Notstand und Soldaten auf Straßen Italienische Flüchtlingspolitik
29.07.2008, 22:29 UhrDie italienische Regierung unter Ministerpräsident Silvio Berlusconi setzt im Kampf gegen Kriminalität und illegale Zuwanderung auf Notstandspolitik und den Einsatz der Armee. Von Montag an sollen mehrere tausend Soldaten in den Straßen großer Städte wie Rom, Mailand, Neapel und Palermo zur Unterstützung der Polizei auf Streife gehen. Sie sollen zudem den Vatikan, den Mailänder Dom, Bahnhöfe, Botschaften und andere mögliche Anschlagsziele von Terroristen bewachen. Zugleich verteidigte Innenminister Roberto Maroni den umstrittenen landesweiten Flüchtlingsnotstand und die Migrationspolitik der Regierung Berlusconi insgesamt.
Den unterstützenden Einsatz der Armee im Inneren vereinbarte Maroni mit Verteidigungsminister Ignazio La Russa. Die Entscheidung zeige die Entschlossenheit der Regierung, die Sorgen der Bürger zu zerstreuen, sagte La Russa. Vertreter der linken Opposition warnten dagegen, der Einsatz von Soldaten in historischen Stadtzentren auf dem Höhepunkt der Urlaubssaison werde das Ansehen des Reiselandes Italien zerstören. Die Probleme bei der Kriminalitätsbekämpfung seien auf Etatkürzungen bei der Polizei zurückzuführen. Die jetzt beschlossenen Maßnahmen seien so erfolgversprechend wie "Gesicht waschen mit schmutzigem Wasser", sagte der Oppositionsabgeordnete Antonio di Pietro.
Flüchtlings-Notstand ausgerufen
Nicht weniger umstritten ist die Ausrufung eines nationalen Flüchtlings-Notstand durch die italienische Regierung. Innenminister Maroni hat die umstrittene Maßnahme vor der Abgeordnetenkammer in Rom verteidigt und gesagt, sollte sich die Flut der illegalen Einwanderer ungebrochen erhöhen, werde deren Zahl in diesem Jahr mehr als 30.000 erreichen. Die bestehenden Zentren seien ungenügend auf diese Immigrantenwelle vorbereitet. Deshalb will der Minister der rechtspopulistischen Lega Nord die Zahl der Aufnahmelager auf 20 verdoppeln. Mit dem am vergangenen Freitag ausgerufenen Notstand werden die Befugnisse der Polizei und der Behörden im Kampf gegen illegale Einwanderer ausgeweitet.
Haftstrafen für Flüchtlinge
Seit ihrem Amtsantritt im Frühjahr hat Berlusconis Regierung Polizeieinsätze gegen illegale Einwanderer deutlich ausgeweitet. Erst vor vergangene Woche hatte sie im Parlament ein umstrittenes Gesetz verabschiedet, das für illegales Einreisen nach Italien Haftstrafen vorsieht und Abschiebungen erleichtert.
Die Zahl der auf Sizilien und Sardinien sowie in Apulien und Kalabrien angekommenen Flüchtlinge habe sich im ersten Halbjahr 2008 im Vergleich zum Vorjahr auf 10.611 verdoppelt, erinnerte Maroni. Er hielt der linken Opposition erneut entgegen, dass es sich mit dem Notstand um keine neue Maßnahme handele. Diese war landesweit 2002 - auch unter Berlusconi - erstmals aufgerufen und dann auch von der Mitte-Links-Regierung unter Romano Prodi verlängert worden. Prodis Regierung hatte den Notstand jedoch im Februar dieses Jahres erstmals auf nur drei Südregionen begrenzt.
Kritik vom Europarat
Das Innenministerium verwahrte sich auch gegen Kritik aus dem Europarat, Italien verletze mit seiner Politik gegen Einwanderer die Menschenrechte. Der Sozialist Vittorio Craxi bekräftigte aber den Vorwurf an die Regierung, "unnötige Panikmache" zu betreiben. Er verlangte ein "Ende dieses ideologischen Kreuzzuges", der dem Land international nur Negativschlagzeilen zur Immigration einbringe.
Unterdessen berichteten italienische Fischer und Behörden von einem erneuten Flüchtlingsdrama vor der libyschen Küste. Bei einem Schiffbruch seien mindestens 7 Einwanderer umgekommen, 21 konnten gerettet werden, berichtete der Kapitän eines Fischerbootes am Abend.
"Sie sind sehr erschöpft und müssen seit langem auf See gewesen sein", berichtete der Kapitän eines Fischerboote über die Überlebenden. Es seien junge Menschen im Alter von 20 bis 25 Jahren an Bord gewesen. Sie hätten nur durch Gesten zu erkennen geben können, dass sie Hunger und Durst hätten, sagte Angelo Giacalone.
Quelle: ntv.de