Politik

Ukrainische Großstadt Lwiw erklärt sich für autonom Janukowitsch und Opposition vereinbaren Waffenruhe

Harren noch immer auf dem Unabhängigkeitsplatz aus: Demonstranten in Kiew.

Harren noch immer auf dem Unabhängigkeitsplatz aus: Demonstranten in Kiew.

(Foto: REUTERS)

In der Ukraine einigen sich Oppositionsspitzen mit Präsident Janukowitsch auf eine Aussetzung der Gewalt. Die EU droht mit Sanktionen, die USA ergreifen erste Maßnahmen und bezeichnen die bisherigen blutigen Auseinandersetzungen als "vollkommen abscheulich". Im Westen der Ukraine erklären sich mehrere Städte für politisch autonom, darunter auch die Großstadt Lwiw.

Nach der Eskalation der Gewalt in der Ukraine will die Europäische Union Strafmaßnahmen gegen die Verantwortlichen verhängen. "Diejenigen, die sich für diese Taten zu verantworten haben, müssen wissen, dass sie auf jeden Fall sanktioniert werden", sagte Frankreichs Präsident François Hollande im Beisein von Kanzlerin Angela Merkel in Paris. Die EU-Außenminister wollen bei einem Sondertreffen an diesem Donnerstag "finanzielle Sanktionen und Visabeschränkungen" gegen die politische Führung beschließen.

Am Abend traf Janukowitsch erneut mit Vertretern der Regierungsgegner zu Gesprächen. Die beiden Lager einigten sich dabei auf eine Aussetzung der gewalttätigen Auseinandersetzungen, hieß es auf der Website des Präsidenten. Nun gebe es weitere Verhandlungen. Unklar ist, ob die Demonstranten der Vereinbarung von Arseni Jazenjuk und Vitali Klitschko folgen. Zumindest Klitschko werde kaum ernstgenommen, sagte die Politikerin Marina Weisband im Gespräch mit n-tv.de (alle Entwicklungen im n-tv.de Liveticker).

Armeechef ausgetauscht

Bislang kamen bei Straßenschlachten und schweren Zusammenstößen mindestens 26 Menschen ums Leben, mehr als 1000 wurden verletzt. Radikale Regierungsgegner in Kiew rüsteten sich am Mittwoch für neue Auseinandersetzungen mit schwer bewaffneten Einsatzkräften, die die Demonstranten auf dem zentralen Unabhängigkeitsplatz belagern. Die US-Regierung bezeichnete die Gewalt in Kiew als "vollkommen abscheulich". Das Weiße Haus in Washington hatte seinen Appell an den ukrainischen Staatschef vor dessen Treffen mit den Oppositionsführern erneuert, die Lage zu beruhigen. Der Vize-Berater für nationale Sicherheit, Ben Rhodes, sagte, für eine derartige Gewalt sei "im 21. Jahrhundert kein Platz".

Etwas überraschend tauschte Janukowitsch zudem den Armeechef aus - Wolodomir Samana galt als nicht unbedingt loyal zu Janukowitsch. Auch andere Teile der Armee sollen ihrem Staatsoberhaupt nicht ergeben sein. In die blutigen Ereignisse der Nacht hatte das Militär nicht eingegriffen. Nun heißt der Befehlshaber Juri Iliin.

Statt des ausgebrannten Gewerkschaftshauses in Kiew besetzten die Regierungsgegner im Laufe des Tages örtlichen Medien zufolge das gegenüberliegende Hauptpostamt, das Haus des Rundfunk- und Fernsehkomitees sowie das Agrarministerium. In einem der Gebäude befinde sich nun das Hauptquartier der Opposition.

Lwiw als politisch autonom erklärt

Der ukrainischen Führung entglitt zunehmend die Kontrolle über den pro-europäischen Westen des Landes. Gegner des Präsidenten erklärten die Großstadt Lwiw (Lemberg) für politisch autonom. Vorausgegangen war eine Nacht der Gewalt, in der Demonstranten öffentliche Gebäude besetzten und die Polizei zur Aufgabe zwangen.

Die Regionalversammlung von Lwiw warf der Regierung in Kiew vor, in der fast 500 Kilometer östlich gelegenen Hauptstadt einen "offenen Krieg" gegen die Demonstranten zu führen. Daher nehme sie die Exekutive in ihrem Gebiet in eigene Hände. In mindestens vier westlichen Städten, sollen Regierungsgegner ebenfalls öffentliche Gebäude besetzt halten.

Lwiw liegt unweit der Grenze zu Polen. Etwa 750.000 Menschen wohnen in der Stadt, 2,5 Millionen sind es im gleichnamigen Verwaltungsbezirk. Im Westen der Ukraine leben deutlich mehr Befürworter einer stärkeren Ausrichtung des Landes hin zur Europäischen Union. Die Mehrheit der Janukowitsch-Anhänger findet sich im Osten, wo die politischen Unruhen sich noch nicht so deutlich bemerkbar machen.

"Es wird Konsequenzen haben"

Merkel telefonierte mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin, beide Seiten hätten vereinbart, "alles zu tun, damit die Gewalt nicht weiter eskaliert", sagte Merkel. Es solle "alles versucht werden, damit der politische Prozess dort in Gang kommt". Putin verlangte laut Kreml, der Westen solle die Vorwürfe gegen die Führung in Kiew einstellen. Die Taten radikaler Regierungsgegner, die "extremistische und terroristische" Taten begangen hätten, müssten scharf verurteilt werden.

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Soll die EU in der Ukraine eingreifen?

US-Präsident Barack Obama drohte für den Fall einer weiteren Eskalation mit Schritten der internationalen Gemeinschaft. "Es wird Konsequenzen haben, wenn Leute eine Linie überschreiten", sagte Obama. Dazu gehöre, dass sich das ukrainische Militär nicht in Angelegenheiten einmischen dürfe, die von Zivilisten gelöst werden könnten. Die USA wollen sich eng mit der EU abstimmen und die Verantwortlichen in Kiew zur Rechenschaft ziehen. "Dafür haben wir einen Werkzeugkoffer, der auch Sanktionen umfasst", sagte Obamas stellvertretender Sicherheitsberater Ben Rhodes.

In einem ersten Schritt annullierten die Vereinigten Staaten Visa für mehrere ukrainische Beamte. Weitere Strafmaßnahmen würden folgen, teilt der US-Botschafter in Kiew, Geoffrey Pyatt, mit. Zu den nun sanktionierten Funktionären sähen die USA eine direkte Verbindung zu der Gewaltanwendung auf dem Unabhängigkeitsplatz in der ukrainischen Hauptstadt, so Pyatt.

"Anti-Terror-Aktion" im ganzen Land

Der ukrainische Geheimdienst SBU bezeichnete hingegen das Vorgehen der Opposition als "konkrete Terrorakte" und kündigte eine "Anti-Terror-Aktion" gegen extremistische Gruppierungen im ganzen Land an. Das Militär teilte mit, es sei befugt, daran teilzunehmen. Eigentlich ist dies nur erlaubt, wenn der Präsident offiziell den Ausnahmezustand verhängt.

Der geschäftsführende Regierungschef Sergej Arbusow warf der Opposition zudem einen versuchten Staatsstreich vor. Wegen dieses Vorwurfs leitete der Geheimdienst Ermittlungen gegen "einzelne Politiker" ein. Beide Seiten beschuldigten sich, die Eskalation der Gewalt verschuldet zu haben. Der Oppositionspolitiker Vitali Klitschko erhob schwere Vorwürfe gegen Janukowitsch. "Jeder Kiewer ist eine Geisel des blutigen Diktators", sagte Klitschko einer Mitteilung zufolge. Die Kiewer U-Bahn fuhr weiterhin nicht.

Die EU kritisiert, dass die Regierung die Eskalation der Gewalt nicht verhindert habe. Brüssel werde "auf die Verschlechterung der Lage an Ort und Stelle mit gezielten Maßnahmen reagieren", teilte EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy in Brüssel mit. Außenminister Frank-Walter Steinmeier reist an diesem Donnerstag mit seinen Kollegen aus Frankreich und Polen nach Kiew. Russlands Außenminister Sergej Lawrow forderte Steinmeier in einem Telefonat auf, seine engen Kontakte zur ukrainischen Opposition für eine Lösung zu nutzen. Neben einer lauteren Absicht kann dies durchaus auch als eine Spitze verstanden werden - denn Russland sind eben diese Kontakte ein diplomatischer Dorn im Auge.

Auslöser für die jüngste Gewalt war ein Protestzug radikaler Demonstranten zum Parlament. Die Opposition fordert eine Verfassungsänderung, um die Vollmachten des Präsidenten zugunsten der Regierung zu beschneiden.

Auch Russlands Präsident Putin machte "Extremisten" für die tödlichen Straßenschlachten in Kiew verantwortlich. Der Präsident verurteile die Gewalt scharf und betrachte die Vorgänge als versuchten Staatsstreich, sagte dessen Sprecher Dmitri Peskow. Der Kremlchef habe in der Nacht der Ausschreitungen mit Janukowitsch telefoniert.

Quelle: ntv.de, rpe/dpa/AFP/rts

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