"Glaube nicht an den großen Schlag" Interview mit Volker Perthes zum Nahostkonflikt
10.08.2001, 15:21 UhrDas neuerliche Selbstmordattentat in Jerusalem wirft die Frage auf, ob ein Friedensprozess überhaupt noch eine Chance hat. n-tv.de hat darüber mit Volker Perthes gesprochen. Er ist Nahost-Referent bei Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin (www.swp-berlin.org).
n-tv.de: Wie schätzen sie nach dem Attentat die Lage bezüglich des Friedensprozesses ein?
Perthes: Letztlich hat sich nichts geändert, weil ein Attentat dieser Art zu erwarten war. Davor ist gewarnt worden, dass sich die Hamas für die Liquidationen der letzten Wochen, die die israelischen Regierung zu verantworten hat, rächen würde.
n-tv.de: In welche Richtung wird sich die Stimmung in Israel entwickeln?
Perthes: Es wird denjenigen Auftrieb gegeben, die schon immer eine militärische Lösung des Konfliktes befürwortet haben. Das man härter vorgehen soll. Und es wird gleichzeitig die bestätigen, die sagen wir müssen verhandeln, wir müssen zurück zu einer politischen Lösung, wenn wir weitere Katastrophen vermeiden wollen.
n-tv.de: Rechnen sie mit einem großen Militärschlag, beispielsweise einer Besetzung der Palästinensergebiete?
Perthes: Ich glaube nicht an den großen Schlag. Es gibt ja jeden Tag Schläge von beiden Seiten und keinen ernsthaften Waffenstillstand. Die israelische Regierung hat sicherlich in den letzten Wochen mehr dazu getan, den Waffenstillstand zu durchbrechen als Arafat.
n-tv.de: Sind die Chancen auf eine friedliche Einigung durch das Attentat weiter geschrumpft?
Perthes: Ich glaube tatsächliche nicht, dass ein einzelnes Attentat hier einen großen Unterschied macht, so schlimm dieses auch war. Die Frage ist vielmehr: Ist die Leidensfähigkeit beider Seiten in einer Art und Weise erreicht, dass man sagt: wir müssen einfach zurück zum Verhandeln, es gibt gar keinen anderen Weg.
n-tv.de: Die Hardliner in Israel sehen das sicher anders.
Perthes: Selbst wenn sich die Hardliner bei den Israelis durchsetzen würden und die palästinensischen Gebiete großflächig bombardiert würden: Es gibt keine Pläne für die Zeit danach. Ein Besetzung der Gebiete kann nicht im Interesse der israelischen Regierung sein. Die Israelis sind Oslo 1993 (das Autonomie-Abkommen zwischen Israelis und Palästinensern, Anm. d. Red.) schließlich eingegangen, weil sie die meisten Gebiete loswerden wollten.
n-tv.de: Wie sehr beeinflusst denn der "Volkszorn" die Politik?
Perthes: Nach dem Attentat gibt es sicherlich mehr Leute die nach Rache rufen. Aber diejenigen in Israel, die länderfristig denken und und nicht aus dem Bauch heraus handeln, wissen auch ganz genau, dass eine rein militärische Aktion nichts nutzt.
n-tv.de: Wir danken für das Gespräch.
(Die Fragen stellte Justus Kliss)
Quelle: ntv.de