"Quadratur des Kreises" Konflikt um Kosovo
19.11.2007, 11:34 UhrZwischen der Europäischen Union und Russland droht ein schwerer Konflikt um die Zukunft der abtrünnigen serbischen Provinz Kosovo. EU-Chefdiplomat Javier Solana sagte nach einem Treffen des EU-Außenministerrates in Brüssel, die EU werde notfalls auch ohne eine Resolution des UN-Sicherheitsrates über Maßnahmen zur Stabilisierung des Kosovos entscheiden. Dabei geht es unter anderem um eine geplante Polizeimission der EU, mit der die Sicherheit im Kosovo garantiert werden soll.
"Wenn es zwischen den Mitgliedern des Sicherheitsrates keine Einigung gibt, dann muss das Leben weitergehen", sagte Solana. "Das ist nicht das Ende der Welt." Die EU sei immer für eine UN-Resolution über das Kosovo gewesen: "Aber das liegt nicht an uns." Im Juli hatte Russland per Vetodrohung eine Abstimmung im Sicherheitsrat über eine Unabhängigkeit des Kosovos unter internationaler Aufsicht verhindert. Das Serbien eng verbundene Russland hat mehrfach nachdrücklich betont, nur der Sicherheitsrat dürfe über das Kosovo entscheiden.
Der derzeitige EU-Ratsvorsitzende, Portugals Außenminister Lus Amado, sagte, die EU gerate bei Entscheidungsunfähigkeit des UN- Sicherheitsrates in die Notwendigkeit, selbst entscheiden zu müssen. "Wir werden uns bis zur letzten Minute um eine einvernehmliche Lösung bemühen, denn eine solche Lösung wäre ein Faktor der Stabilität", sagte er unter Bezug auf die bis zum 10. Dezember befristeten Bemühungen der Kosovo-Troika (EU, Russland, USA) um eine Einigung zwischen Serben und Kosovo-Albanern über den künftigen Status der Krisenprovinz. "Wenn das nicht möglich ist, dann werden wird immer noch hier sein, und die Welt wird nicht untergehen. Wir müssen Entscheidungen treffen und die Lage bewerten."
Hashim Thaci, der Sieger der Parlamentswahlen vom Wochenende und wahrscheinlich künftiger Kosovo-Regierungschef, sagte, die Kosovo-Albaner respektierten die internationale Meinung. "Wir werden wie bisher alle Entscheidungen, auch die wichtigste von der Unabhängigkeit, in enger Zusammenarbeit mit Washington und Brüssel treffen", sagte Thaci in der Kosovo-Hauptstadt Pristina. Der aktuelle Ministerpräsident der Provinz, Agim Ceku, sagte demgegenüber, man könne nicht länger warten. Das künftige Parlament sollte den 10. Dezember als Unabhängigkeitsdatum bekanntgeben. An diesem Tag erstattet die Troika dem UN-Generalsekretär Bericht.
Amado versicherte, die EU wolle "ganz sicherlich nicht mehr Konflikte haben als es bisher schon gibt". "Aber wir können die Verantwortung der EU nicht ignorieren." Solana sagte, die EU werde in Kürze mit UN-Generalsekretär Ban Ki Moon über das weitere Vorgehen sprechen. Solana und Amado bestätigten, dass es innerhalb der EU noch keine einheitliche Haltung zur Frage gibt, ob die Union die von den Kosovaren angekündigte einseitige Unabhängigkeitserklärung anerkennen soll. "Wir werden uns bis zuletzt um Einstimmigkeit bemühen", sagte Amado.
Troika tagt
Die Troika bemüht sich am Dienstag in Brüssel erneut um Fortschritte in den festgefahrenen Verhandlungen zwischen Belgrad und Pristina. Der deutsche Botschafter Wolfgang Ischinger, der die EU in der Troika vertritt, zeigte sich zurückhaltend zu den Erfolgsaussichten. "Wir haben alles Menschenmögliche versucht", sagte er. "Wir haben alle denkbaren Optionen der Quadratur des Kreises des Kosovo durchgespielt. Niemand kann sagen, dass dies keine ernsthaften Verhandlungen waren."
"Eine einseitige Unabhängigkeitserklärung - unabhängig wer wie darauf reagiert - wird am Ende viele Verlierer hinterlassen, selbst bei denjenigen, die das im Augenblick noch nicht in ausreichender Sensibilität sehen", sagte Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier. Zuvor hatten auch andere Minister die Kosovo-Albaner vor einer Unabhängigkeitserklärung gewarnt.
"unheimlich schwierige" Lage
Der schwedische Außenminister Carl Bildt riet den Kosovo-Albanern, die Folgen einer einseitigen Unabhängigkeitserklärung zu bedenken: "Ich glaube nicht, dass sie von der internationalen Gemeinschaft unabhängig sein wollen. ... Sie wollen von der NATO verteidigt und von der EU unterstützt werden." Er fürchte, dass nach den Parlamentswahlen vom Wochenende nicht nur die Kosovo-Albaner, sondern auch die serbische Minderheit im Kosovo eine Unabhängigkeit erklären wollten. Der britische Europa-Staatsminister Jim Murphy sagte: "Das Kosovo sollte unabhängig werden, aber das sollte keine einseitige Unabhängigkeitserklärung sein."
Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn räumte ein, es sei "unheimlich schwierig", in der EU eine einheitliche Position zur möglichen Anerkennung einer einseitigen Unabhängigkeit zu finden. Die österreichische Außenministerin Ursula Plassnik sagte, die EU hoffe nach wie vor auf einen Verhandlungserfolg der Troika. "Wir müssen uns aber realistischerweise mit dem Gedanken beschäftigen, dass es zu keinem Einvernehmen kommt."
Quelle: ntv.de