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Seltsames Treffen mit Weidel "Le Pen bot sich die Chance, die rechtsextreme Laterne weiterzureichen"

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Marine Le Pen versucht seit Jahren, ihre einst offen rechtsextreme Partei an die Mitte anschlussfähig zu machen.

Marine Le Pen versucht seit Jahren, ihre einst offen rechtsextreme Partei an die Mitte anschlussfähig zu machen.

(Foto: IMAGO/PanoramiC)

Marine Le Pen ist die bekannteste Rechtspopulistin Europas - doch machte sie vor einigen Wochen mit ihrer Distanzierung von der AfD Schlagzeilen. Anlass waren die Enthüllungen um das Potsdamer Treffen von Rechtsextremen, an dem auch AfD-Mitglieder teilgenommen hatten. Le Pen stellte sogar die Fraktionsgemeinschaft im Europaparlament infrage. Mit dem Konzept der Remigration sei sie überhaupt nicht einverstanden, so Le Pen. Nun macht AfD-Chefin Weidel eine Art Kotau vor Le Pen und beteuert, nicht rechtsextrem zu sein und Pläne zur "Remigration" zu haben. Wie rechts ist Le Pen überhaupt noch? Der Markenkern ihrer Partei sei noch intakt, sagt Ronja Kempin von der Stiftung Wissenschaft und Politik im Interview mit ntv.de.

ntv.de: Frau Kempin, die französische Rechtspopulistin Marine Le Pen hat der AfD mit der Aufkündigung der Fraktionsgemeinschaft im Europaparlament gedroht. Jetzt war Alice Weidel bei ihr und hat offenbar Abbitte geleistet. Was war da los?

Ronja Kempin: Marine Le Pen sah hier offenbar die Gefahr, selbst mit diesen rechtsextremen Remigrationsplänen in Verbindung gebracht zu werden, die auf dem Treffen in Potsdam besprochen wurden. Ihre Partei, der Rassemblement National, und die AfD sind beide im Europaparlament in der Fraktion Identität und Demokratie. Le Pen arbeitet aber seit Jahren daran, anschlussfähig an die Mitte zu werden, aus der rechtsextremen Schmuddelecke herauszukommen. Fast noch interessanter fand ich, dass Alice Weidel nach Paris gegangen ist, um einen Kotau vor Le Pen zu machen. Anschließend schrieb sie sogar noch einen Brief, um sich noch einmal von dem Rechtsextremen-Treffen zu distanzieren. Es scheint sich eine Gewichtsverschiebung der extremen Rechten in Europa zu vollziehen. Lange zeigten sich Rechtsextreme besonders gern mit Viktor Orban. Weidel sieht sich offenbar Le Pen näher.

Was sagt das über Le Pen aus, wenn ihr die AfD zu rechts zu werden droht?

Le Pen fährt einen ganz anderen Kurs als früher. Als sie 2011 den Parteivorsitz übernahm, ging es ihr zunächst um Entdiabolisierung und Normalisierung ihrer Partei, die damals noch Front National hieß. Sie säuberte die eigenen Reihen. Wer mit antisemitischen Äußerungen auffiel, musste gehen. Das schloss sogar ihren eigenen Vater Jean-Marie Le Pen ein. Damit feierte sie Erfolge bei Wahlen. Sie hat es geschafft, dass viele Franzosen heute nicht mehr das Gefühl haben, sich schämen zu müssen, wenn sie sie wählen. Sie erreicht auch immer mehr jüngere Wähler.

Ronja Kempin forscht an der Stiftung Wissenschaft und Politik zu den deutsch-französischen Beziehungen in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik und zum Rassemblement National und dem Populismus in Frankreich.

Ronja Kempin forscht an der Stiftung Wissenschaft und Politik zu den deutsch-französischen Beziehungen in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik und zum Rassemblement National und dem Populismus in Frankreich.

(Foto: SWP)

Da passte eine enge Bindung zur AfD nicht ins Bild?

Richtig. Außerdem bot sich ihr die Chance, gewissermaßen die rechtsextreme Laterne weiterzureichen. An Eric Zemour, der ihr von rechts Konkurrenz macht und ebenfalls offen über Remigration redet. Und der es geschafft hat, Marine Le Pens Nichte, Marion Maréchal als seine Spitzenkandidatin für die im Juni anstehenden Europawahlen zu gewinnen. Marion Maréchal galt lange als Le Pens Nachfolgerin. Es kam jedoch zum Bruch zwischen beiden. Le Pen ist sehr geschickt darin, ihre politischen Gegner vor sich herzutreiben.

Le Pen versucht seit Jahren, das rechtsextreme Erbe aus ihrer Partei zu tilgen. Aber ist das wirklich alles weg? Wie rechts ist der Rassemblement National noch?

Das ist die Gretchenfrage, über die auch in Frankreich diskutiert wird. Ich persönlich halte Le Pen weiterhin für rechtsextrem. Rein inhaltlich wäre es passend, sie als national-sozialistisch zu bezeichnen, nur weckt der Begriff im Deutschen die falschen Assoziationen. Doch ihr Programm hat diese beiden Säulen: Auf der einen Seite betont sie das Nationale, Frankreichs Souveränität, formuliert einen Großmacht-Anspruch, kritisiert die EU und Deutschland. Auf der anderen Seite versucht sie, sich über soziale Fragen und wirtschaftspolitischen Themen zu profilieren. Das zeigt sich gegenwärtig etwa bei ihrer Unterstützung der französischen Landwirte.

Aber nur für Franzosen.

Genau. Das Motto "Die Franzosen zuerst" gilt auch für die Sozialleistungen. Ihr Distinktionsmerkmal ist weiterhin die Fremdenfeindlichkeit. Sie hat ihren Ton zwar sehr gemäßigt, aber der Markenkern der Partei ist noch intakt. Ihre Wähler wissen natürlich, wie islamkritisch sie ist und dass sie vor allem Politik für die alteingesessenen Franzosen machen will. Dabei sieht sich die Masse der Wähler nicht als rechtsextrem. Die haben eher Abstiegsängste, fühlen sich abgehängt und sehnen sich nach früheren Zeiten zurück, als es noch die Bäckerei an der Ecke gab und keinen Hypermarché. Le Pen vermittelt ihnen das Gefühl, ihre Stimme zu sein.

Ist Marine Le Pen eine Rechtsextreme, die Kreide gefressen hat?

Das ist ganz schwer einzuschätzen. So wie Alice Weidel, die mit einer Frau zusammenlebt, eigentlich nicht zur AfD passt, so passt auch Marine Le Pen nicht so richtig zu ihrer Partei. Zum Beispiel bei der Familienpolitik. Sie ist geschieden und hat immer gearbeitet. Sie ist also mitnichten die Hausfrau und Mutter, wie sich Rechtsextreme die ideale Frau vorstellen. Das zeigt aber auch, dass diese Themen nicht so wichtig sind wie die Islam-Feindlichkeit oder das Motto "Frankreich zuerst". Trotzdem ist es schwierig, Le Pen selbst auf Positionen festzunageln. Sie versucht immer, an die politische Mitte anschlussfähig zu bleiben. Das macht sie sehr geschickt.

Was ist der Rassemblement National heute? Eine Art rechtsoffene CSU? Eine AfD ohne Höcke?

Die AfD nimmt sich ja selbst ein Beispiel an der Entwicklung des Rassemblement National. Sie versucht, sich als Kümmerer im ländlichen Raum zu präsentieren, als Stimme der vermeintlich Vergessenen in Ostdeutschland und anderswo. Das macht Le Pen schon seit gut 10 Jahren. Sie wird vor allem in der Fläche oder auch in den Vororten der großen Städte gewählt. Dabei profitiert sie auch vom Vertrauensverlust der anderen Parteien. Ich höre in Frankreich oft Sätze wie: "Ich verstehe, dass die Menschen kein Vertrauen in die politische Klasse mehr haben und Marine Le Pen wählen, denn schlechter kann es nicht werden." Das ist bei der AfD ähnlich. Die profitiert auch vom Vertrauensverlust der Ampelkoalition. Ein wichtiger Unterschied ist aber, dass die AfD sich eben nicht konsequent von rechtsextremen Köpfen trennt. Eher ist das Gegenteil der Fall.

Wie muss man sich die Arbeit des Rassemblement National in der französischen Nationalversammlung vorstellen?

Überraschend konstruktiv. Bei den Parlamentswahlen im Juni 2022 zog der RN als größte Oppositionsfraktion in die Nationalversammlung ein, mit 89 Abgeordneten. Le Pen hat ihnen verordnet, sich anständig zu betragen, nicht nur beim Abstimmungsverhalten. Die Männer müssen Anzüge mit Krawatte tragen. Sie sollen nicht herumpöbeln oder unangenehm auffallen. Sie sollen die parlamentarische Ordnung einhalten. Das hat dazu geführt, dass die Regierung Macron es akzeptiert, dass der Rassemblement National ihren Vorhaben zustimmt.

Gibt es keine Brandmauer?

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Ja und nein. Präsident Emanuel Macron und seine Partei bitten den RN nicht direkt um Hilfe, aber sie akzeptieren es, wenn dieser mitstimmt. Das ist ein wenig so wie bei der Grundsteuerreform in Thüringen im vergangenen Jahr, als die AfD dem CDU-Vorhaben zustimmte, ohne dass man sich vorher abgesprochen hatte. Insofern gibt es so eine Brandmauer in Frankreich nicht. Andererseits sagt Macron aber, dass er mit seiner Politik Le Pens Partei kleinhalten will. Letztlich ist das inkonsequent. Deswegen nehmen ihm die Leute das immer weniger ab.

Mit Ronja Kempin sprach Volker Petersen

Quelle: ntv.de

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