Politik

Paris und Rom rütteln an Schengen Kommen Grenzkontrollen wieder?

Ein paar tausend Flüchtlinge treiben Frankreich und Italien dazu, die Grenzen wieder dichtmachen zu wollen.

Ein paar tausend Flüchtlinge treiben Frankreich und Italien dazu, die Grenzen wieder dichtmachen zu wollen.

(Foto: dpa)

Zwei Hardliner unter sich: Frankreichs Präsident Sarkozy und Italiens Premier Berlusconi wollen angesichts der Flüchtlinge aus Tunesien und Libyen zumindest zeitweise wieder Grenzkontrollen einführen. Die EU lehnt eine Aussetzung der Schengen-Verträge allerdings ab. Hilfsorganisationen verweisen zudem darauf, dass die meisten Flüchtlinge in Nordafrika blieben.

Als Reaktion auf die Ankunft tausender Flüchtlinge aus Nordafrika wollen Italien und Frankreich zumindest zeitweilig wieder Grenzkontrollen in Europa einführen. Italiens Regierungschef Silvio Berlusconi und Frankreichs Staatschef Nicolas Sarkozy forderten dafür Änderungen am Schengen-Abkommen. Die EU-Kommission lehnte das allerdings vehement ab. Das ist keine Option", sagte ein Sprecher. Er hob hervor, dass es solche Notregeln bereits gebe. Sie müssten aber schärfer definiert werden.

Nach Verstimmungen über den Umgang mit Flüchtlingen aus Nordafrika ziehen Frankreich und Italien damit nun an einem Strang: Berlusconi und Sarkozy kamen in Rom zu einem Krisentreffen über die Flüchtlingsfrage zusammen, nach dem sie ein gemeinsames Schreiben an die EU-Kommission veröffentlichten. Darin fordern sie die Möglichkeit, wieder Kontrollen an den Grenzen der Schengen-Staaten einzuführen, und zwar "im Fall außergewöhnlicher Schwierigkeiten bei der Kontrolle der gemeinsamen Außengrenzen".

Freizügigkeit in 26 Staaten

Die Schengen-Vereinbarung gilt als Kernstück des europäischen Zusammenwachsens: Derzeit gehören mit dem kürzlich aufgenommenen Liechtenstein 26 Länder dem Schengen-Raum an. Die 400 Millionen Einwohner dürfen sich ohne Passkontrollen von Italien bis Norwegen und von Portugal bis Polen bewegen.

Auslöser für die italienisch-französische Forderung sind nun die politischen Umwälzungen in der südlichen Nachbarschaft von EU und Schengen-Gemeinschaft. Seit Beginn der Revolutionen in Nordafrika erreichten rund 26.000 Flüchtlinge die italienische Mittelmeerinsel Lampedusa, die meisten von ihnen Tunesier.

"Vertrag muss reformiert werden"

Suchen nach dem richtigen Standpunkt: Sarkozy und Berlusconi.

Suchen nach dem richtigen Standpunkt: Sarkozy und Berlusconi.

(Foto: dpa)

Zwischen Italien und Frankreich kam es zum Streit, als die italienischen Behörden den Tunesiern Visa ausstellten, mit denen sie in andere Schengen-Länder weiterreisen dürfen. Viele der französischsprachigen Tunesier machten sich daraufhin auf den Weg nach Frankreich. Die Regierung in Paris reagierte, indem sie einen Grenzübergang zu Italien schloss - was wiederum in Rom Verärgerung hervorrief.

Der "Druck" auf die gemeinsamen Außengrenzen habe Folgen für alle Mitgliedstaaten, warnten Berlusconi und Sarkozy. Sie forderten, auf dem nächsten EU-Gipfel im Juni müssten "konkrete Entscheidungen als Antwort auf die aktuellen Schwierigkeiten" in die Wege geleitet werden. Zudem sei eine Stärkung der EU-Grenzschutztruppe Frontex nötig. "Wir wollen, dass der Vertrag lebt, aber damit er lebt, muss er reformiert werden", sagte Sarkozy.

EU lehnt Aussetzung ab

Zeitgleich zu den Beratungen in Rom sagte ein Sprecher der EU-Kommission in Brüssel, dass es bereits Ausnahmeregelungen gebe, nach denen zeitweilig die Kontrollen an den nationalen Grenzen wieder aufgenommen werden können. Das sei etwa möglich, wenn ein Land an der Schengen-Außengrenze seinen Pflichten zu deren Absicherung nicht nachkomme.

Die Voraussetzungen für einen solchen Schritt sollen dem Sprecher zufolge nun "präzisiert" werden. EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström will dafür am 4. Mai Vorschläge machen, die auf einem Sondertreffen der EU-Innenminister zur Flüchtlingsfrage in der Woche danach diskutiert werden sollen. Dabei gehe es jedoch nicht um eine Aufhebung des Schengen-Abkommens, sagte der Kommissionssprecher. "Die Schengen-Regeln sind Teil der europäischen Verträge und diese kann man nicht ruhen lassen - sonst muss man die EU verlassen." Beide Länder würden dies wohl auch nicht beabsichtigen, fügte er hinzu.

Afrikaner tragen Hauptlast

Die FDP-Europaparlamentarierin Nadja Hirsch warnte davor, das Schengen-Abkommen in Frage zu stellen. "Flüchtlinge, die schon die gefährliche Reise über das Meer nicht abschrecken konnte, werden sich auch nicht durch Grenzkontrollen von ihren Plänen abbringen lassen", erklärte Hirsch in Brüssel. "Lediglich die Schlepperkriminalität würde hier profitieren."

Trotz des gestiegenen Zustroms nach Europa tragen die nordafrikanischen Länder nach Angaben von Hilfsorganisationen zudem die Hauptlast der Krise um Libyen. 25.000 Migranten aus Tunesien, die seit Jahresbeginn in Süditalien angelandet seien, stünden 650.000 Menschen gegenüber, die vor allem auf dem Maghreb Zuflucht vor den Kämpfen in Libyen gefunden hätten, teilten die Organisationen in Genf mit. Vornehmlich handele es sich um ausländische Arbeiter, die nach Tunesien, Ägypten, Niger, Tschad und in den Sudan geflohen seien. Nach Italien und Malta seien nur rund 5000 Libyen-Flüchtlinge gekommen. "Der Migrationsdruck lastet im Augenblick nicht auf den europäischen, sondern auf den nordafrikanischen Ländern", sagte Jean-Philippe Chauzy von der Internationalen Organisation für Migration (IOM).

Quelle: ntv.de, AFP/dpa

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