Neuer Chef für Stasi-Unterlagen Jahn kommt für Birthler
13.03.2011, 09:15 UhrSeit rund 20 Jahren wird die Hinterlassenschaft der Stasi von einer Bundesbehörde verwaltet. Bürger können dort die Stasi-Akten ansehen, Spitzel werden mit den Papieren enttarnt, Strukturen erforscht. Rund zehn Jahre war Marianne Birthler hier Chefin. Nun kommt ein Neuer.

Nach zehn Jahren legt die Stasi-Unterlagen-Beauftragte Marianne Birthler (Bündnis 90/Die Grünen) am14.03.2011 turnusgemäß ihr Amt in Berlin nieder.
(Foto: dpa)
Sie übergebe eine verkleinerte, aber kompetente Behörde, sagt Marianne Birthler mit einer "Mischung aus Zuversicht und Wehmut". Rund zehn Jahre war die frühere Bürgerrechtlerin streitbare und zugleich ausdauernde Chefin der Bundesbehörde für die Hinterlassenschaft der DDR-Staatssicherheit, nun wird die 63-Jährige am 14. März mit einem Festakt in Berlin verabschiedet. Gleichzeitig wird Nachfolger Roland Jahn von Kulturstaatsminister Bernd Neumann (CDU) in sein Amt eingeführt. Es ist ein Wechsel mit Kontinuität. Auch der 57-jährige Jahn leistete Widerstand gegen das DDR-Regime.
Birthler ließ sich im jahrelangen Rechtsstreit um die Herausgabe der Stasi-Akten über den damaligen Kanzler Helmut Kohl nicht unterkriegen, als der CDU-Politiker eine grundsätzliche Beschränkung der Herausgabe durchsetzte. Birthler schaffte es auch, die schnelle Abwicklung der Behörde abzuwenden. Nicht ohne Stolz vermerkt die Frau mit der Vorliebe für große Schmuckstücke: Die Behörde mit heute etwa 1600 Mitarbeitern gilt international als Vorbild für die Aufarbeitung. Dass es die Einrichtung gebe, deren erster Leiter Joachim Gauck war, sei ein Erfolg der friedlichen Revolution.
Auf den bisherigen Fernsehjournalisten Roland Jahn wartet viel Arbeit. Für ihn ist klar: "Es darf keinen Schlussstrich geben", bekräftigte er schon nach seiner Wahl im Bundestag Ende Januar. Rache gegen alte Stasi-Leute sei nicht sein Anliegen. Trotzdem: "Ich will Gerechtigkeit." Nun muss er sich der Frage stellen, wie mit den rund 50 früheren Stasi-Leuten umzugehen ist, die noch immer in der Behörde beschäftigt sind. Hinzu kommen die immer dreisteren öffentlichen Auftritte von Ex-Funktionären. Er sehe sich als Anwalt der Opfer, hat Jahn versprochen. Sein erster Besuch führt den neuen Stasi-Unterlagen-Chef in die Gedenkstätte Hohenschönhausen.
Offene Fragen zur Zukunft

Neuer Chef der Bundesbehörde für die Hinterlassenschaft der DDR-Staatssicherheit wird der ehemalige DDR-Bürgerrechtler Roland Jahn.
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Zwar hat sich der Bundestag darauf verständigt, dass die Behörde bis 2019 weitergeführt wird und die Aufarbeitung der Strukturen des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) nicht erledigt ist. Auch Bundespräsident Christian Wulff hatte bekräftigt, die Bundesbehörde habe einen bleibenden Auftrag angesichts von Verklärung und Verharmlosung der SED-Diktatur.
Doch es gibt offene Fragen: Wann sollen die Stasi-Papiere ins Bundesarchiv überführt werden, haben die zwölf Außenstellen Bestand, welche Aufgaben soll die Behörde künftig lösen? Sind noch brisante Aktenfunde zu erwarten, wenn die Rekonstruktion zerrissener Akten vorankommt? Birthler hat Jahn in der Diskussion um die Zukunft der Behörde prophylaktisch den Rücken gestärkt: "Ich halte das Jahr 2019 immer noch nicht für das letzte Wort."
Die Vorsitzende des Bundestags-Ausschusses für Kultur und Medien, Monika Grütters (CDU), sagt diplomatisch: "Die historische Aufgabe der Aufarbeitung bleibt auf alle Fälle - unabhängig davon, wo die Akten hinkommen." Die Diskussion über die Bundesbehörde sei im Gange. Sie plädiert da bei Entscheidungen des Bundestages für breites Einvernehmen. Jetzt steht eine weitere Novelle des Stasi-Unterlagen-Gesetzes zur Verabschiedung an. Das Bundeskabinett hatte beschlossen, die Überprüfungen auf eine frühere Stasi-Mitarbeiter auszudehnen und bis 2019 zu verlängern.
Birtler vertraut Jahn

Birthler legte am 10.3.11 im Rahmen einer Pressekonferenz noch den 10. Tätigkeitsberichts der Stasi-Unterlagen-Behörde vor.
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Der aus Thüringen stammende Jahn war nach Stasi-Haft im Juni 1983 gegen seinen Willen aus der DDR abgeschoben worden. Seine Wahl im Bundestag Ende Januar war von Respekt und Konsens geprägt: Der Ostdeutsche bekam eine absolute Mehrheit der Stimmen. Auch Linken-Abgeordnete votierten für den einstigen Regimekritiker. Dabei spart der einst Verfolgte nicht mit Kritik. Die SED-Nachfolgepartei müsse sich ihrer besonderen Verantwortung bei der Aufarbeitung stellen.
Birthler sagt, die Behörde sei bei Jahn in guten Händen. Seit 1991 wurden 2,75 Millionen Anträge auf persönliche Akteneinsicht gestellt, das Interesse der Bürger sei ungebrochen. Die Stasi-Akten hätten auch eine gute Botschaft. Sie zeigten, dass viele sich einer Zusammenarbeit mit dem System verweigert hätten. Nun könne sie loslassen, versichert die Mutter von drei erwachsenen Töchtern und begeisterte Großmutter. Es gebe den Traum, mit dem Auto für ein paar Monate durch Amerika zu fahren.
Quelle: ntv.de, Jutta Schütz, dpa