jahr 1993 gesucht, bei denen mindestens 250 Menschen getötet wurden. In Berichten ist er auch mit der aktuellen Anschlagserie in Bombay in Verbindung gebracht worden. Außerdem stehe auf der Liste der pakistanische Geistliche Maulana Masood, hieß es. Er gilt als Geldgeber der Lashkar-e-Taiba, der auch der Anschlag auf das indische Parlament 2001 angelastet wird. Die Tat hätte seinerzeit beinahe einen Krieg zwischen den beiden atomar bewaffneten Staaten ausgelöst.
Der pakistanische Außenminister Shah Mehmood Qureshi warnte in einer Rede vor gegenseitigen Schuldzuweisungen und betonte, sein Land wolle gute Beziehungen zu Indien. "Die Regierung Pakistans hat Indien einen gemeinsamen Untersuchungsmechanismus und eine gemeinsame Kommission angeboten", sagte Qureshi.
Für Indiens Ministerpräsidenten Manmohan Singh, der sich bis spätestens Mai einer Wiederwahl stellen muss, stellt die Reaktion auf die Anschläge Beobachtern zufolge einen Drahtseilakt dar: Für das heimische Publikum muss er entschlossen reagieren, um sich keine sicherheitspolitische Blöße zu geben. Zugleich dürfte er aber kein Interesse daran haben, die wackelige regionale Machtbalance zu gefährden.
Der Chef der indischen Marine, Admiral Sureesh Mehta, räumte im Zusammenhang mit den Anschlägen von Bombay ein "systemisches Versagen" der Sicherheitskräfte und Geheimdienste ein, das nun behoben werden müsse. Die Behörden hatten Warnungen vor bevorstehenden Anschlägen Berichten zufolge ignoriert.
Drei Tote aus Deutschland
Nach Angaben des Auswärtigen Amtes verdichten sich derweil die Hinweise auf zwei weitere deutsche Todesopfer bei den Terroranschlägen in Bombay. Die Identifizierung der Leichen durch das Bundeskriminalamt sei aber noch nicht endgültig abgeschlossen, sagte eine Sprecherin in Berlin. Nach Informationen der "Neuen Rhein/Neuen Ruhrzeitung" soll es sich bei den Toten um ein Ehepaar aus dem niederrheinischen Goch handeln. Der 68-Jährige Mann und seine Frau hätten in Indien Urlaub gemacht.
Bestätigt wurde bislang der Tod des Münchner Medienunternehmers Ralph Burkei. Nach Angaben der indischen Behörden waren unter den 28 getöteten Ausländern drei Deutsche. Insgesamt starben nach offiziellen Angaben 188 Menschen, mehr als 300 wurden verletzt.
Quelle: ntv.de