Ägyptens neue Verfassung Islamisten stimmen für Scharia
29.11.2012, 20:45 Uhr
Das Verfassungskomitee ist mehrheitlich von Islamisten besetzt. Liberale und Linke Kräfte boykottieren darum die Abstimmung.
(Foto: REUTERS)
Ägyptens Präsident Mursi will liberale und linke Kräfte besänftigen. Nach heftigen Protesten gegen die Ausweitung seiner Macht lässt er das islamistische Verfassungskomitee kurzfristig über die neue Rechtsordnung des Landes abstimmen. Das erhoffte Ergebnis – Ruhe – bleibt aus.
Das mehrheitlich mit Islamisten besetzte ägyptische Verfassungskomitee hat im Eilverfahren über seinen umstrittenen Entwurf für eine neue Verfassung abgestimmt. Die Mitglieder des Gremiums gaben zu jedem der 234 Artikel einzeln ihre Stimme ab. Die Abstimmung dauerte am Abend an. Die ersten 50 Artikel nahmen sie jeweils mit großer Mehrheit oder einstimmig an. Dabei beschlossen sie auch, dass die Scharia - das islamische Recht - die wichtigste Quelle der Rechtssprechung bleiben soll.

Mohammed Mursi weist die Kritik von sich.
(Foto: AP)
Angesichts der aufgeheizten Lage und um weitere Proteste zu verhindern, hatte die Polizei in der Nacht vor dem Gebäude, in dem die Abstimmung stattfand, eine Betonmauer errichtet.
Die Islamisten hatten die ursprünglich für Mitte Dezember geplante Abstimmung kurzfristig vorgezogen. Damit sollte Oppositionellen, die in den vergangenen Tagen heftig gegen die von Präsident Mohammed Mursi verkündete Verfassungserklärung protestiert hatten, die Luft aus den Segeln genommen werden. Der Präsident, der aus der Muslimbruderschaft stammt, hatte seine Machtbefugnisse auf Kosten der Justiz stark erweitert. Seine Anordnungen sollen bis zum Inkrafttreten der neuen Verfassung gelten.
Opposition plant weitere Großdemonstrationen
Auf dem Tahrir-Platz in Kairo harrten dennoch einige Hundert Demonstranten aus, die gegen den "Staatsstreich der Islamisten" protestierten. Für Freitag ist zudem eine große Kundgebung der gegnerischen Kräfte gegen "den neuen Pharao Mursi" geplant. Am Samstag wollen dann die Islamisten ihre Anhänger mobilisieren. Sie sollen auf den Straßen und Plätzen des Landes ihre Unterstützung für Mursi und die "Scharia" bekunden. Viele Ägypter befürchten, dass es dann zu Zusammenstößen zwischen den Anhängern der beiden Lager kommen könnte.
Außenminister Guido Westerwelle (FDP) fürchtet bei einem Rückschlag in Ägypten um die Demokratiebewegung in der gesamten arabischen Welt. "Die Umbrüche in dieser Region werden nur erfolgreich gelingen, wenn die Umbrüche in Ägypten erfolgreich sind", sagte Westerwelle bei einem Treffen mit seinem ägyptischen Kollegen Kamel Amr in Berlin. Er mahnte Islamisten und Opposition, eine Konsenslösung zu finden. Die Unabhängigkeit der Justiz müsse garantiert werden.
Liberale Kräfte boykottieren Verfassungskomitee
Im Verfassungskomitee geben die Muslimbrüder und die radikal-islamischen Salafisten den Ton an. Die liberalen und linken Mitglieder hatten sich in den vergangenen Wochen aus Protest gegen die aus ihrer Sicht mangelnde Kompromissbereitschaft der Islamisten aus dem Gremium zurückgezogen. Auch die Kirche zog ihre Vertreter ab.
26 der ursprünglich 100 Mitglieder der Versammlung erschienen nicht zu der Abstimmung. Da mindestens 75 Mitglieder anwesend sein müssen und jeder Artikel nur dann als angenommen gilt, wenn 67 Mitglieder mit Ja stimmen, wurden 14 "Ersatzmitglieder" aufgerufen. Da drei von ihnen ablehnten, zogen letztlich nur elf von ihnen in das Gremium ein. Die Abstimmung, die von einer Gebetspause unterbrochen wurde, war live im staatlichen Fernsehen zu sehen.
Die Verfassungsgebende Versammlung handele nicht unabhängig, kritisierte Mohammed Adel, ein Gründungsmitglied der Revolutionsbewegung 6. April. Sie habe vom Präsidenten den Auftrag erhalten, schnell eine Verfassung "zusammenzukochen", um die Proteste zu beenden.
Richter könnten Verfassungsreferendum blockieren
Die Erweiterung der Machtbefugnisse des Präsidenten hatte vergangene Woche Massenproteste und einen Streik der Richter ausgelöst. Dass die Abstimmung über die Verfassung jetzt im Hauruck-Verfahren durchgezogen wird, ist aus Sicht der Mursi-Gegner keine gute Alternative zu Mursis Erklärung.
Der Entwurf schränkt nach Ansicht der zurückgetretenen Mitglieder des Komitees die Rechte der Frauen ein, beschneidet die Kompetenzen der Justiz und gibt den Religionsgelehrten Einfluss auf den Gesetzgebungsprozess. Außerdem werden alle früheren Mitglieder der einstigen Regierungspartei mit einem politischen Betätigungsverbot für zehn Jahre belegt.
Nach der Abstimmung soll der Verfassungsentwurf Präsident Mursi vorgelegt werden. Binnen einiger Wochen soll dann in einer Volksabstimmung endgültig über die Verfassung entschieden werden.
Den Islamisten dürfte es jedoch schwerfallen, dieses Referendum zu organisieren. Denn in Ägypten führen bei Wahlen traditionell die Richter die Aufsicht. Die Mehrheit der Richter lehnt aber den Verfassungsentwurf ab. "Die Richter haben schon erklärt, dass sie sich weigern, dieses Referendum zu überwachen", sagte der Strafrichter Amir Ramsi.
Quelle: ntv.de, dpa/rts