Ägyptens Verfassungsreferendum Islamisten vermelden Sieg
23.12.2012, 05:21 Uhr
Auszählung in Giseh.
(Foto: dpa)
Ägyptens Weg zur Rechtsstaatlichkeit ist steinig: Meldungen über Wahlrechtsverstöße überschatten auch die zweiten Runde des Referendums über eine neue Verfassung. Die regierenden Islamisten erklären sich schon einmal zu Siegern. Das offizielle Ergebnis wird allerdings erst am Montag erwartet.
Wenige Stunden nach Schließung der Wahllokale haben die regierenden Islamisten in Ägypten den Sieg in der zweiten Runde der Volksabstimmung über eine neue Verfassung für sich reklamiert. Knapp 64 Prozent der Wähler hätten sich für den Verfassungsentwurf ausgesprochen, erklärte die Präsident Mohammed Mursi nahestehende Partei Freiheit und Gerechtigkeit. Auch die amtliche Tageszeitung "Al-Ahram" nannte einen Zustimmungswert von rund 64 Prozent.
Allein im zweiten Durchgang am Samstag hätten gut 71 Prozent der Wähler mit Ja und nur knapp 29 Prozent mit Nein gestimmt, hieß es unter Berufung auf eine Auswertung der Ergebnisse fast aller Wahllokale. Die Wahlbeteiligung habe bei 32 Prozent gelegen. Das offizielle Ergebnis der Abstimmung wird für Montag erwartet. Sollte die Verfassung angenommen werden, soll binnen zwei Monaten ein neues Parlament gewählt werden.
Die Verfassung ist zwischen Mursis Islamisten und laizistischen Kräften in Ägypten äußerst umstritten. Nachdem beim ersten Durchgang des Referendums die Zustimmung nach inoffiziellen Angaben rund 57 Prozent erreicht hatte, wurde aber bereits im Vorfeld der zweiten Runde mit der Annahme der Verfassung gerechnet, da im zweiten Durchgang vor allem in ländlicheren Gebieten abgestimmt wurde, in denen die Islamisten traditionell stärker vertreten sind. Vor einer Woche war zunächst in zehn der 27 ägyptischen Provinzen abgestimmt worden. Am Samstag entschieden die Bürger in den übrigen 17 Provinzen. Zur Stimmabgabe aufgerufen waren insgesamt 51 Millionen Ägypter.
Zahlreiche Unregelmäßigkeiten
Auch die zweite und letzte Runde des Verfassungsreferendums war von zum Teil chaotischen Zuständen und Verstößen gegen das Wahlrecht überschattet. Die Opposition wirft den Islamisten Wahlrechtsverstöße vor. Viele Wähler seien auch diesmal wieder von Islamisten beeinflusst worden, berichteten Beobachter und ägyptische Medien. Zudem sollen Liberale, Linke und Christen in manchen Gebieten an der Stimmabgabe gehindert worden sein.
Die revolutionäre Jugendbewegung 6. April, die eigene Beobachter in verschiedene Städte entsandt hatte, beklagte, dass fünf ihrer Mitglieder festgenommen worden seien. In Giseh auf der anderen Nilseite von Kairo seien Aktivisten abgeführt worden, weil sie die vorzeitige Schließung eines Wahllokals angeprangert hätten. Die Gruppe kritisierte, dass in mehreren Regionen Islamisten die Wähler genötigt hätten, mit Ja zu stimmen. In der nördlichen Stadt Damietta sei dafür sogar Geld geboten worden.
Die ägyptische Zeitung "Al-Ahram" berichtete von ähnlichen Vorfällen. So habe in der Provinz Menufija ein Richter seine Wahlhelfer entlassen, weil diese versucht hätten, Wähler zum Ja zu überreden. Rund 30 Prozent der Ägypter sind Analphabeten, die bei der Abstimmung auf Hilfe angewiesen sind. In einigen Wahllokalen sei die Stimmabgabe extrem verzögert worden, da nicht genügend Richter anwesend waren. Zahlreiche Juristen hatten sich aus Protest gegen Mursi geweigert, die Abstimmung zu überwachen.
Mursis Vize tritt zurück
Der Streit um das von Muslimbrüdern und Salafisten erarbeitete Regelwerk hat Ägypten tief gespalten. Die Opposition sieht darin den ersten Schritt in Richtung Gottesstaat. Viele Anhänger des islamistischen Präsidenten Mohammed Mursi wünschen sich genau dies. Der Machtkampf um die erste Verfassung nach dem Sturz von Husni Mubarak hat in dem bevölkerungsreichsten arabischen Land immer wieder Massenproteste und tödliche Krawalle ausgelöst.
Wenige Stunden vor dem Ende der Abstimmung trat Vizepräsident Mahmud Mekki zurück. In einer Erklärung wies er darauf hin, dass in dem Entwurf zur neuen Verfassung das Amt des stellvertretenden Staatsoberhauptes nicht vorgesehen ist. Eine konkrete Begründung für seine Entscheidung lieferte er aber nicht.
Ausgerechnet in der Schlussphase der Abstimmung gab Mekki seinen Rücktritt bekannt. Der Stellvertreter Mursis erklärte, eigentlich habe er sein Amt bereits im November niederlegen wollen. Er habe diesen Schritt aber wegen der Unruhen in seinem Land sowie wegen des aufflammenden Nahost-Konflikts verschoben.
Noch Anfang Dezember hatte Mekki in der Krise um den autoritären Führungsstil Mursis eine Verschiebung des Referendums in Aussicht gestellt. Diese gab es jedoch nicht, was zu weiteren Protesten der Opposition führte. Der im Jahr 1954 geborene Mekki hatte sich als Richter und scharfer Kritiker des Systems des 2011 gestürzten Mubarak einen Namen gemacht. Er setzte sich stets für die Unabhängigkeit der Justiz ein.
Widersprüchliche Angaben gab es zu Zentralbankchef Faruk al-Okda. Das Staatsfernsehen widerrief am Samstagabend eine kurz zuvor verbreitete Information, dieser habe seinen Rücktritt erklärt. Die Regierung habe dies dementiert, hieß es. Erläuterungen zu den widersprüchlichen Angaben lagen nicht vor. In ägyptischen Medien war in den vergangenen Tagen angedeutet worden, al-Okda werde womöglich aus gesundheitlichen Gründen zurücktreten.
Quelle: ntv.de, AFP/dpa