"Kursbuch für die nächsten Jahre" Koalition präsentiert Vertrag
24.10.2009, 11:26 UhrDie neue Regierung aus Union und FDP will nach den Worten von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) noch in diesem Jahr ein Wachstumsbeschleunigungsgesetz auf den Weg bringen. Darin sollten Entlastungen für Familien sowie Änderungen bei der Unternehmen- und der Erbschaftsteuer geregelt werden, sagte Merkel in Berlin bei der Vorstellung des Koalitionsvertrages von Union und FDP. Die Bundeskanzlerin kündigte zudem Bemühungen zum Bürokratieabbau und Änderungen bei den Zuverdienstmöglichkeiten für die Empfänger von Arbeitslosengeld II an.
"Mutig in die Zukunft"
Familien mit Kindern bekommen mehr Geld - aber auch Arbeitnehmer, Unternehmen und Erben werden in den nächsten vier Jahren steuerlich entlastet. Union und FDP verständigten sich nach dreiwöchigen Koalitionsverhandlungen auf Steuersenkungen von jährlich bis zu 24 Milliarden Euro. In einem ersten Schritt werden bereits im Januar 2010 der Kinderfreibetrag auf jährlich 7008 Euro und das Kindergeld um jeweils 20 Euro pro Monat angehoben. "Wir erhöhen keine Steuern und Abgaben, sondern wir setzen auf Wachstum. Wir entlasten die Bürgerinnen und Bürger", sagte Merkel. "Wir sind der festen Überzeugung, dass das die Voraussetzung nicht nur dafür ist, dass Arbeit sich lohnt in unserer Gesellschaft." Dies sei auch die Voraussetzung dafür, gestärkt aus der Finanzkrise zu kommen.
"Wir haben eine Koalitionsvereinbarung geschlossen, die davon geprägt ist, dass wir mutig in die Zukunft gehen wollen", sagte Merkel. "Dabei leiten uns die Gedanken von Wachstum, von der Schaffung einer Bildungsrepublik und dem Zusammenhalt der Gesellschaft."
Zu Personalien nichts Neues
Merkel betonte, dass sie sich auf die Zusammenarbeit in der schwarz-gelben Koalition freue. Es seien nicht immer einfache Verhandlungen mit FDP und CSU gewesen. Sie versicherte zugleich, "dass wir aber auch mit Mut und Lust unsere Arbeit als Regierung aufnehmen werden". Die CDU-Chefin hob hervor: "Ich glaube jedenfalls, wir werden ein gutes Regierungsteam werden." Zu den Personalien sei bereits alles geschrieben worden, dazu müsse sie nichts mehr sagen, meinte die Kanzlerin. Nach den Worten von Merkel bleiben die Ressortzuschnitte im Kabinett so wie bisher. Noch offen sei nur die Frage, welchem Ressort der Aufbau Ost zugeschlagen werde.
"Schutzschirm für Arbeitnehmer"
Die Vereinbarung zwischen Union und FDP stehe auf zwei Eckpfeilern zur Krisenbewältigung, sagte Merkel. Die Regierung werde einen "Schutzschirm für Arbeitnehmer" aufspannen. Die Einnahmeausfälle für den gesamten Staat bei der Bundesagentur für Arbeit und im Gesundheitssystem würden übernommen und nicht den Arbeitnehmern aufgebürdet. Das sei eine wichtige Ergänzung zu den beiden Konjunkturprogrammen, sagte Merkel.
Die Kanzlerin machte auf die Frage, wie hoch der Gesamtsaldo der Steuersenkungen und Ausfälle in den Sozialkassen sei, keine Angaben. Sie verwies darauf, dass dies in den nächsten Jahren vom Wachstum und der Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt abhinge. Die Jahre 2010 und 2011 würden vom Überwinden der Krise geprägt sein, sagte Merkel. Aktuell sei die Situation auf dem Arbeitsmarkt günstiger als erwartet. Die Koalition werde alles tun, was Arbeit schaffe. Merkel machte folgende Rechnung auf: Gebe es 100.000 Arbeitslose weniger, reduzierten sich die Ausgaben um zwei Milliarden Euro.
Merkel wies Befürchtungen zurück, dass es unsoziale Reformen in der Gesundheitspolitik geben wird. Die Arbeitskosten müssten stärker von den Lohnnebenkosten entkoppelt werden. "Allerdings sage ich ganz deutlich hier, dass dies nur solidarisch geschehen darf und kann. Ich stehe dafür ein, dass es dafür auch einen Solidarausgleich gibt." In der Pflegeversicherung werde eine Kapitaldeckung gebraucht. "Dazu wird in der Legislaturperiode ein Einstieg vorbereitet."
Westerwelle verweist auf "liberale Handschrift"
FDP-Chef Guido Westerwelle sagte: "Mut zur Zukunft, das ist das zentrale Motiv dieses Koalitionsvertrages." Die Vereinbarungen mit der Union seien eine "hervorragende Grundlage für unser Land". Der Vertrag trage auch eine "liberale Handschrift". Alle, die vor der Wahl behauptet hätten, Schwarz-Gelb sei eine soziale Gefahr, würden eines Besseren belehrt.
Die Bürger sollen mehr "Netto vom Brutto" bekommen, so Westerwelle weiter. Es sei ein niedrigeres, einfacheres und gerechteres Steuersystem versprochen worden. Das werde nun mit diesem Koalitionsvertrag gehalten. Faire Steuern seien die Voraussetzung für Wachstum, für Arbeitsplätze und ein Beitrag, um aus der wirtschaftlichen Krise zu kommen.
Westerwelle betonte, bei Hartz IV werde die neue Regierung die "gröbsten Ungerechtigkeiten" beseitigen. Das bisher "lächerlich geringe" Schonvermögen, das Langzeitarbeitslose ansparen dürfen und was vor der Anrechnung durch den Staat geschützt ist, werde auf 750 Euro pro Lebensjahr verdreifacht. "Das ist eine gute Nachricht gerade für diejenigen, die vielleicht gerade in einer schwierigen Lebensphase sind", sagte der FDP-Chef.
Der künftige Außenminister Westerwelle kündigte baldige Verhandlungen über den Abzug der letzten in Deutschland stationierten US-Atomwaffen an. Ziel sei, Deutschland zu einem "atomwaffenfreien Land" zu machen. "Wir wollen dass die letzten Atomwaffen, die in Deutschland stationiert werden, abgezogen werden."
Kursbuch mit sozialem Anstrich
CSU-Chef Horst Seehofer zeigte sich "sehr zufrieden" und stelle Steuerentlastungen, Betreuungsgeld und Hilfen für Bauern in den Mittelpunkt. "Wir haben sehr Wert darauf gelegt, dass mehr netto vom brutto realisiert wird wie versprochen", sagte der bayerische Ministerpräsident. 2010 gehe es mit Unternehmen- und Erbschaftsteuerreform los. Eine große Steuer-Strukturreform solle "möglichst noch 2011" kommen. Das Betreuungsgeld ab 2013 sei ein "wichtiger Bestandteil" für die, die Kinder zuhause erziehen. Er betonte auch das Sonderprogramm vor allem für Milchbauern. Die Koalition habe ein "soziales Gesicht" und habe ein "Kursbuch für die nächsten Jahre" geschrieben.
Seehofer sagte: "In der Gesundheitspolitik ändert sich zunächst einmal gar nichts." Zunächst müsse abgewartet werden, welche Vorschläge die geplante Regierungskommission machen werde. "Welche Lösung auch immer zustande kommt: immer mit sozialem Ausgleich."
Quelle: ntv.de, dpa/rts/AFP