Politik

Justizministerin: "Ein Tag zur Freude" Keine Eile bei Neufassung

FDP sowie Grüne und Linke begrüßen das Karlsruher Urteil zur Verfassungswidrigkeit der Vorratsdatenspeicherung. Bedauern kommt aus der Union; Bundeskanzlerin Merkel befürchtet gar ein "Vakuum". Daten- und Verbraucherschützer, Polizeigewerkschaften und Medien-Verbände freuen sich über den Sieg der Grundrechte über die Datensammelwut von Ermittlungsbehörden.

Als oppositionelle FDP-Politikerin hatte Sabine Leutheusser-Schnarrenberger gegen das Gesetz von 2008 geklagt. Als FDP-Justizministerin muss sie nun ein neues auf den Weg bringen.

Als oppositionelle FDP-Politikerin hatte Sabine Leutheusser-Schnarrenberger gegen das Gesetz von 2008 geklagt. Als FDP-Justizministerin muss sie nun ein neues auf den Weg bringen.

(Foto: dpa)

"Das ist ein wirklicher Tag zur Freude", sagte Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger nach dem Urteilsspruch zur Verfassungswidrigkeit der umfassenden Speicherung von Telekommunikationsdaten. Die FDP-Politikerin sprach von einem "herausragend guten Tag" für die Grundrechte und den Datenschutz. Karlsruhe bewege sich damit nahtlos auf der Linie der Rechtssprechung der vergangenen Jahre.

Zugleich betonte Leutheusser-Schnarrenberger: "Diese Entscheidung wird auch auf Europa ausstrahlen." Für weitere anlasslose Datensammlungen auf EU-Ebene sei der Spielraum damit geringer. Dies betreffe etwa die Speicherung von Flugpassagierdaten.

Justizministerin will keine Schnellschüsse

Die Justizministerin warnte vor Schnellschüssen bei einer Neufassung des nun gekippten Gesetzes, das die Vorgängerregierung der Großen Koalition 2008 erlassen hatte. "Es wird nicht auf den Nimmerleinstag alles verschoben", sagte die Ministerin. Allerdings dürfe ein Gesetzentwurf nicht mit heißer Nadel gestrickt werden. Wichtig sei eine Abstimmung mit der Europäischen Union. EU-Kommissarin Viviane Reding habe bereits eine kritische Prüfung einer entsprechenden EU-Richtlinie angekündigt und wolle im Herbst erste Ergebnisse bekanntgeben.

Leutheusser-Schnarrenberger wies damit Forderungen aus der Union und von den Polizeigewerkschaften zurück, nun möglichst rasch gesetzgeberisch tätig zu werden, damit die Strafverfolgung nicht beeinträchtigt werde.

Union hält an Vorratsdatenspeicherung fest

Der Staat liest mit: Eine Anrufliste auf einem Computermonitor am 19.03.2008 in Straubing (Niederbayern).

Der Staat liest mit: Eine Anrufliste auf einem Computermonitor am 19.03.2008 in Straubing (Niederbayern).

(Foto: dpa)

Dagegen forderte Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) Leutheusser-Schnarrenberger auf, die EU-Richtlinie zügig und verfassungskonform in deutsches Recht umzusetzen. "Das Bundesverfassungsgericht hat die EU-Richtlinie nicht beanstandet", sagte de Maizière. Es gelte daher, diese Richtlinie umzusetzen.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) befürchtet sogar ein "Vakuum",  das durch die Löschung der bisher gespeicherten Daten entstehen werde. Darauf wies sie nach Angaben von Teilnehmern in einer Sitzung der Unions-Bundestagsfraktion hin.

"Ich hätte mir am heutigen Tag ein anderes Urteil gewünscht", räumte de Maizière ein. Die Richter hätten jedoch Wege aufgezeigt, wie man die Vorratsdatenspeicherung verfassungskonform umsetzen könne. Dafür zuständig sei nun die Justizministerin, betonte de Maizière. "Jetzt ist es an der Zeit, nicht mehr nur "Nein" zu sagen. Sondern jetzt ist es an der Zeit, kluge Gesetzgebungsarbeit zu leisten."

"Bis in die Intimsphäre" geht die jetzige Form der Datenspeicherung, so die Verfassungsrichter.

"Bis in die Intimsphäre" geht die jetzige Form der Datenspeicherung, so die Verfassungsrichter.

(Foto: dpa)

Das sieht auch der Vorsitzende des Bundestags-Innenausschusses, Wolfgang Bosbach (CDU), so. "Wir werden viele Straftaten nicht mehr aufklären können", bedauerte er bei n-tv das Urteil. Es sei zwar gut, dass Karlsruhe entschieden habe, dass die Regelung nicht gegen das Grundgesetz verstoßen dürfe. Bedauerlich sei aber, dass Daten nur noch zur Aufklärung oder Abwehr besonders schwerer Straftaten genutzt werden dürften.

Schwarz-Gelb vor dem nächsten Konflikt

Damit scheint wieder ein Konflikt in der schwarz-gelben Koalition vorprogrammiert: Leutheusser-Schnarrenberger hatte noch als Oppositionspolitikerin die Beschwerde gegen die Vorratsdatenspeicherung mit auf den Weg gebracht. Zudem setzte sie sich in den Koalitionsverhandlungen im Herbst für eine Aussetzung der entsprechenden Regelungen ein.

Das Bundesverfassungsgericht hatte die Vorratsdatenspeicherung gestoppt und dies damit begründet, dass die anlasslose Speicherung der Telefon- und Internetdaten das Grundrecht auf Schutz des Telekommunikationsgeheimnisses verletzte. Gegen das Gesetz hatten 35.000 Bürger geklagt, darunter auch Leutheusser-Schnarrenberger.

Das Urteil mache deutlich, dass die Grundrechte auch in Zeiten der Gefährdung, etwa bei terroristischen Bedrohungen, gälten, sagte die Ministerin. Es sei auch mit Blick etwa auf die geplante Langzeitspeicherung europäischer Fluggast-Daten von großer Bedeutung. Zudem werde der schwarz-gelben Koalition damit der Rücken bei datenschutzrechtlichen Vorhaben gestärkt, die im Koalitionsvertrag vereinbart worden seien. Die Regierung habe klargemacht, nicht immer mehr Sicherheitsgesetze schaffen zu wollen.

Liberale feiern sich

"Ich finde es hervorragend, dass Liberale dieses Urteil erstritten haben", sagte FDP-Chef und Vize-Kanzler Guido Westerwelle. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts sei ein "großer Erfolg" für die Liberalen und für die Bürgerrechtspolitik insgesamt, erklärte FDP-Generalsekretär Christian Lindner in Berlin. "Die Große Koalition hat die Grundrechte der Bürger verletzt", fügte er hinzu. Nun müsse in Brüssel die Grundsatzdebatte über die Vorratsdatenspeicherung neu aufgenommen werden. Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) mahnte ebenfalls eine Überprüfung der bisherigen EU-Richtlinie an. Zugleich erklärte er, dass die Telekommunikationsbranche durch die neuen Vorschriften nicht mehr als nötig belastet werden dürfe.

Grüne und Linke: Zweischneidiger Erfolg

Grünen-Fraktionschefin Renate Künast erklärte: "Das ist ein großartiger Sieg für die Freiheit der Bürgerinnen und Bürger und eine schallende Ohrfeige für die Verdachtspolitik." Wenn die Bundesregierung nun ein neues Gesetz vorlege, müssten die Karlsruher Vorgaben strikt eingehalten werden. "Sonst ist die nächste Klage fällig", fügte sie hinzu. Grünen-Parlamentsgeschäftsführer Volker Beck bedauerte darüber hinaus aber auch, dass das Gericht sich nicht zu einem "klaren Nein" über die Zulässigkeit der Vorratsdatenspeicherung insgesamt habe durchringen können.

Auch die Linke sah das Urteil zweischneidig. Innenexpertin Petra Pau sprach von einem Erfolg für Bürger und Demokratie. Ihr Kollege Wolfgang Neskovic verwies aber auch darauf, dass das Urteil "kein Grund zum Jubeln" sei. Die verdachtslose Speicherung aller Telekommunikationsdaten, die das Verfassungsgericht unter strengen Auflagen grundsätzlich für zulässig erklärt habe, widerspreche "dem Sinn und der historischen Funktion der Grundrechte". Dies bedeute "einen höchst bedauerlichen Richtungswechsel in der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung".

FDP sieht "knallharte Auflagen"

Dagegen ist aus Sicht des FDP-Politikers Burkhard Hirsch das Urteil an Deutlichkeit nicht zu übertreffen. Es mache dem Gesetzgeber "knallharte Auflagen" zur Speicherung von Daten zum Zweck der Strafverfolgung. Der Anwalt vertritt eine der Klägergruppe, der auch die Justizministerin angehörte. "Ich möchte nun, dass die Bundesregierung endlich mal aufwacht und anfängt nachzudenken", sagte Hirsch. Sein Parteikollege, der frühere Innenminister Gerhart Rudolf Baum, ergänzte: "Der Gesetzgeber ist an die Leine gelegt wie selten zuvor."

Daten- und Verbraucherschützer, Polizeigewerkschaften und Medien-Verbände begrüßten einhellig das Urteil und sprachen von einer "schallenden Ohrfeige" für den Gesetzgeber und einer "schlampigen Gesetzesformulierung". Der Karlsruher Richterspruch habe den Vorrang der Grundrechte vor der Datensammelwut von staatlichen Ermittlungsbehörden bestätigt.

Quelle: ntv.de, dpa/rts/AFP

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