Politik

Widerstand aus den Ländern Koalition lobt Schuldenbremse

Die große Koalition sieht mit der neuen Schuldenbremse den Grundstein für eine nachhaltige Gesundung der Staatsfinanzen gelegt. Bundeskanzlerin Angela Merkel begrüßte den mühsam erkämpften Durchbruch in der Föderalismuskommission II als "fundamentale Weichenstellung".

CSU-Chef Horst Seehofer sprach von einer "Wetterwende". Auch aus der FDP, die Grundgesetzänderungen im Bundesrat zustimmen muss, kamen positive Signale. Die Grünen kritisierten die Reform dagegen als finanzpolitischen Irrsinn. Mecklenburg-Vorpommerns Regierungschef kündigte an, sein Land werde im Bundesrat dieser Regelung nicht zustimmen.

Keine endgültige Einigung

Die seit Ende 2006 tagende parteiübergreifende Kommission hatte sich am Donnerstagabend grundsätzlich auf eine gemeinsame Schuldenbremse für Bund und Länder geeinigt. Demnach dürfen die Länder ab 2020 im Regelfall keine neuen Kredite mehr aufnehmen. Dem Bund wird ab 2016 noch ein Spielraum von 0,35 Prozent des Bruttoinlandsproduktes zugebilligt, derzeit wären das 8,5 Milliarden Euro. Die Grenzwerte beziehen sich nicht auf einzelne Jahre, sondern auf den Konjunkturzyklus: Steigt die Verschuldung im Abschwung, muss sie verbindlich im Aufschwung getilgt werden. Die Schuldengrenze soll im Grundgesetz und in den Landes-Verfassungen festgeschrieben werden.

Die endgültige Einigung steht noch aus. Am kommenden Donnerstag will die Runde noch einmal über die konkreten Gesetzestexte beraten. Merkel begründete die Notwendigkeit der Reform damit, dass Deutschland eine Veränderung seiner Altersstruktur bevorstehe. "Und da ist es richtig, sich darauf zu verständigen, nur das auszugeben, was man auch wirklich einnimmt." Seehofer zufolge kann mit dem "echten Durchbruch" der Marsch in den Schuldenstaat gestoppt werden. Mit den bisherigen Regeln im Grundgesetz sind die Schulden auf 1500 Milliarden Euro gestiegen.

Mecklenburg-Vorpommern kündigt Widerstand an

Letzter großer Stolperstein auf dem Weg zu einer Einigung war die Einbeziehung der finanzschwachen Länder Bremen, Saarland, Schleswig-Holstein, Berlin und Sachsen-Anhalt. Sie erhalten nun von 2011 bis 2019 zusätzliche Hilfen in Höhe von insgesamt 800 Millionen Euro im Jahr. Im Gegenzug müssen sie nachweisen, dass sie den Weg zu einer strukturellen Neuverschuldung auch gehen. Der Topf wird hälftig von Bund und Ländern befüllt.

Vor allem Bayern hatte seine Zustimmung an scharfe Auflagen geknüpft. Hingegen kündigte Mecklenburg-Vorpommern Widerstand an. "Ich kann das nicht akzeptieren", sagte Ministerpräsident Erwin Sellering der "Ostsee-Zeitung". Er hoffe, dass mehr Länder dem nicht zustimmten, sagte der SPD-Politiker.

Kein Abbau von Altschulden

Ausnahmen von der Schuldenbremse soll es dem Kompromiss zufolge nur in Notlagen wie Naturkatastrophen oder bei einer schweren Wirtschaftskrise geben. Der Co-Vorsitzende der Kommission, Baden-Württembergs Regierungschef Günther Oettinger, unterstrich, zeitgleich müssten dann auch Tilgungspläne verabschiedet werden. Abweichungen sollten durch ein Kontrollkonto transparent werden. Der zweite Vorsitzende, SPD-Fraktionschef Peter Struck, betonte, der Bund könne die für ihn geltende Grenze auch ohne eine neue Mehrwertsteuererhöhung einhalten. Die Schuldenbremse soll ein Stabilitätsrat der Finanzminister von Bund und Ländern überwachen. Sanktionen wie Strafgelder sind nicht vorgesehen.

Auch ein Abbau der Altschulden ist nicht geplant. Dies könnte eine Aufgabe für die 2020er-Jahre sein, sagte Oettinger. Zum Ende des kommenden Jahrzehnts müssen die Finanzbeziehungen zwischen Bund und Länder umfassend neu verhandelt werden. Dann läuft auch der Solidarpakt II für die östlichen Länder aus.

Auf "Sankt-Nimmerleinstag" verschoben

Der FDP-Finanzexperte Volker Wissing sagte, das vorläufige Ergebnis sei eine gute Basis, um auch die Zustimmung der FDP zu erreichen. Jetzt komme es aber auf das Kleingedruckte an, sagte er. Das gelte etwa für die Kontrollmechanismen oder die Tilgungspläne. "Die Möglichkeit zur Verständigung auch mit uns ist aber da", sagte er. Grünen-Fraktionschef Fritz Kuhn sprach dagegen von einem enttäuschenden Ergebnis. Statt zu bremsen, gebe die Koalition Gas. Die Einigung auf 2020 bedeute, dass die Sanierung der Staatsfinanzen auf den Sankt-Nimmerleinstag verschoben werde.

Die Linke beklagte, die fundamentale Weichenstellung gehe in die falsche Richtung. Die Schuldenbremse sei vor allem eine Investitionsbremse. Die Verlierer seien finanzschwache Kommunen und Länder, die zusätzlich kürzen müssten. Die Regierungschefs des Saarlandes und Schleswig-Holsteins, Peter Müller und Peter Harry Carstensen (beide CDU), begrüßten die zusätzlichen Hilfen für die ärmeren Länder, kündigten aber schwierige Zeiten an und forderten höhere Finanzhilfen. Auf Druck von Bundesfinanzminister Peer Steinbrück wurde ein früherer Vorschlag, an die Länder 900 Millionen Euro jährlich zu zahlen, auf 800 Millionen gesenkt.

Auch Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit beurteilte den Bund-Länder-Kompromiss zurückhaltend. Er begrüße die Finanzhilfen für die armen Länder im Grundsatz, sagte der SPD-Politiker. "Ich fordere aber, dass die Höhe der jeweiligen Zahlungen an die Länder nach objektiven und nachvollziehbaren Kriterien erfolgen muss", sagte er.

"Gravierender Fehler"

Der Wirtschaftsweise Peter Bofinger bezeichnete die Grundsatzentscheidung für eine staatliche Schuldenbremse als "gravierenden Fehler". Aus seiner Sicht spricht nichts dagegen, wenn der Staat Schulen macht, "um das Land voranzubringen, es wettbewerbsfähig zu machen", wie das Mitglied des Sachverständigenrats für Wirtschaft der "Saarbrücker Zeitung" sagte. "Schulden sind, wenn sie investiv eingesetzt werden, grundsätzlich nicht schlecht." Die Diskussion um einen Schulden-Stopp nannte Bofinger "völlig neurotisch" und "wirklich gefährlich im Augenblick", weil sie Zukunftsmöglichkeiten verbaue. Deutschland sei einer der besten Schuldner der Welt und "kein kritischer Fall".

Quelle: ntv.de

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