Alle Angreifer am Taj tot Kampf um Trident-Hotel
27.11.2008, 22:26 UhrNach der beispiellosen Anschlagswelle auf Touristen-Zentren und Luxushotels in der indischen Millionenmetropole Bombay versuchen zahlreiche Sicherheitskräfte, darunter 800 Soldaten, die noch verbliebenen Geiseln aus der Hand der Angreifer zu befreien. Auch am Donnerstagabend waren noch Schüsse und Explosionen zu hören. Inzwischen haben die Sicherheitskräfte alle Attentäter getötet, die das Luxushotel Taj Mahal angegriffen und sich darin verschanzt hatten. Der Einsatz im Oberoi/Trident-Hotel dauere an, teilten die Behörden am Abend mit.
Inzwischen sind drei mutmaßliche Terroristen in einem der beiden Hotels festgenommen worden. Darunter sei ein Pakistaner, berichtete die indische Nachrichtenagentur PTI am Abend. Die Männer sollen der in Pakistan ansässigen Rebellengruppe Lashkar e Toiba angehören, die die Unabhängigkeit Kaschmirs fordert. Indien und das Nachbarland beanspruchen beide die Provinz Kaschmir.
Weiter Geisel in Hand der Terroristen
Der Nachrichtensender NDTV berichtete, aus dem Taj Mahal seien alle Gäste in Sicherheit gebracht worden. Im Trident-Hotel hielten sich aber weiterhin rund 100 Menschen auf, von denen 35 in der Gewalt der Terroristen seien. Die anderen Hotelgäste sollen sich vor den Angreifern versteckt haben. Der Krisenstab des italienischen Außenministeriums teilte am Abend mit, in dem Hotel befänden sich sieben Italiener in ihrem Zimmer, darunter ein Baby. Der Krisenstab stehe in telefonischem Kontakt ihnen.
Bei den nahezu gleichzeitig verübten Anschlägen auf die beiden Luxushotels Taj Mahal und Oberoi/Trident, das Touristen-Caf "Leopold", das jüdische Zentrum, Krankenhäuser und einen Bahnhof kamen nach Polizeiangaben am Mittwochabend mehr als 125 Menschen ums Leben, darunter neun Ausländer und der Chef der Anti-Terror-Einheit Bombays. Mindestens 315 Menschen wurden nach Polizeiangaben verletzt, darunter 22 Ausländer.
Weitere deutsche Opfer befürchtet
Unter den Toten sollen mindestens ein Deutscher, ein Japaner, ein Australier, ein Brite und ein Italiener sein. Bei dem bestätigten deutschen Opfer handelt es sich um einen Münchner Medienunternehmer, der bei einem dramatischen Fluchtversuch aus dem Taj, das im Zentrum der Angriffswelle stand, ums Leben kam.
Bundesaußenminister Frank Walter Steinmeier hält es für möglich, dass weitere Deutsche unter den Opfern sind. Derzeit müsse man davon ausgehen, dass mindestens ein Deutscher getötet und mehrere verletzt wurden, sagte Steinmeier am Donnerstagabend in Berlin. Gleichzeitig betonte er: "Noch können wir nicht ausschließen, dass weitere deutsche Staatsangehörige unter den Opfern sind."
Kein Kontakt zu 25 Israelis
Die israelische Botschaft in Neu Delhi teilte mit, insgesamt seien 10 bis 15 Israelis in der Gewalt von Terroristen, zu weiteren 25 habe man keinen Kontakt herstellen können. In einem jüdischen Gemeindezentrum werden zudem acht Geiseln festgehalten, darunter ein Rabbiner und seine Frau. Der zwei Jahre alte Sohn von Gabriel und Rivka Holtzberg wurde zwölf Stunden nach der Erstürmung des Zentrums durch die Terroristen freigelassen.
Angreifer kamen mit Booten
Die Angreifer waren am Mittwochabend mit Booten in die Stadt gekommen. Sie griffen dort nahezu zeitgleich mindestens zehn Ziele mit Schnellfeuergewehren und Handgranaten an. Die Terroristen sollen wahllos in die Menge geschossen haben. Vor allem Briten und US-Bürger seien von den Islamisten gezielt verfolgt worden, sagte ein Augenzeuge.
Eine bislang nicht in Erscheinung getretene muslimische Gruppe Deccan Mudschaheddin bekannte sich zu den Anschlägen. Die indische Marine fing ein Schiff ab, das die Terroristen möglicherweise nach Bombay brachte. Indiens Vize-Innenminister Sriprakash Jaiswal sagte: "Wir betrachten die Terrorangriffe als Krieg und behandeln die Situation wie einen Ausnahmezustand zu Kriegszeiten."
Indien zeigt auf Pakistan
Indiens Regierung macht ausländische Terrorgruppen für die Terrorwelle verantwortlich. Die Urheber der Angriffe hätten ihre Basis außerhalb Indiens, behauptete Ministerpräsident Manmohan Singh. Ihr einziges Ziel sei es, die indische Finanzmetropole ins Chaos zu stürzen.
Singh warnte die Nachbarländer der Atommacht, man werde es nicht dulden, wenn von ihrem Territorium aus Anschläge auf Indien verübt würden. "Wenn keine angemessenen Maßnahmen von ihnen ergriffen werden, wird das seinen Preis haben", sagte er in einer Ansprache an die Nation. Er kündigte an, es würden die schärfsten Maßnahmen ergriffen, um eine Wiederholung eines derartigen Anschlags auszuschließen. In der Vergangenheit hat Indien mehrfach seinem westlichen Nachbarn Pakistan vorgeworfen, in Indien agierende islamistische Extremisten unterstützt zu haben.
Forderungen gestellt
Die Geiselnehmer von Deccan Mujahideen fordern ein Gespräch mit Regierungsvertretern. "Bitten Sie die Regierung um Gespräche mit uns, dann werden wir die Geiseln freilassen", sagte einer der Besetzer des jüdischen Zentrums im indischen Fernsehen. Der Mann warf der indischen Armee vor, in der strittigen Region Kaschmir viele Muslime zu töten. Der stellvertretende Regierungschef von Maharashtra, R.R. Patil, sagte, mit den Terroristen seien keine Verhandlungen aufgenommen worden.
Einer der Angreifer im Trident/Oberoi forderte in einem Telefoninterview mit einem TV-Sender, alle in Indien inhaftierten islamistischen Kämpfer müssten freigelassen werden. Der Mann, der sich selbst Sahadullah nannte, sagte, einer von sieben Angreifern in dem Hotel zu sein.
Krisenstab eingerichtet
Unterdessen hat das Auswärtige Amt in der indischen Wirtschaftsmetropole einen Krisenstab eingerichtet. Die Lage vor Ort sei weiter unübersichtlich, sagte eine Sprecherin Steinmeiers. Das Generalkonsulat wurde laut Steinmeier personell verstärkt. Ein psychologisches Beratungsteam sei auf dem Weg dorthin, um Opfer und ihre Angehörigen zu betreuen. Nach Angaben des Auswärtigen Amtes kümmert sich das deutsche Generalkonsulat auch um deutsche Staatsbürger, die sich nach der Gewaltserie in Bombay dort gemeldet haben.
Empörung und Mitgefühl
Steinmeier verurteilte die Gewalttaten in Bombay "auf das Allerschärfste" und zeigte sich bestürzt über das Ausmaß der Gewalt. "Es sind grausame Bilder, die uns aus Indien erreichen", erklärte der Minister. Er hoffe, dass es gelinge, "die unübersichtliche Lage möglichst bald zu klären". Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel zeigte sich besorgt über den Terror in Bombay. Sie sprach dem indischen Premierminister in einem Telefonat ihr Mitgefühl aus und übersandte ein Kondolenzschreiben. Merkel schrieb, sie bewege neben dem Schicksal der vielen Toten auch die "furchtbare Situation" der Geiseln. Den Verletzten wünschte sie schnelle Genesung.
Weltweit herrscht Trauer und Empörung. UN-Generalsekretär Ban Ki Moon sicherte dem indischen Volk und der Regierung seine Solidarität zu. US-Präsident George W. Bush bot Indien die Unterstützung seines Landes an. Der gewählte US-Präsident Barack Obama betonte, er sei "in Gedanken und in seinen Gebeten bei den Opfern". Die französische EU-Ratspräsidentschaft sprach von der "Verbundenheit des indischen Volkes mit der Demokratie, gegen die sich diese Terrorhandlungen wenden". Papst Benedikt XVI. forderte in einem dringenden Appell ein "Ende aller Terrorakte".
Terror von neuer Qualität
Der Ehrenvorsitzende der Deutsch-Indischen Gesellschaft, Hans-Georg Wieck, sieht in den Anschlägen von Bombay eine neue Qualität. Diesmal gehe es gegen das "System Indien", gegen die offene Gesellschaft, sagte der ehemalige Botschafter in Indien und einstige BND-Chef gegenüber n-tv.de. Es handele sich um "eine fundamentale Systemkritik und nicht eine Auseinandersetzung mit einer anderen religiösen Gruppe". Wieck rechnet mit einer Reihe weiterer Unruhen im Land. Schließlich sei die Gewalt im muslimischen Namen geschehen und werde schon allein dadurch eine Reaktion auslösen.
Entwicklung war absehbar
Der Terrorismus-Experte Bernd Georg Thamm sagte bei n-tv: "Diese Entwicklung zieht sich wie ein roter Faden bereits über Jahre und hat sich in der letzten Zeit verstärkt. Hauptursache dürfte wohl der Kaschmir-Konflikt sein, in dem über lange Zeit immer wieder bewaffnete Islamisten ins indische Kernland von Kaschmir aus vordringen, um in Indien Anschläge zu begehen."
Es gebe aber auch "ab und an Islamisten, die von Bangladesch aus nach Indien gehen", so Thamm. Schließlich gebe es in Indien "homegrown terrorists". Da könne es durchaus sein, "dass es auch Querverbindungen zur Al-Kaida gibt".
Quelle: ntv.de