Anschlag in Israel Keine Reaktion zu erwarten
21.10.2002, 19:47 UhrVon n-tv Korrespondent Ulrich Sahm
"Zuerst kapierte ich nicht, wieso alles von hinten auf mich zuflog", erzählt Chaim Abraham, der leicht verletzte Fahrer des "Bummelbusses" der Linie 841 auf der Strecke zwischen Kirjat Schmone ganz im Norden Israels und Tel Aviv. Der Bus hatte gerade in Wadi Ara, einem von arabischen Dörfern gesäumten Tal gehalten, um Passagiere aufzunehmen. Da näherte sich ein "Auto mit Vierradantrieb" dem Bus und explodierte bei dem hinteren Benzintank. Der Bus sprang in die Luft "und drehte sich um 90 Grad", erinnert sich Abraham. Ehe der grüne Linienbus Feuer fing und Munition von Soldaten unter den Passagieren wegen der Hitze losging, half der Busfahrer zwei jungen Frauen, das Fahrzeug zu verlassen. Wenig später war nur noch ein ausgebranntes verrußtes Gerippe übrig geblieben.
Es war gegen 16:25 Uhr, als der Anschlag die "relative Ruhe" zwischen Anschlägen und israelischen Attacken gegen die "Infrastruktur des Terrors" unterbrach. Am Mittag wurde zuvor ohne weitere Erklärung über der Stadt Kalkilja nach zwei Wochen erneut eine Ausgangssperre verhängt. Ebenso wurde am Mittag bekannt gegeben, dass die israelische Polizei die Patrouillen entlang der "Naht" verstärkt habe. Die "Naht" ist die alte "grüne Grenze" zwischen dem Kernland Israel und den besetzten Gebieten. Entlang dieser "Naht" wird noch an einem "Sicherheitszaun" gebaut, der das Überwechseln von "Freiheitskämpfern" und Autobomben von den palästinensischen Gebieten nach Israel verhindern soll. Doch diese Grenzhürden sind noch längst nicht fertig und deren Wirksamkeit wird von Experten angezweifelt.
Der 4x4 Jeep mit der Bombe (mit vermutlich über hundert Kilo Sprengstoff) konnte von der Polizei noch nicht identifiziert werden. Es blieb von ihm nicht mehr viel übrig. Gemäß ersten Einschätzungen sei die Autobombe aus Dschenin nach Israel gelangt, obgleich die israelischen Militärs rund um Dschenin einen tiefen Graben ausgehoben haben, um Fahrzeuge an einem unkontrollierten Verlassen der umkämpften Stadt zu verhindern. Die Autobombe könnte auch aus einem Dorf bei Dschenin gekommen sein, hieß es dann. Dschenin gilt als Hochburg der Organisation Islamischer Dschihad. Der Fernsehsender Al Manar der Hisbollah im Libanon verkündete, dass die Jerusalem-Brigaden, der militärische Arm der Dschihad, den Anschlag verübt habe. Die extremistische Hamasorganisation in Gaza beeilte sich, zu dem "gelungenen qualitativen Anschlag" zu gratulieren.
"Die Methode, mit einem Geländewagen einem Bus zu folgen und dann die Bombe zu zünden, hat wieder einmal vor die Augen geführt, dass alle bisher erfundenen Sicherheitsmaßnahmen sinnlos werden können", sagt Polizeireporter Uri Cohen-Aahronow. Die mitfahrenden Sicherheitsleute im Bus hätten diesen Anschlag ebenso wenig verhindern können wie die ständigen Patrouillen "auf dieser besonders gut gesicherten Strecke, auf der es schon sehr viele Anschläge gegen Busse gegeben hat." Später berichtete der Reporter erstmals, dass es in Israel 15 Fahrzeuge mit Sicherheitsleuten gebe, die allein die Aufgabe hätten, die Linienbusse abzusichern. Zwei dieser Fahrzeuge hätten sich in der Nähe des angegriffenen Busses befunden und eines sei sogar von Splittern der Bombe getroffen worden. "Aber diese Sicherheitsleute konnte den Bombenanschlag mit dem Jeep nicht vorhersehen", sagte Cohen-Aahronow.
Und während mehr als zehn Tote sowie etwa fünfzig Verletzte zum Teil im lebensgefährlichen Zustand abtransportiert wurden, hielt Premierminister Scharon "telefonische Beratungen". Zunächst war nicht die Rede von der Einberufung einer Sondersitzung, wie nach dem Selbstmordattentat auf einen Bus in Tel Aviv vor einem Monat, als beschlossen wurde, Arafats Hauptquartier Mukata weitgehend dem Erdboden gleich zu machen. Diesmal wird nicht mit einer scharfen israelischen Reaktion gerechnet, weil die Amerikaner von Scharon angesichts der Irak-Krise "Zurückhaltung" erwarten.
Der amerikanische Sonderbotschafter Burns befindet sich schon im Nahen Osten auf dem Weg auch nach Israel, um zu versuchen, den Friedensprozess gemäß einem Wegeplan der "Quartetts" zu erneuern. "Dieser Anschlag kann ein Versuch sein, die Mission von Burns zu zerstören, wie die vorherigen Mission von Tenet, Mitchell und Zinni", sagt eine politische Reporterin des israelischen Fernsehens.
Quelle: ntv.de