Politik

Narziss mit Identität eines Toten Karadzic blieb sich als Arzt treu

Der nach zwölfjähriger Flucht verhaftete mutmaßliche serbische Kriegsverbrecher Radovan Karadzic hat seit 1998 Originaldokumente eines fünf Jahre zuvor in Sarajevo gestorbenen Serben genutzt. Das berichtete die Belgrader Zeitung "Danas" unter Berufung auf Polizeiquellen. Die Personalpapiere auf den Namen Dragan David Dabic seien von der Polizei in der Stadt Ruma (50 Kilometer nordwestlich von Belgrad) ausgestellt worden.

Millionen-Diebstahl

Karadzic soll seine langjährige Flucht auch durch Geld finanziert haben, das er aus der Nationalbank der bosnischen Serbenrepublik entwendet hatte. Dem früheren Präsidenten der Serbenrepublik sei 1997 erlaubt worden, aus den Banktresoren insgesamt 36 Millionen D-Mark mitzunehmen, berichtete die in Sarajevo erscheinende Zeitung "Dnevni avaz" am Donnerstag.

Das Blatt zitierte aus einem vor drei Jahren geführten Interview mit dem heutigen Regierungschef der Serbenrepublik, Milorad Dodik, Karadzic habe einmal Banknoten im Wert von 28 Millionen D-Mark (DM) und ein paar Tage später von acht Millionen DM in Taschen aus dem Bankgebäude in Banja Luka getragen. Er war damals schon vom UN- Kriegsverbrechertribunal angeklagt und ohne jede politische Funktion. Die DM war damals in allen ehemaligen jugoslawischen Staaten inoffizielles Zahlungsmittel.

Pers önlichkeit treu geblieben

Karadzic hat sich nach Ansicht von Psychologen auch durch seine neue Identität als Alternativmediziner nicht verändert, sondern ist seiner Persönlichkeit treu geblieben. Er sei als früherer Führer der bosnischen Serben und als späterer Dr. Dragan Dabic ein Narziss geblieben, der nach "Wahrnehmung, Anerkennung und Applaus" süchtig war, zitierten die Zeitungen in Belgrad heimische Experten.

"Es handelt sich nur um eine Maske, er ist sehr authentisch geblieben", sagte die Psychologin Tamara Stajner-Popovic der Zeitung "Blic". "Dieser mächtige Wunsch nach öffentlichen Auftritten, obwohl sie seiner Existenz gefährlich werden konnten, ist surreal". Der 63-Jährige habe trotz der äußeren Verwandlung seine Persönlichkeit ausgelebt und seine "psychologische Identität beibehalten", erläuterte die Kriminalpsychologin Leposava Kron. Für den "extrem extrovertierten Menschen" wäre "psychologischer Selbstmord, wenn er kein Publikum hätte". Karadzic hatte als Alternativmediziner in ganz Serbien Vorträge gehalten und hatte hunderte Patienten behandelt.

Erneute Unruhen in Belgrad

Einige hundert Anhänger von Karadzic haben in Belgrad unterdessen wieder gewaltsam demonstriert. Den dritten Tag in Folge warfen sie mit Flaschen und Steinen, entzündeten Feuerwerkskörper und verbrannten Fahnen politischer Gegner. Wieder wurden heimische Journalisten angegriffen. Die Extremisten wurden angeführt von einigen Parlamentsabgeordneten der ultranationalistischen Radikalen. Die Polizeikräfte, die mit weniger Beamten als an den beiden Vortagen angerückt waren, hielten sich zurück.

Karadzic war nach fast zwölf Jahren auf der Flucht in Belgrad festgenommen worden und soll in den kommenden Tagen an das UN-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag überstellt werden. Der frühere Führer der bosnischen Serben im Bürgerkrieg (1992-1995) ist offenkundig jahrelang vom serbischen Geheimdienst gedeckt worden. "Der Geheimdienst hat ihn geschützt, der Geheimdienst hat ihn jetzt übergeben", sagte Innenminister Ivica Dacic.

Auslieferung nach Den Haag

Karadzic soll am Wochenende, spätestens aber zu Beginn der nächsten Woche, an das Tribunal in Den Haag ausgeliefert werden, sagte der Sprecher der serbischen Staatsanwaltschaft für Kriegsverbrechen, Bruno Vekaric. Der Anwalt des 63-Jährigen, Svetozar Vujacic, schloss die Auslieferung nicht aus und kündigte an, er werde Einspruch gegen den Auslieferungsbeschluss einlegen. In diesem Fall muss ein höheres Gerichtsgremium sofort entscheiden und das Justizministerium zustimmen.

Karadzic will sich selbst verteidigen

Wie der noch während seines Prozesses in Den Haag an einem Herzinfarkt gestorbene frühere jugoslawische Präsident Slobodan Milosevic und der Nationalistenführer Vojislav Seselj will sich Karadzic selbst verteidigen, stellte sein Anwalt in Aussicht. Karadzic ist vom Tribunal wegen Völkermordes und Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt.

Quelle: ntv.de

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