Kanzleramt früh über Opfer informiert Jung wusste es nicht besser
25.03.2010, 17:25 Uhr
Jung muss sich einer sechsstündigen Befragung zu den Vorgängen rund um den Luftangriff erklären.
(Foto: dpa)
Ex-Verteidungsminister Jung bestreitet vor dem Untersuchungsausschuss, die Öffentlichkeit über zivile Opfer beim Kundus-Luftangriff belogen zu haben. Derweil gerät das Kanzleramt in Erklärungsnot, weil es vom BND nur Stunden nach dem Vorfall über zivile Opfer informiert wurde.
Ex-Verteidigungsminister Franz Josef Jung hat Vorwürfe zurückgewiesen, er habe nach dem umstrittenen Luftangriff bei Kundus zivile Opfer vertuscht. "Ich kann das nur mit Nachdruck zurückweisen", sagte der CDU-Politiker vor dem Kundus-Untersuchungsausschuss im Deutschen Bundestag. Er habe die Öffentlichkeit nach dem jeweiligen Kenntnisstand informiert.
Deswegen sei er mit den ersten Informationen über Opferzahlen vorsichtig umgegangen. Unmittelbar nach dem Luftangriff am 4. September habe es jedoch keine gesicherten Erkenntnisse über zivile Opfer gegeben. Nachdem die "Washington Post" einige Tage nach dem Angriff über tote Zivilisten berichtet habe, habe auch er dies nicht mehr ausgeschlossen.
Guttenberg nicht im TV

Der Angriff auf die Tankwagen und seine Informationspolitik brachten Jung um das Amt als Arbeitsminister.
(Foto: picture-alliance/ dpa)
Jung verteidigte, dass eine erste Pressemeldung des Ministeriums die Möglichkeit ziviler Opfer noch nicht berücksichtigte. Die damalige Informationslage sei gewesen, dass es 56 tote und 14 verletzte Taliban gegeben habe, sagte der frühere Minister. Jung war wegen der Informationspolitik nach dem Luftschlag in Kundus unter Druck geraten und wenige Wochen später von seinem neuen Amt als Arbeitsminister zurückgetreten. Sein Nachfolger Karl-Theodor zu Guttenberg soll am 22. April aussagen. Einen Antrag der Opposition, ihn vor laufenden Fernsehkameras zu befragen, lehnte der Ausschuss allerdings mit der Mehrheit von Union und FDP ab.
Der CDU/CSU-Obmann Ernst-Reinhard Beck sagte, man wolle kein "Spektakel Guttenberg". Es gebe keine hinreichenden Gründe für eine TV-Aussage: "Die einzige Begründung, die ich gehört habe, war: Guttenberg ist populär." Die SPD warf der Koalition vor, mit ihrer Entscheidung dem Ziel einer transparenten Aufklärung entgegenzuwirken. "Zur größtmöglichen Transparenz gehört auch, dass die Bürger sich ein eigenes Bild machen können", sagte der SPD-Obmann Rainer Arnold.
Unterdessen wurde bekannt, dass das Kanzleramt schon wenige Stunden nach dem Bombardement erste Hinweise auf zivile Opfer bekam. In einer am Morgen des 4. September 2009 intern im Kanzleramt versendeten E-Mail ist von 50 bis 100 toten Zivilisten die Rede.
Sorge vor der Bundestagswahl?
Oppositionspolitiker werfen der Bundesregierung vor, möglicherweise wegen der damals bevorstehenden Bundestagswahl lange Zeit keine klaren Aussagen zu zivilen Opfern gemacht zu haben. Das Bundespresseamt wies darauf hin, dass Kanzlerin Angela Merkel "zu keinem Zeitpunkt" zivile Opfer ausgeschlossen habe. Bei dem Bombardement auf zwei Tanklastzüge in Nordafghanistan wurden bis zu 142 Menschen getötet oder verletzt.
Kanzlerin Angela Merkel hatte die Existenz ziviler Opfer nicht verneint, sich aber erst Tage nach dem Luftangriff zu dem Vorfall geäußert. Der damalige Verteidigungsminister Jung hatte dagegen noch mehrere Tage nach dem Vorfall betont, nach seinen Informationen gebe es keine Erkenntnisse über den Tod von Zivilisten.
E-Mail vom BND
Wörtlich heißt es in der Mail des Bundesnachrichtendienstes (BND): "Das Verheerende daran ist, dass dabei zahlreiche Zivilisten ums Leben gekommen sind (Zahlen variieren von 50 bis 100)." In dem Schreiben an das Kanzleramt soll der BND berichtet haben, dass der Raub der beiden Laster sowohl einen kriminellen als auch einen terroristischen Hintergrund haben könnte. Die Zahl der zivilen Opfer sei so hoch, weil Dorfbewohner die Gelegenheit genutzt und sich mit Benzinkanistern zu den Lastern auf den Weg gemacht hätten, um Treibstoff abzuzapfen.
Diese Mail und weiteren Unterlagen des Bundeskanzleramtes seinen dem Kundus-Untersuchungsausschuss übergeben worden, sagte ein Regierungssprecher. Der Ausschuss soll die Hintergründe des von einem deutschen Offizier angeordneten Luftangriffs untersuchen. Dabei geht es im Wesentlichen um die Frage, ob die Bombardierung angemessen gewesen war.
Opposition spricht von Lüge
Grünen-Obmann Omid Nouripour sagte: "Wenn das Kanzleramt so früh Bescheid wusste, dann haben wir ein Problem, dann liegt hier Vertuschung vor." Der Linken-Politiker Jan van Aken sprach sogar von Lüge. "Ich finde die Lügerei, die in den Tagen nach dem 4. September stattgefunden hat, nur aus reinen Wahlkampfgründen, unerträglich", sagte er. In den nächsten Wochen müsse auch die Kanzlerin vor dem Ausschuss erklären, "warum sie - obwohl die Information über zivile Opfer vorlag - nicht die Wahrheit gesagt hat".
Quelle: ntv.de, tis/rts/AFP/dpa