Gesundheitsreform Kaum einer glaubt an Erfolg
04.01.2007, 07:33 UhrDie große Mehrheit der Bundesbürger zweifelt an einem Erfolg der Gesundheitsreform. 85 Prozent der Bundesbürger betrachten das Gelingen der geplanten Reform mit Skepsis, ergab eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Forsa im Auftrag von n-tv.
Lediglich acht Prozent der Befragten glauben an einen Erfolg der Reformpläne. Die größten Zweifel haben der Umfrage zufolge die Anhänger der Linkspartei: 99 Prozent von ihnen glauben, die Reform werde kein Erfolg. Aber auch bei den Anhängern der großen Koalition ist die Hoffnung auf eine gelungene Reform sehr gering. Unter den Unionsanhängern glauben nur zwölf Prozent an ein Gelingen (kein Erfolg: 82 Prozent). Ein ähnliches Bild zeigt sich bei den Anhängern der SPD (Erfolg: 14 Prozent; kein Erfolg: 84 Prozent).
Neue Zahlen im Gegengutachten
Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) präsentierte derweil ein Gutachten, das belegen soll, dass die Folgekosten der Gesundheitsreform für die Länder deutlich geringer ausfallen als von diesen erwartet. Statt erwarteter Zusatzbelastungen in Milliardenhöhe komme auf die Bundesländer ein Mehrbedarf von etwa 50 bis knapp 100 Millionen Euro zu, heißt es in der Studie, die Schmidt vor Weihnachten in Auftrag gegeben hatte.
Die Studie stammt aus der Feder des Chefs der Wirtschaftsweisen, Bert Rürup, und seines Expertenkollegen Eberhard Wille. Mit dem Gutachten reagiert das Gesundheitsministerium auf Zahlen eines Kieler Instituts, die im Dezember veröffentlicht worden waren. Darin waren Baden-Württemberg Mehrkosten in Höhe von 1,61 Milliarden Euro vorhergesagt worden. Bayern müsste diesen Zahlen zufolge mit Folgekosten in Höhe von 1,04 Milliarden Euro rechnen. Unter Berufung auf diese Zahlen hatte Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU) die Zustimmung zur Reform in Frage gestellt.
Die Kieler Studie war von Rürup als "vom Ansatz und von der Methode her außerordentlich fragwürdig" bezeichnet worden. Dem "Rheinischen Merkur" sagte Rürup, die Zahlen seien "deutlich überdimensioniert". Laut Rürups Berechnungen muss Bayern mit Mehrkosten von maximal 98 Millionen Euro, Baden-Württemberg mit 92 Millionen und Hessen mit 64 Millionen Euro zusätzlich rechnen. Das neue Gutachten kommt zu Ergebnissen, die denen des Bundesversicherungsamts sehr nahe liegen, auf die sich die Bundesregierung bisher gestützt hat.
CSU reagiert gespalten
Bei der Vorstellung der Studie forderte Schmidt ein Ende des Koalitionskrachs. Äußerungen aus der CSU ließen allerdings nicht darauf schließen. "Leider hat Frau Schmidt bis auf den heutigen Tag sich nicht vertragstreu verhalten", sagte CSU-Generalsekretär Markus Söder bei n-tv. Die Rürup-Studie nannte Söder "ein kleines Gutachten", das nicht ausreiche.
Zugleich kündigte Söder an, dass die CSU das Papier "genau lesen und die Zahlen überprüfen" werde. "Natürlich ist das Vertrauen in ein Gutachten, das Frau Schmidt in Auftrag gegeben hat, nicht wirklich sonderlich hoch", so Söder.
Schmidt betonte dagegen bei n-tv, es handele sich um ein Gutachten der Bundesregierung. Die Gutachter seien "mit den Bundesländern und auch mit der Bundeskanzlerin" ausgesucht worden.
Anders als Söder stellte sich der CSU-Gesundheitsexperte und Unions-Fraktionsvize Wolfgang Zöller hinter das neue Gutachten. "Was Professor Rürup vorgetragen hat, war für mich schlüssig", sagte Zöller. Er rief dazu auf, den "Zahlensalat, der durch die Leute gepeitscht wurde", nun zu beenden. "Ich gehe nach wie vor davon aus, dass wir eine Gesundheitsreform wie in den Eckpunkten beschlossen hinkriegen", betonte Zöller. Besonders bei der Ausgestaltung des Basistarifs bei den privaten Krankenversicherungen seien aber noch "ein paar Hausaufgaben zu machen".
"Klassenkampf, Staatsmedizin, Gesundheitssozialismus"
Schmidt betonte, für alle, die die Zahlen immer noch nicht glaubten, gebe es eine Schutzklausel: In ihrem Gesetz sei klar geregelt, dass kein Land mit mehr als 100 Millionen Euro im Jahr zusätzlich belastet werden dürfe. Ihr Ministerium sei dabei offen für eine "bessere Formulierung".
"Ich glaube, dass es ganz gut wäre, wenn wir wieder zu einer Politik zurückkehren, die sich um eine sachliche Lösung von Fragen bemüht", sagte Schmidt weiter. Der CSU riet sie, Ausdrücke wie Bewährungsfrist und Klassenkampf "in die Mottenkiste zu packen". Zuvor hatte der Vorsitzende der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Peter Ramsauer, der "Passauer Neuen Presse" gesagt: "Im Hause Ulla Schmidt herrscht bei manchem immer noch der Geist des Klassenkampfes, der Staatsmedizin und des Gesundheitssozialismus." Das gut funktionierende System der Privaten Krankenkassen (PKV) dürfe nicht ausgehöhlt werden.
Baden-Württemberg signalisiert Zustimmung ...
Rürup betonte bei der Vorstellung seines Gutachtens, es gebe gute Gründe, den neuen Fonds zur Finanzierung des Gesundheitswesens zu kritisieren. Die Belastungen gehörten jedoch nicht zu den Mängeln, da sie beherrschbar seien.
Baden-Württemberg erklärte sich grundsätzlich bereit, den Streit über die befürchteten Mehrkosten durch die Gesundheitsreform zu beenden. "Wenn die Risiken bei starken Ländern wie Baden-Württemberg bei unter 100 Millionen Euro liegen sollten, dann kann ich damit leben", sagte Ministerpräsident Günther Oettinger (CDU) in Stuttgart. Allerdings müsse vor einer endgültigen Zustimmung die Studie erst geprüft werden. Es falle aber bereits auf, dass etwa besondere Krankheiten in bestimmten Regionen nicht berücksichtigt worden seien.
... doch die FDP sagt Nein
FDP-Chef Guido Westerwelle nannte den "Gutachterkrieg" in der großen Koalition einen "einmaligen Tiefpunkt in der Regierungskunst". Westerwelle deutete zugleich an, dass die drei Landesregierungen mit FDP-Beteiligung in Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen "diesem Gesundheitsmurks" nicht zustimmen werden.
Quelle: ntv.de