Politik

Blutige Tage in Ägypten Jedes Opfer schürt den Bürgerkrieg

Pro-Mursi-Demonstranten in Kairo, ihre Lager wurden geräumt.

Pro-Mursi-Demonstranten in Kairo, ihre Lager wurden geräumt.

(Foto: dpa)

Ist die kleine Tür, die es für Versöhnung gab, wieder geschlossen? Die brutalen Bilder aus Ägypten scheinen das zu bejahen. Mit jedem Toten nimmt der Hass zu - und das Land treibt in den Bürgerkrieg.

"Nein, hier kommen Sie nicht durch! Das ist eine strikte Anweisung, nach 21 Uhr kein Auto- oder Fußgängerverkehr auf dem Tahrir-Platz". Die Soldaten auf dem Panzer, der sich uns quer in den Weg stellt, sind deutlich und unmissverständlich. Den Presseausweis nehmen sie gar nicht erst zur Kenntnis. Dass wir nur in unser Hotel wollen, das in der abgesperrten Zone liegt, interessiert sie nicht.

Es gilt eine nächtliche Ausgangssperre zwischen 21 Uhr und 6 Uhr. Die Stimmung ist gereizt. Man spürt die Nervosität. Die meisten Soldaten sind kaum älter als 20. Die Maschinenpistolen um ihre Schultern wirken ein bisschen wie Fremdkörper. Ihre Unsicherheit übertrifft die aufgesetzte Souveränität, die ihre Vorgesetzten befohlen haben.

Auch in den anderen Zufahrtsstraßen rund um den Tahrir-Platz das gleiche Bild. Straßensperren, Panzer, Militär haben die Innenstadt in eine Hochsicherheitszone verwandelt. Neue Zusammenstöße sollen auf jeden Fall verhindert werden. Ein bisschen weiter weg vom Zentrum haben am Abend spontan gebildete Bürgerwehren die Kontrolle über die Einhaltung der Ausgangssperre übernommen. Sie haben Stacheldraht über die Fahrbahn gezogen und sind mit Stöcken und Steinen bewaffnet. Anhalten, Passkontrolle, Kofferraum-Check.

Gewalt und Chaos auf den Straßen

Leichen über Leichen - die Unruhen sind brutal.

Leichen über Leichen - die Unruhen sind brutal.

(Foto: dpa)

Es ist die erste Nacht nach einem der blutigsten Tage, den die ägyptische Geschichte erlebt hat. Die genauen Opferzahlen sind noch immer unklar. Nur eins wissen wir, es sind mehrere hundert Tote. Das Militär hatte die Räumung der Protestlager angekündigt und auch deutlich gemacht, dass man nicht zimperlich sein würde. Gleichzeitig wurden alle Warnungen vor einer gewaltsamen Auflösung der Mursi-Camps in den Wind geschlagen. Den meisten hier in Kairo war klar, dass es dann Tote geben würde.

Die Armee-Führung wollte beweisen, dass sie die Lage unter Kontrolle hat. Und das könnte sich bald als großer Trugschluss erweisen. Denn die Räumung der Lager und die vielen Toten heben den Konflikt auf eine neue Ebene.

Zwei verfeindete Lager stehen sich gegenüber

Die Muslimbruderschaft, noch immer die stärkste und am besten organisierte Kraft im Land, mobilisiert jetzt mit großer Intensität ihre Mitglieder, um die Proteste in den nächsten Tagen landesweit noch einmal zu verstärken. Die Muslimbrüder verfügen inzwischen selbst über Waffen und setzen diese auch ein. Dass die Armee ihrerseits Scharfschützen von Häuserdächern feuern lässt, schüchtert die Protestierenden nicht ein. Im Gegenteil - mit jedem neuen Opfer fühlen sie sich mehr im Recht und sind bereit, als Märtyrer zu sterben.

Für Freitag haben die Muslimbrüder zu neuen Protesten aufgerufen. Sie fordern weiter unbeirrt die Rückkehr von Präsident Mursi in das Präsidentenamt. Solange dies nicht geschehe, werde der Widerstand nicht nachlassen. Experten fürchten längst eine Radikalisierung der besonders gewaltbereiten Flügel der Bruderschaft. Dabei muss nicht einmal gleich an eine Verbindung zu Al Kaida gedacht werden. Jedoch besteht neben dem sich fortsetzenden Protest der Straße dann die Gefahr von terroristischen Anschlägen auf Regierungseinrichtungen oder das Militär.

Übertrieben wirkt ein solches Szenario längst nicht mehr.Die Ereignisse der letzten Tage haben gezeigt, dass eine politische Lösung für die schwere Krise nach dem Sturz von Präsident Mursi endgültig in weite Ferne gerückt ist. Die Armee hatte an jenem 3. Juli vor sechs Wochen für einen Moment die Hoffnung geweckt, dass sich die beiden verfeindeten Lager die Hände für eine Versöhnung reichen könnten. Doch dieser Moment scheint nun vorbei. Anhänger von Mursi auf der einen und die Armee und seine Gegner auf der anderen Seite stehen sich unversöhnlicher denn je gegenüber. Ägypten wird wohl so schnell nicht mehr zur Ruhe kommen und steht am Rande eines Bürgerkrieges.

Quelle: ntv.de

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