Politik

Fritsche vor Ausschuss: Kurnaz bleibt ein Risiko

Der ehemalige Guantnamo-Häftling Murat Kurnaz war und ist nach Einschätzung des Geheimdienstkoordinators im Kanzleramt, Klaus-Dieter Fritsche, ein "Sicherheitsrisiko". Im Januar 2006 sei dennoch entschieden worden, dem in Bremen geborenen Türken eine Einreise nach Deutschland zu gewähren.

Dieser im Vergleich zur rot-grünen Vorgängerregierung vollzogene Kurswechsel beruhte nach Darstellung Fritsches nicht auf einer geänderten Gefahrenprognose für Kurnaz. Vielmehr habe es damals eine Abwägung zwischen Sicherheitsbedenken und humanitären Aspekten gegeben. Die "Waagschale" habe sich zu Gunsten der humanitären Gründe geneigt, sagte Fritsche im BND-Ausschuss.

Kurnaz war nach mehr als vier Jahren Haft auf Initiative von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) im August 2006 aus dem US-Gefangenenlager auf Kuba frei gelassen worden und durfte nach Deutschland ausreisen.

Bremer Bericht wurde frisiert

Nach einem Bericht des "Weser-Kurier" hat der Bremer Verfassungsschutz seinen eigenen Bericht über Kurnaz vom 20. Februar 2002 dreieinhalb Jahre später manipuliert. Der Bericht sei am 16. Dezember 2005 umgeschrieben worden: Aus Konjunktiven seien Indikative geworden, aus indirekter Rede Tatsachenbehauptungen, aus vagen Gerüchten harte Fakten.

Mit dieser "Erkenntnismitteilung" habe der Amtsleiter einen Auftrag seines Dienstherrn Röwekamp erfüllt. Der Innensenator seinerseits habe seinem damaligen Amtskollegen Otto Schily (SPD) Gründe für ein Einreiseverbot gegen Kurnaz liefern sollen. Bundesbehörden hatten sich vor dem Ausschuss immer wieder auf Erkenntnisse aus Bremen berufen.

"Es gab Anhaltspunkte"

Der Vize-Präsident des Bundeskriminalamtes (BKA), Bernhard Falk, bekräftigte vor dem Ausschuss die Einschätzung aus dem Jahr 2002, Kurnaz sei eine Gefahr gewesen. Der in Bremen geboren Türke habe Teile einer klassischen "Radikalisierungskarriere" aufgewiesen. Er habe sein Aussehen in typischer Weise verändert, sich von seiner Familie abgeschottet, Kontakte zur islamistischen Szene gehabt und sei zudem nach Pakistan gereist. "Es gab tatsächlich Anhaltspunkte für Extremismus", sagte Fritsche, der von Ende 1996 bis November 2005 Vize-Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) war.

Die Gefährdungseinschätzung gab das BKA nach Darstellung Falks an die USA weiter. Die US-Polizeibehörde FBI sei im Februar 2002 förmlich und zuvor mündlich über Erkenntnisse des Landeskriminalamtes Bremen informiert worden. Er könne aber nicht sagen, ob dies die Entscheidung der Amerikaner beeinflusst habe, den im Januar 2002 noch in Südafghanistan inhaftierten Kurnaz kurze Zeit später in das Gefangenenlager Guantnamo zu überstellen.

Für den FDP-Vertreter im Ausschuss, Max Stadler, steht fest, dass die Informationen deutscher Behörden in die Entscheidungsfindung der Amerikaner einflossen. Im Januar 2002 habe noch die Möglichkeit bestanden, eine Verlegung von Kurnaz nach Guantnamo zu verhindern, etwa dadurch, dass eine Bereitstellung deutscher Informationen an eine Entlassung Kurnaz' nach Deutschland geknüpft worden wäre. Grünen-Obmann Hans-Christian Ströbele sieht nach der Aussage Falks erhebliche Hinweise dafür, dass die lange Haft von Kurnaz auch auf Informationen aus Deutschland zurückzuführen ist.

Grundsätzlich stützte der BKA-Vizechef die auch von deutschen Geheimdienstspitzen 2002 geäußerten Sicherheitsbedenken gegen Kurnaz. Er sei einem radikal-islamischen Umfeld in Bremen zuzurechnen gewesen, das als gefährlich eingestuft worden sei. Es habe zudem Hinweise aus Bremen gegeben, dass Kurnaz mit "hoher Wahrscheinlichkeit" nach Afghanistan habe reisen wollen, um dort gegen die Amerikaner zu kämpfen.

Der damals 19-Jährige war im Oktober 2001 - wenige Wochen nach den Terroranschlägen in den USA - nach Pakistan gereist, um sich dort nach eigenen Angaben in einer Koranschule tiefer mit seinem Glauben zu befassen. Er verließ Deutschland am 3. Oktober, vier Tage vor Beginn der US-Militäroffensive in Afghanistan. Falk fragte: "Wer begibt sich freiwillig vor Kriegsbeginn in einen Bereich, der mit hoher Wahrscheinlichkeit in Kriegshandlungen einbezogen wird?"

Nach Worten von SPD-Ausschussmitglied Thomas Oppermann zeigt Falks Aussage, dass Kurnaz 2002 zu Recht als Sicherheitsrisiko eingestuft wurde. Die damalige Entscheidung, Kurnaz nicht nach Deutschland einreisen zu lassen, sei aber keine Entscheidung für Guantnamo gewesen. Vielmehr habe Kurnaz aus Gefährdungsgründen im Falle einer Freilassung nur nicht nach Deutschland, sondern in die Türkei entlassen werden sollen. Kurnaz hat die türkische Staatsbürgerschaft.

Quelle: ntv.de

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