Politik

Interview mit Alfred Grosser "Le Pen besitzt kaum Popularität"

Was bedeutet das überraschende Abschneiden des französischen Nationalisten Jean-Marie Le Pen für Frankreich, was für Europa? Der Historiker und Publizist Alfred Grosser gilt als profunder Kenner nicht nur der politischen Szenerie Frankreichs, sondern auch Deutschlands. Im Interview mit n-tv.de analysiert der 77-jährige Träger des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels sowie der Goethe-Medaille den Erfolg des Rechtspopulisten und dessen Chancen auf die Präsidentschaft.

n-tv.de: In der französischen Presse ist zum Teil von einem "Schock" die Rede: Sind Sie davon überrascht worden, dass Chirac und Le Pen nur zweieinhalb Prozentpunkte auseinander liegen?

Grosser: Der Schock liegt darin, dass Jospin nicht mehr dabei ist. Dass beide Hauptkandidaten weniger als 20 Prozent bekommen würden, war vorauszusehen, nicht aber, dass Jean-Marie Le Pen so viele Stimmen bekommt. Viele von Jospins Unterstützern haben vielleicht gesagt: "Warum sollen wir ihn wählen? Er ist sowieso in der zweiten Runde dabei. Da können wir entweder zu Hause bleiben oder für eine der kleinen Parteien stimmen."

n-tv.de: Ist das Wahlergebnis Jospins gleichbedeutend mit einer Demontage der Linken in Frankreich?

Grosser : Um von Demontage zu sprechen, ist es noch ein bisschen früh. Es ist gut möglich, dass die Linke im Juni die Parlamentswahlen doch gewinnt und dann hätten wir wieder die Kohabitation fünf Jahre lang, was ganz furchtbar wäre. Es ist natürlich eine große Links-Niederlage, die mit Sachsen-Anhalt vergleichbar wäre.

n-tv.de: Liegt die Ursache für Jospins Niederlage in persönlichen politischen Fehlern oder in einem allgemeinen Stimmungsumschwung in Richtung rechts?

Grosser: Zwei persönliche Fehler möchte ich hervor heben. Erstens, dass er nicht medienträchtig ist. Zweitens: Er war fünf Jahre lang an der Regierung und hat allen gesellschaftlichen Gruppen ein bisschen nachgegeben. Den Landwirten, Jägern, Ärzten und Zöllnern. Vielleicht hat er auch nicht genügend nachgegeben, denn sie haben trotz seiner Zugeständnisse gegen ihn gestimmt. Wir haben es mit einer Aufstückelung der französischen Gesellschaft in Interessengruppen zu tun.

n-tv.de: Das Phänomen Le Pen schien sich erledigt zu haben. Woher rührt seine plötzliche Popularität?

Grosser: Man kann kaum von Popularität sprechen. Man hat vier Jahre lang so gut wie nichts mehr von ihm gehört. Aber die Demoskopen haben richtig erkannt, dass er Woche für Woche stärker wurde. Le Pen ist der Vater des Themas Sicherheit in der öffentlichen Diskussion. Und dies Thema ist ununterbrochen von den Medien hervorgehoben worden. In den Abendnachrichten im Fernsehen sieht man nur noch Überfälle, Diebstähle und Gewaltdelikte.

n-tv.de: Hat das rechte Lager in Frankreich außerhalb der Front National in den letzten Jahren Zulauf gehabt?

Grosser: Relativ wenig. Chirac hat 1997 eine Niederlage hinnehmen müssen, Jospin wurde Regierungschef. Wenn Chirac nicht da wäre, hätte das bürgerlich-konservative Lager keinen Kandidaten mehr. Sämtliche französischen Parteien sind schwach, wenn man sie etwa mit der CDU oder der SPD in Deutschland vergleicht.

n-tv.de: Werden nach den Erfolgen von Umberto Bossi in Italien, Jörg Haider in Österreich und Le Pen weitere europäische Staaten einen konservativ-populistischen Ruck erleben?

Grosser: Ich weiß nicht, wie Sie Stoiber einreihen.

n-tv.de: Müsste im Falle einer Präsidentschaft Le Pens die EU nicht konsequenter Weise ähnlich gegenüber Frankreich reagieren, wie seinerzeit gegen Österreich nach Haiders Regierungsbeteiligung?

Grosser: Le Pen wird geschlagen, er kommt nicht an die Regierung.

n-tv.de: Ist Le Pen der Ronald Schill Frankreichs oder eher Schill der Le Pen Deutschlands?

Grosser: Man sollte Schill nicht überschätzen. Er hat in Sachsen-Anhalt schließlich nicht gesiegt. Er hätte die 12 Prozent der DVU übernehmen können, das hat er nicht getan.

n-tv.de: Hat Le Pen realistische Chancen auf das höchste Staatsamt? Was ist ihr Tipp für die Stichwahl?

Grosser: Chirac mit 60 oder 70 Prozent der Stimmen. Die ganze Linke, darunter reihe ich mich ein, wird Chirac wählen. Und dann steht Chirac als Triumphator da und das zu Unrecht. Im Vergleich zu Chirac hat zum Beispiel Biedenkopf überhaupt keine Skandale gehabt.

n-tv.de: Wird der Erfolg Le Pens also ein heilsamer Schock sein?

Grosser: Ich hoffe ja.

(Das Interview führte Axel F. Busse)

Quelle: ntv.de

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