Politik

"Hessen ist kein Vorzeigeland" Koch und die kriminellen Kinder

Statistisch gesehen hat Hessens Ministerpräsident Roland Koch (CDU) kaum Anlass zu erhöhter Sorge um kriminelle Kinder, auf die er das Jugendstrafrecht anwenden will. Mit einem Anteil von 3,6 Prozent an allen Tatverdächtigen spielten die Kids im Jahr 2006 in Hessen eine geringere Rolle als im Bundesschnitt, wo 4,4 Prozent aller Täter noch nicht strafmündig waren. In der Metropole Frankfurt, die in unschöner Regelmäßigkeit die höchste Kriminalitätsquote bundesweit verzeichnet, liegt der Anteil der Kinder unter den Straftätern laut offizieller Statistik sogar nur bei 1,6 Prozent. Dennoch sehen Experten Defizite im System der hessischen Jugendhilfe.

Wie im gesamten Bundesgebiet fallen Kinder in dem seit 1999 CDU-regierten Bundesland vor allem mit Ladendiebstählen (2474 Fälle im Jahr 2006) auf, dann folgen mit deutlichem Abstand Körperverletzungen (972, darunter 592 schwere und gefährliche Fälle in der Öffentlichkeit) und Sachbeschädigungen (833). Frankfurts Polizeisprecher Jürgen Linker will sich angesichts der im Wahlkampf zugespitzten politischen Diskussion nicht zu weit aus dem Fenster lehnen. Es gebe einige Problemfälle mit 12- oder 13-Jährigen, die sich mit den üblichen Regularien nicht lösen ließen, sagt er. Dies sei etwa dann der Fall, wenn die Eltern ihre Kinder regelrecht zum Klauen schickten und damit ihren Lebensunterhalt bestritten.

Der letzte spektakuläre Frankfurter Fall dieser Art stammt aus dem Jahr 2005, als Ermittler einen Zwölfjährigen stellten, der bereits an 89 Einbrüchen beteiligt war. Nach seiner Festnahme hatte der aus dem französischen Grenzgebiet stammende Junge seine Einsätze ins Ruhrgebiet verlegt. Die Polizei in Darmstadt stellte im Jahr 2006 sogar fest, dass man so erfolgreich gegen die "Klaukinder" gearbeitet habe, dass die Zahl der Tageswohnungseinbrüche deutlich zurückgegangen sei. Dass sie nach wie vor aktiv sind, zeigt eine Festnahme im Juni in Wiesbaden, als zwei elf Jahre alte Geschwister eine Wohnung ausräumten und sich dabei erwischen ließen.

Polizisten klagen, dass sie in besonders schlimmen Einzelfällen kein Instrument mehr zur Verfügung hätten. Die häufig staatenlosen Kinder empfänden eine Einweisung vom Jugendamt in ein offenes Heim als Einladung zur Flucht, und über eine geschlossene Einrichtung verfügt Hessen erst gar nicht. "Wir sind in Verhandlungen mit einem Träger", sagt Sozialministeriumssprecher Franz-Josef Gemein, ohne weitere Details nennen zu wollen. Bislang ist ein eigenes geschlossenes Heim an den im Vergleich zu Einrichtungen in Bayern oder Baden-Württemberg zu hohen Kosten gescheitert, denn zahlen müssen schließlich die Kommunen.

Gegen eine Herabsetzung der Strafmündigkeit argumentiert der Konstanzer Jura-Professor Wolfgang Heinz. Der Jugendhilfe stünden für Kinder sämtliche Erziehungsinstrumente zur Verfügung, die auch im Jugendstrafrecht vorgesehen sind. "Der einzige Unterschied wäre der Knast." Gegen den Willen der Eltern könnten die Jugendämter besonders gefährdete Jugendliche in Obhut nehmen lassen. Heinz kritisiert die lange Verfahrensdauer der Jugendprozesse in Hessen und den von Koch verantworteten Stellenabbau etwa in der Straffälligenhilfe. "Das Konzept ist widersprüchlich. Hessen ist kein Vorzeigeland."

Quelle: ntv.de, Christian Ebner, dpa

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