Politik

Stolz und Verantwortung Gauck erträumt "Unser Land"

Joachim Gauck ist vorgeworfen worden, in seinen Reden häufig das Wort "ich" zu benutzen. In seiner ersten Rede als Bundespräsident kamen die Wörter "wir" und "unser" sehr viel häufiger vor. "In 'unserem Land' sollen auch alle zuhause sein können, die hier leben", so Gauck. An Neonazis gewandt sagt er: "Euer Hass ist unser Ansporn."

Gauck will ein Lernender und Lehrender gleichermaßen sein.

Gauck will ein Lernender und Lehrender gleichermaßen sein.

(Foto: dpa)

Der frisch vereidigte die Vision eines von Zuversicht und bürgerschaftlichem Engagement getragenen Deutschland gezeichnet. Gauck machte zum Leitmotiv seiner mit viel Spannung erwarteten Rede die Frage, wie das Land aussehen solle, "zu dem unsere Kinder und Enkel 'Unser Land' sagen sollen".

Gauck zeichnete die geschichtliche Entwicklung Deutschlands nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs nach und forderte die Bürger auf, sich an das zu erinnern, was Deutschland bisher gelungen sei. Er erinnerte an das Wirtschaftswunder, das in Westdeutschland vielen Menschen die Teilhabe am Wohlstand ermöglich habe, "wenn auch nicht allen in gleichem Maße". Er selbst schätze allerdings das "Demokratiewunder" jener Jahre noch höher ein, sagte er dann. Dabei sei deutlich geworden, dass "Revanchismus nicht mehr mehrheitsfähig ist". Stattdessen habe sich eine stabile demokratische Ordnung entwickelt.

Die zunächst defizitär verlaufene Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte, Verdrängung und fehlende Empathie für die Opfer des NS-Regimes hätten die 68er neu angestoßen. Seitdem sei die historische Schuld ins kollektive Bewusstsein gerückt, es sei möglich geworden, sich anders und tiefer zu erinnern. Dies sei das nachhaltige Verdienst dieser Generation.

Europa als aktuelle Lebenswirklichkeit

Gauck erinnerte nachdrücklich an die Anfänge der europäischen Integration, die Bundeskanzler Konrad Adenauer begonnen habe. Auch dies sei ein Schatz im deutschen Erinnerungsgut. Ebenso wie die Leistung der Ostdeutschen, die sich ermächtigt hätten zu der Aussage: "Wir sind das Volk". Dies sei die Voraussetzung gewesen, um sagen zu können: "Wir sind ein Volk".

Gauck betonte, wie wichtig es ihm sei, nicht nur die Schattenseiten, Schuld und Versagen zu sehen. Er wolle die Menschen vielmehr ermutigen, neue Herausforderungen anzunehmen. Der Sozialstaat zeichne sich nicht durch einen "paternalistische Fürsorgepolitik" aus, sondern sei ein Staat, der "versorgt und ermächtigt". Niemand dürfe den Eindruck haben, kein Teil der Gesellschaft zu sein, weil er "arm, alt oder behindert" ist.

Vor allem im zweiten Teil der Rede variierte Gauck sein bisheriges Hauptthema von Freiheit in Verantwortung. Er nannte ausdrücklich das Gefühl der Gerechtigkeit wichtig für Freiheit und Demokratie. Freiheit sei eine notwendige Bedingung für Gerechtigkeit. Deutschland solle ein Land sein, das "soziale Gerechtigkeit, Teilhabe und Aufstiegschance" miteinander verbindet.

Referenz an Wulff

Gauck sicherte seinem vor einigen Wochen zurückgetretenen Vorgänger Christian Wulff zu, dessen Engagement für die Integration aller in Deutschland lebenden Menschen mit Migrationshintergrund auch zu seinem Anliegen zu machen. Alle, die hier leben, sollten sich auch hier zuhause fühlen können, sagte er. Deutschland solle das Land aller Menschen sein, die hier leben, als Teil einer politischen und ethischen Wertegemeinschaft.

Mit Blick auf die Politikverdrossenheit vieler Bürger beschrieb Gauck die repräsentative Demokratie als bestes System, um den Ausgleich zwischen Gruppeninteressen und Gemeinwohlinteressen zu gewährleisten. Vor allem aber sei es ein "lernfähiges System". Zusammen mit einer aktiven Bürgergesellschaft sei es in der Lage, Mängel ausgleichen. Denn die deutsche Gesellschaft sei nicht vollkommen, aber die beste, die es bisher gegeben habe. Dies sei nach den Mordtaten der NSU besonders offenbar geworden, als deutlich zutage trat, dass es "genügend Gegengewicht zu diesen Mordgesellen gibt". "Euer Hass ist unser Ansporn" - diese Botschaft sollten die "rechtsextremen Verächter unserer Demokratie" hören.

Aufgabe für alle

Am Ende seiner Rede wurde Gauck noch einmal sehr persönlich. Er bat die Bürgerinnen und Bürger ebenso wie die Politiker, sich nicht mit der Distanz zwischen ihnen abzufinden. Ausdrücklich forderte er die Politiker auf, offen und klar zu reden. Von den Bürgern erwarte er, dass sie nicht nur als Konsumenten auftreten und nicht ohne Not auf Teilhabe verzichten.

Er habe die Erfahrung gemacht, welche Kräfte entstehen, wenn die Menschen ihre Angst ablegten. "Nach einem Wort Gandhis kann nur ein Mensch mit Selbstvertrauen Fortschritte machen und Erfolge haben", sagte Gauck. "Dies gilt für einen Menschen wie für ein Land."

Gaucks Rede war mit Spannung erwartet worden. Viele hofften, dass der frühere DDR-Bürgerrechtler Schwerpunkte seiner künftigen Arbeit skizzieren würde. Bisher hatte Gauck sich vor allem mit dem Thema Freiheit beschäftigt. Diesem Thema blieb er auch in seiner Antrittsrede treu, fand aber auch klare Worte gegen den Rechtsextremismus. Er öffnete sich aber auch aktuellen Problemen wie der Schuldenkrise, der Zukunft des Sozialstaats oder der Integration von Muslimen und anderen Zuwanderern.

Es war vielleicht nicht Gaucks stärkste Rede, manch einem klang sie gelegentlich auch noch zu pastoral. Deutlich wurde aber, dass Gauck ein Bundespräsident sein will, der den Menschen den Stolz auf ihr Land und die Verantwortung für sein Gedeihen wiedergeben möchte.

Die gesamte Rede im Wortlaut finden Sie .

Quelle: ntv.de, sba

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