Politik

Arbeitgeber sucht Arbeitnehmer "Jobcenter heillos überfordert"

Meterweise Akten: Jobcenter können kaum richtig prüfen, sagt Unternehmer Schwarz.

Meterweise Akten: Jobcenter können kaum richtig prüfen, sagt Unternehmer Schwarz.

(Foto: picture alliance / dpa)

Stephan Schwarz löst ein gewaltiges Echo aus, als er sich öffentlich über die Bewerber beklagt, die ihm ein Berliner Jobcenter für 100 offene Stellen in seiner Gebäudereinigungsfirma vermittelt. Lediglich eine Bewerberin kann er guten Gewissens einstellen. Der Unternehmer und Präsident der Handwerkskammer Berlin begrüßt im Interview mit n-tv.de nun den Vorstoß von Arbeitsministerin von der Leyen, Hartz-IV-Empfänger fester an die Hand zu nehmen. Doch er warnt auch, dass das nicht alles sein kann.

n-tv.de: Herr Schwarz, Sie haben mit Ihrer Jobcenter-Schelte Anfang März eine heftige Diskussion über die Arbeitswilligkeit von Hartz-IV-Empfängern ausgelöst. Gleichzeitig haben Sie als Nebeneffekt eine recht günstige Stellenanzeige im Fernsehen schalten können. Wie ist der Stand heute? Sind alle 100 Stellen besetzt?

Stephan Schwarz: Ja, die sind alle besetzt. Nach der Sendung hatten wir eine erstaunliche Resonanz - es sind über 600 Bewerbungen gekommen. Und die waren von der Qualität her deutlich besser als vorher. Wir freuen uns darüber.

Gebäudereinigung ist kein Zuckerschlecken.

Gebäudereinigung ist kein Zuckerschlecken.

(Foto: picture-alliance/ dpa)

Sind die neuen Mitarbeiter auch noch alle im Betrieb?

Am Anfang sagen immer einige neue Mitarbeiter, der Job sei ihnen zu schwierig. Manchmal sagen wir aber auch, Sie sind doch nicht geeignet für den Job. Ein bisschen Fluktuation gibt es also immer. Aber die Stellen sind jetzt definitiv fest besetzt.

Sie stimmten damals Guido Westerwelle zu, der Sanktionen gegen "arbeitsunwillige" Hartz-IV-Empfänger forderte. Er hat im Anschluss ziemlich einstecken müssen, auch weil die Sanktionsmöglichkeiten längst gegeben sind und die Sanktionsquote deutschlandweit gering ist. Hat sich Ihre Einstellung durch die Diskussion irgendwie verändert?

Also, ich finde es erstmal nicht gut, wenn man von Sanktionen und Zwang redet. Ich kann bei mir gar keine Mitarbeiter brauchen, die zur Arbeit gezwungen werden. Ich brauche engagierte, motivierte Mitarbeiter, die Lust auf den Job haben. Ich finde aber auch: Wenn jemand partout nicht arbeiten möchte, dann ist das zwar sein gutes Recht - aber dann kann er auch keine Gegenleistung der Steuerzahler erwarten. Jobcenter und Gesetzgeber müssen besser darauf achten, dass sich niemand ein schönes Leben auf Kosten der Allgemeinheit macht.

Und die insgesamt niedrige Sanktionsquote? Ist die ein Fehler der Jobcenter - oder spricht sie nicht eher für folgsame Hartz-IV-Empfänger?

Man darf nicht pauschalisieren. Ich gehe davon aus, dass der größte Teil der Langzeitarbeitslosen gerne einen Job hätte. Es gibt aber auch einen Teil, der trotz Arbeitsfähigkeit nicht arbeiten möchte. Und die Praxis ist die, dass nicht immer gekürzt wird, wo eigentlich gekürzt werden könnte. Die Politik gibt den Jobcentern einen hohen Ermessenspielraum und delegiert damit die Prüfung des Aspektes Leistung/Gegenleistung. Diese Prüfung können die Jobcenter jedoch nicht leisten. Da bräuchte es klarere Vorgaben.

Die Arge Nürnberg hat eine Vorzeigeabteilung in Sachen Vermittlung von Jugendlichen. Der Geschäftsführer sagt sinngemäß, dass Jugendliche durch die Schule ein sehr schlechtes Bild von staatlichen Institutionen haben. Er setzt auf Motivation statt Druck. Wie viel Druck ist motivierend, ab wann wird er kontraproduktiv?

Gerade bei Jugendlichen, die am Beginn ihres Erwerbslebens stehen, haben die Argen, der Gesetzgeber und die Arbeitgeber eine ganz hohe Verantwortung, die jungen Menschen nicht verloren zu geben. Daher ist der Ansatz richtig, zunächst Hilfestellung zu geben, zu motivieren und den schwierigen Übergang in die Wirtschaft konstruktiv zu begleiten. Aber man muss auch deutlich machen, dass eine Hartz-IV-Karriere kein gangbarer Weg ist. Und man kann das deutlich machen, indem man Leistungen kürzt.

Wie hoch ist denn Ihrer Meinung nach der "optimale" Hartz-IV-Satz angesichts eines wachsenden Niedriglohnsektors?

Arbeitsministerin von der Leyen will Langzeitarbeitslose wieder in Beschäftigung bringen.

Arbeitsministerin von der Leyen will Langzeitarbeitslose wieder in Beschäftigung bringen.

(Foto: picture alliance / dpa)

Das ist eine gute Frage. Ich glaube, dass der Hartz-IV-Satz verdammt wenig Geld ist. Und mir ist klar, dass es schwierig ist, damit über die Runden zu kommen. Für diejenigen, die arbeiten können, aber nicht arbeiten wollen, ist es aber definitiv zu viel. Da muss man notfalls bis auf Null runterkürzen. Für die Mehrheit ist es sehr, sehr wenig Geld. Wir geben allerdings fast 50 Milliarden Euro dafür aus - und es wird immer schwieriger, solche Summen zu erwirtschaften.

Menschen in Arbeit zu bringen ist für Sie mehr als Jobvermittlung. Sie halten das für eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Was meinen Sie damit konkret?

Das fängt bei der vorschulischen Erziehung an und geht weiter über die Schule. Es muss unbedingt darauf geachtet werden, dass Kindern und Jugendlichen Kompetenzen vermittelt werden, die sie für das Berufsleben dringend brauchen. Dazu gehören Lesen, Schreiben und Rechnen genauso wie Teamfähigkeit, Respekt und Pünktlichkeit. Auch Unternehmen sind hier noch mehr gefordert, Jugendliche etwa durch Praktika an das Berufsleben heranzuführen.

Arbeitsministerin von der Leyen will Alleinerziehende, Menschen über 50 und Jugendliche nun fester an die Hand nehmen und den Jobcentern "Knochenarbeit" abverlangen. Wie müsste das Ihrer Meinung nach aussehen?

Ich glaube, dass die Arbeitsvermittler in den Jobcentern heillos überfordert sind, wenn sie die Versäumnisse in der Schule und im Elternhaus wieder in Ordnung bringen sollen. Das schaffen die nicht. Gleichwohl ist eine intensive Betreuung durch die Jobcenter natürlich richtig - aber nur als ein kleines Mosaiksteinchen bei der Lösung des ganzen Problems. Die gesamte Gesellschaft muss dafür sorgen, dass gerade Kinder aus schwierigen familiären Verhältnissen die Möglichkeit der Partizipation haben.

Sie beklagen gerne miserable Bewerbungen, die schon mal auf Butterbrotpapier geschrieben sind. Wie ist denn das Verhältnis zwischen guten und schlechten Bewerbungen?

Stephan Schwarz, Geschäftsführer der Gebäudereinigung GRG und Präsident der Berliner Handwerkskammer.

Stephan Schwarz, Geschäftsführer der Gebäudereinigung GRG und Präsident der Berliner Handwerkskammer.

Bei der Suchaktion mit dem Jobcenter lag das Verhältnis bei 130 schlechten zu einer guten Bewerbung. Wir haben das aber jetzt verbessert. Auf 100 Bewerbungen kommen nun 30 gute.

Und was bringt Sie bei den schlechten richtig auf die Palme?

Wenn ich merke, dass sich jemand nur bewirbt, damit er das dem Jobcenter nachweisen kann, dann weiß ich, dass er an dem Job gar kein Interesse hat. Das ist inakzeptabel. Der Bewerber muss deutlich machen, dass er gerne bei uns arbeiten möchte.

Marx ist lange tot, aber ich folge mal für einen Moment seinen Thesen: Ist Deutschland mit seiner Arbeitslosigkeit und einem Mittelstand in Angst vor dem Abrutschen nicht ein Eldorado für Firmen? Sollten Unternehmer nicht eher genießen und schweigen?

Ganz im Gegenteil. Wir sind in einem tiefgreifenden demographischen Wandel, die Facharbeiter fehlen. Und der Nachwuchs bleibt aus, weil wir Probleme mit der Ausbildungsreife junger Menschen haben. Deshalb ist die derzeitige Situation ein echtes Wachstumshemmnis. Das kann sich keiner wünschen.

Quelle: ntv.de, Mit Stephan Schwarz sprach Jochen Müter

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