Säbelrasseln gegen Pakistan Indien in tiefer Krise
30.11.2008, 18:30 UhrDie beispiellose Anschlagserie in der Finanzmetropole Bombay hat Indien in eine tiefe Regierungskrise gestürzt und droht den schwelenden Konflikt mit dem Nachbarland Pakistan neu anzuheizen.
Nach scharfer Kritik am Krisenmanagement trat Innenminister Shivraj Patil zurück. Auch der Nationale Sicherheitsberater M.K. Narayanan bot seinen Rücktritt an. Dies lehnte Ministerpräsident Manmohan Singh nach Informationen der "Times of India" jedoch ab. Die hindu-nationalistische Oppositionspartei BJP nannte Patils Rücktritt "zu wenig und zu spät". Die gesamte Regierung habe versagt und müsse gehen, sagte BJP-Chef Rajnath Singh.
Proteste gegen Politik
Auch in der Bevölkerung wächst der Unmut über die politische Führung. In Bombay versammelten sich hunderte Menschen vor dem Luxushotel "Taj Mahal" zu einer Kundgebung. Sie gedachten der Opfer der blutigen Anschläge, schrieben Trauerbotschaften und zündeten Kerzen an.
Einige der Demonstranten warfen der Regierung Scheitern vor. Die politische Führung habe es nicht geschafft, mit dem Terrorismus fertig zu werden. Dagegen lobten die Teilnehmer das Vorgehen der Sicherheitskräfte. Ein Demonstrant sagte laut der Nachrichtenagentur IANS: "Die Eliteeinheit NSG, die Armee und die Polizei haben ihr Bestes gegeben, um mit der Krise fertig zu werden, aber was haben denn die Politiker getan?"
Finanzen macht der Chef selbst
Staatspräsidentin Pratibha Patil ernannte den bisherigen Finanzminister Palaniappan Chidambaram zum neuen Innenminister. Premierminister Manmohan Singh werde auch das Finanzressort übernehmen, berichtete die Nachrichtenagentur PTI.
Die Opposition, aber auch Kritiker aus den eigenen Reihen werfen Patil schon seit einiger Zeit Versagen vor. Kurz nach Beginn der jüngsten Angriffe hatte Patil live im Fernsehen erklärt, dass 200 Mann einer Elite-Einheit auf dem Weg nach Bombay seien. Er gab den Terroristen damit Zeit, sich auf das Eintreffen der Spezialkräfte vorzubereiten. Die Terroristen "müssen lauthals gelacht haben", kommentierte die indische Zeitung "Asian Age".
Derweil haben die Behörden die Zahl der Opfer nach unten korrigiert. Wie die Polizei Bombay mitteilte, kamen bei den Angriffen 187 Menschen ums Leben. Zuvor war von 195 Todesopfern die Rede gewesen. Die Zahl der Toten könne jedoch wieder steigen, falls weitere Leichen entdeckt würden, sagte ein Behördenvertreter. 313 Menschen wurden den Angaben zufolge verletzt.
Friedensprozess mit Pakistan ausgesetzt
Nach einem Bericht der indischen Nachrichtenagentur PTI erwägt die indische Regierung, als Reaktion auf die Terrorserie den Friedensprozess mit Pakistan auszusetzen. Damit solle gezeigt werden, dass Indien die tödlichen Angriffe nicht auf die leichte Schulter nehme. Regierungschef Singh und sein Kabinett seien darüber bestürzt, dass Pakistan seine Versprechen gebrochen und den gegen Indien gerichteten Terrorismus nicht gestoppt habe.
Die indische Regierung sieht "Elemente in Pakistan" als Urheber der Anschläge. Nach offiziellen Angaben kommen die meisten oder alle Terroristen aus Pakistan. Medienberichten zufolge hat der einzige überlebende Attentäter zugegeben, Mitglied der in Pakistan ansässigen Extremistenorganisation Lashkar-e-Taib zu sein. Ziel der Tat sei gewesen, mit einer indischen Version des 11. September in die Geschichte einzugehen.
"Sicherheitsmaßnahmen wie in Kriegszeiten"
Premierminister Singh will indes den Anti-Terror-Kampf in seinem Land stärken. Wie er in Neu Delhi mitteilte, soll dafür eine zentrale Ermittlungsbehörde aufgebaut werden. Zudem kündigte er an, die Überwachung des indischen Luftraums sowie der Küstengewässer zu verbessern. Auch die in Bombay eingesetzte Elite-Einheit NSG (National Security Guard) werde weiter ausgebaut und umstrukturiert, erklärte Singh. Die Regierung kündigte zudem eine Verschärfung ihrer Sicherheitsvorkehrungen wie zu Kriegszeiten an.
Pakistans Präsident Asif Ali Zardari sagte ein entschlossenes Vorgehen gegen mögliche Hintermänner der Bombay-Anschläge aus seinem Land zu. Er werde umgehend handeln, wenn Beweise gegen irgendeine Person oder Gruppe aus Pakistan auftauchten, sagte Zardari dem indischen Fernsehsender CNN-IBN. Auch Terrorlager würden geschlossen und die Hintermänner zur Verantwortung gezogen, so Zardari.
In pakistanischen Regierungskreisen hieß es zugleich, dass die beiden kommenden Tage entscheiden für die Beziehungen zwischen Indien und Pakistan seien. Sollte sich die Lage verschärfen, werde Pakistan 100.000 Soldaten aus der Grenzregion zu Afghanistan an die indische Grenze verlegen.
Warnungen wurden ignoriert
Die Regierung des indischen Bundesstaates Maharashtra soll Warnungen vor einem Anschlag auf die Metropole Bombay ignoriert haben, berichtete die Zeitung "The Asian Age". In Geheimdienstberichten sei sogar die Rede davon gewesen, dass die Angreifer über das Meer kommen könnten. Seit Januar 2008 habe es vier entsprechende Warnungen an die Regierung von Maharasthra gegeben. Die Geheimdienste hätten auch eine Warnung an die Küstenwache gegeben, nach pakistanischen Schiffen Ausschau zu halten.
Die Befragung des überlebenden Terroristen Ajmal Amir Kamal habe ergeben, dass die Gruppe die Anschlagsserie über Monate geplant habe. Demnach sind zwölf Terroristen von der pakistanischen Stadt Karachi aus per Schiff in Richtung Bombay gefahren. Die Terroristen hätten auf See ein anderes Schiff gekapert. Die Besatzungsmitglieder seien getötet und der Kapitän gezwungen worden, nach Bombay zu fahren.
Schon vor Monaten seien Terroristen nach Bombay gereist, um mögliche Ziele auszuspionieren. Wie die "Times of India" berichtete, sollen einige in dem angegriffenen jüdischen Gästehaus gewohnt haben. Auch dies hätten Vernehmungen des gefassten Terroristen ergeben. Außerdem sei geplant gewesen, das Luxushotel "Taj Mahal" in die Luft zu sprengen.
Taj hob Sicherheitsvorkehrungen auf
Auch der Besitzer des Luxushotels Taj Mahal sagte, es habe Warnungen vor möglichen Anschlägen auf das Hotel gegeben. Der Chef des Tata-Konzerns sagte dem US-Sender CNN, verschärfte Sicherheitsvorkehrungen in seinem Haus seien erst vor kurzem wieder aufgehoben worden.
Als zusätzliche Sicherheitsmaßnahme hätten beispielsweise keine Autos vor dem Haupteingang des Hotels parken dürfen, sagte Tata. Außerdem hätten Besucher dort durch einen Metalldetektor gehen müssen. Jedoch seien die Terroristen durch den Hintereingang in die Hotelküche gelangt. "Sie wussten, was sie tun", sagte Tata. "Sie hatten alles geplant."
Tata sagte, das Hotel werde wieder aufgebaut. Er erzählte, dass der Manager des Taj seine gesamte Familie bei den Anschlägen verloren habe. "Ich ging rauf zu ihm und sagte ihm, wie Leid mir das tue", so Tata. Der Mann habe gesagt, "wir werden das Taj wieder aufbauen wie vorher. Wir halten zu Ihnen. Wir lassen nicht zu, dass diese Sache uns runterzieht."
Quelle: ntv.de