Erfolgreiche Fahndung Kofferbomber gefasst
24.08.2006, 06:49 UhrDreieinhalb Wochen nach den gescheiterten Bahn-Attentaten auf Regionalzüge nach Koblenz und Hamm sind die beiden mutmaßlichen Täter gefasst. Der zweite verdächtige Libanese wurde nach Angaben der Bundesanwaltschaft am Donnerstagmorgen im Libanon festgenommen - fünf Tage nach der ersten Festnahme in Kiel. Deutschland strebt jetzt eine Auslieferung an. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) geht davon aus, dass diese problemlos erfolgen wird. Die Innenminister von Bund und Ländern wollen nun am 4. September auf einer Sonderkonferenz in Berlin über verschärfte Sicherheitsmaßnahmen beraten, kündigte Bayerns Innenminister Günther Beckstein (CSU) an.
Beamte der Bundesanwaltschaft wollten noch am Donnerstag nach Beirut aufbrechen, um den Beschuldigten zu vernehmen und mit den libanesischen Behörden eine Auslieferung zu erörtern. Mit dem Libanon besteht kein Auslieferungsabkommen. Auf der Basis internationaler Vereinbarungen ist aber eine Auslieferung grundsätzlich möglich.
Hamad beteuert Unschuld
Der 20-jährige Jihad Hamad beteuert nach Angaben aus libanesischen Sicherheitskreisen seine Unschuld. "Ich bin ein unschuldiger Mann. Ich habe keine Angst", soll er demnach erklärt haben, als er sich der Polizei in Tripoli stellte. Den Angaben zufolge hatte die libanesische Polizei auf einen Tipp der deutschen Sicherheitsbehörden hin vor einer Woche das Haus Hamads im Nordlibanon durchsucht. Hamads Vater, ein ehemaliger Armeesoldat, sei von der Polizei aufgefordert worden, seinen Sohn zur Aufgabe zu überreden. Der junge Mann sei dann auch von seinem Vater zu der Polizeiwache in Tripoli gebracht worden.
Erleichterung – aber keine Entwarnung
Merkel äußerte sich erleichtert: "Es war klar, so lange der Mann nicht gefasst ist, hätte die Gefahr weiter bestanden." Die Geheimdienste hätten sehr gute Arbeit geleistet, zudem habe es eine gute Kooperation "mit ausländischen Institutionen" gegeben. Auch Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) lobte die Zusammenarbeit mit dem Libanon.
Nach Einschätzung von Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) bedeutet die zweite Festnahme noch keine Entwarnung für Deutschland. "Die Bedrohung für unser Land ist damit nicht zu Ende." Zu Konsequenzen aus den versuchten Anschlägen sagte Schäuble: "Wir müssen die präventiven Möglichkeiten stärken."
Gute Zusammenarbeit mit Libanon
Ein Auslieferungsverfahren muss laut Bundesanwalt Rainer Griesbaum nicht kompliziert sein. Es könne auch verhältnismäßig schnell gehen. Bislang hätten die libanesischen Behörden die Ermittlungen sehr positiv begleitet. Nach Darstellung Griesbaums hat sich der zuletzt in Köln wohnende 20 Jahre alte Jihad Hamad auf Grund des Fahndungsdrucks der Kriminalpolizei in Tripoli gestellt und wurde inzwischen nach Beirut gebracht. Der Verdächtigte war am Donnerstag öffentlich zur Fahndung ausgeschrieben und über Interpol international gesucht worden.
Den beiden mutmaßlichen Bombenlegern wird Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, vielfacher versuchter Mord und die versuchte Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion vorgeworfen. Hamads mutmaßlicher Komplize sitzt derzeit in Berlin-Moabit in Untersuchungshaft. Er werde in der Außenstelle des Bundeskriminalamtes (BKA) am Treptower Park verhört, hieß es.
Zünder gefunden
Bei der Durchsuchung von Hamads Kölner Wohnung waren laut Griesbaum zwei Belege über den Kauf von Gasflaschen sowie Kabel und Klebeband gefunden worden. Noch sei unklar, ob es sich um jene Art von Gasflaschen handelt, die in zwei Regionalzügen explodieren sollten. Der in Tripoli festgenommene Verdächtigte soll mit dem bereits in Untersuchungshaft sitzenden 21-jährigen Youssef Mohamad E. aus Kiel für zwei misslungene Bombenattentate auf Regionalzüge nach Dortmund und Koblenz vor dreieinhalb Wochen verantwortlich sein. "Der Beschuldigte steht im dringenden Verdacht, den 'Bombentrolley' im Regionalzug RE 10121, der den Hauptbahnhof Köln um 12.51 Uhr verlassen hatte, deponiert zu haben", sagte eine Sprecherin der Bundesanwaltschaft. Die Bomben detonierten nur wegen eines technischen Fehlers nicht.
Ahnungsloser Schaffner nahm Koffer wieder mit
Ein nichtsahnender Schaffner soll einen der Bombenkoffer im Zug von Hamm nach Dortmund zurückgebracht haben. Die "Stuttgarter Zeitung" (Freitag) berichtet unter Berufung auf Sicherheitskreise, der Schaffner in einem der beiden Züge habe den schweren Koffer an der Endhaltestelle Hamm zunächst zum Fundbüro gebracht. Da es schon geschlossen war, nahm er ihn mit zurück nach Dortmund und gab ihn ab. Erst dort wurde erkannt, dass es sich um eine Bombe handelte.
"Sicherheitsdebatte viel zu hektisch"
Die politische Debatte über schärfere Sicherheitsmaßnahmen in Deutschland wird unterdessen immer hitziger. Der SPD-Innenpolitiker Dieter Wiefelspütz wies den Vorschlag von CDU/CSU-Vizefraktionschef Wolfgang Bosbach (CDU) zurück, einreisende Ausländer strenger zu kontrollieren. "Ich finde, dass die Sicherheitsdebatte viel zu hektisch abläuft, grobschlächtig, primitiv, ohne Sinn und Verstand", sagte er dem Berliner "Tagesspiegel". Merkel sagte zu der Debatte, hier müsse man "Maß und Mitte finden". Zugleich betonte sie: "Ohne Videoüberwachung wären die Täter nicht überführt worden."
Der Parlamentarische Geschäftsführer der Grünen, Volker Beck, rief dazu auf, nach den Fahndungserfolgen die Debatte zu versachlichen. Die Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG) forderte ein Ende der Sicherheitsdebatte. Den zahlreichen Forderungen und Vorschlägen müssten Taten folgen. "Wir sind es leid, die immer wiederkehrenden Vorschläge von Schäuble, Bosbach, Wiefelspütz und Co. zu vernehmen", sagte der DPolG-Vorsitzende Wolfgang Speck.
Quelle: ntv.de