Keine Hartz IV-Erhöhung Lebensmittel teurer
31.07.2007, 16:09 UhrOppositionspolitiker haben angesichts steigender Lebensmittelpreise eine Erhöhung der Hartz IV-Leistungen gefordert. Politiker der Regierungskoalition jedoch haben die Forderungen von Linkspartei und Grünen, aber auch der SPD-Linken als absurd zurückgewiesen. Der Bauernverband verlangte inzwischen, nach den Milchprodukten müssten auch Schweine- und Rindfleisch teurer werden, damit die Bauern wettbewerbsfähig blieben. Die Zentrale Markt- und Preisberichtsstelle (ZMP) rechnet dagegen eher mit höheren Brotpreisen im Herbst. Trotz der steigenden Lebensmittelpreise können Hartz IV-Empfänger in absehbarer Zeit wohl nicht mit höherem Arbeitslosengeld rechnen.
Verbraucher werden nicht mehr verwöhnt
Bauernpräsident Gerd Sonnleitner geht von generell anziehenden Lebensmittel-Preisen aus. "Der Verbraucher muss sich daran gewöhnen, dass Nahrungsmittel teurer werden", sagte der Bauernverbandspräsident der "Passauer Neuen Presse". In den vergangenen 20 bis 30 Jahren seien Nahrungsmittel im Verhältnis zu Löhnen immer billiger geworden. "Im Durchschnitt gibt eine deutsche Familie heute nur noch zwölf Prozent ihres Einkommens für Ernährung aus - nach dem Krieg waren es 50 Prozent." Der Kunde sei über Jahre hinweg verwöhnt worden.
Die ZMP und der Zentralverband des Deutschen Bäckerhandwerks rechnen wegen drastischer Kostensteigerungen bei Mehl und Strom mit Brot-Preiserhöhungen im Herbst. Eine konkrete Größenordnung wollten Experten beider Stellen zwar nicht nennen. Sie verwiesen aber darauf, dass allein die Mehlpreise wegen der weltweiten Nachfrage in den vergangenen 14 bis 16 Monaten um bis zu 60 Prozent geklettert seien, der Preis für Sonnenblumenkerne habe sich mehr als verdoppelt.
Handel und Verarbeiter sahnen ab
Der Deutsche Bauernbund als Interessenvertretung der bäuerlichen Familienbetriebe in Ostdeutschland erklärte, die Landwirte hätten keine Schuld an den steigenden Lebensmittelpreisen. Den größten Teil der Preise machten Weiterverarbeitung und Handel aus. Vom Ladenpreis erhalte der Bauer beim Brot 3,5 Prozent, bei Kartoffeln 15 und bei Gemüse maximal 37 Prozent. Auch die Vorsitzende des Verbraucherausschusses im Bundestag, Ulrike Höfken, warf den Verarbeitern von Milchprodukten "Abzocke" vor. Höfken sagte der "Thüringer Allgemeinen", bessere Preise für die Milchbauern rechtfertigten nicht Preiserhöhungen für den Verbraucher zwischen 50 und 90 Cent. "Man muss den Menschen sagen, dass in dieser Preisrunde, die jetzt in der Diskussion ist, die Bauern nur 3,5 Cent mehr bekommen sollen. Den Rest stecken sich Handel und Verarbeiter ein."
Preisanstieg "verkraftbar"
Sonnleitner hält den Preisanstieg auf der Warentheke für verkraftbar, weil auch die Löhne stiegen. Bei Milchprodukten geht er davon aus, dass die Endpreise für manche Produkte deutlich, für manche kaum und für einige gar nicht erhöht werden. Der Milchindustrie-Verband hatte am Montag über bis zu 50 Prozent gestiegene Preise für Butter und andere Molkereiprodukte berichtet. So koste bei Discountern das halbe Pfund Butter bereits 1,19 Euro nach bislang 0,79 Euro. Der Milchpreis war schon vorher gestiegen. Der Regelsatz des Arbeitslosengeldes II (ALG II) beträgt 347 Euro im Monat.
Warenkorb-Debatte quer durch die Parteien
SPD-Vizefraktionschef Ludwig Stiegler setzt auf Abwarten. Seiner Meinung nach sind "die Preiserhöhungen erst angekündigt und noch nicht im Markt angekommen". Bei n-tv sagte er: "Der Warenkorb, der über die Zusammensetzung der Grundsicherung und über ihre Höhe entscheidet, wird von den Sozialpolitikern, von denen, die die Sozialhilfe organisieren, verwaltet. Und in diesem Warenkorb gibt es nicht nur steigende Preise, sondern auch sinkende Preise, etwa im Bereich der Telekommunikation. Das wird man beobachten müssen und dann gibt es ein geregeltes Verfahren, wie dieser Korb dann bewertet wird und wie die Einkommens- und Verbrauchsstichprobe dann festgesetzt wird. Erst dann stehen politische Entscheidungen über die Grundsicherung an."
Auch der SPD-Sozialexperte Klaus Brandner will "den ganzen Warenkorb im Auge haben", ebenso wie CDU-Generalsekretär Pofalla. Das Arbeitslosengeld II könne nicht an einzelnen Produkten festgemacht werden kann, die gerade teurer würden, so Pofalla. Ohnehin werde die Höhe der Hartz IV-Leistungen alle zwei Jahre überprüft. "Und dabei wird auch die Marktentwicklung insgesamt berücksichtigt." SPD-Generalsekretär Hubertus Heil forderte, es müsse genau geprüft werden, ob die Milchpreiserhöhungen kartellrechtlich in Ordnung seien. Das Kartellamt hat angekündigt, die Milchpreise zu beobachten.
Der stellvertretende Vorsitzende der Linksfraktion, Klaus Ernst, kritisierte, die Langzeitarbeitslosen erhielten eine Grundsicherung, die nicht den realen alltäglichen Bedarf decke, sondern "Armut per Gesetz" sei. "Hartz IV muss überwunden werden", forderte Ernst. Basis des jetzigen Regelsatzes von 347 Euro im Monat sei die Einkommens- und Verbrauchsstichprobe von 2003, die erst nächstes Jahr neu erhoben werde. "Alle Preissteigerungen der vergangenen vier Jahre und die Anhebung der Mehrwertsteuer werden im Regelsatz nicht erfasst." Ernst schlug vor, als Sofortmaßnahme diese Preissteigerungen in die Regelsatzbemessung aufzunehmen und zusätzlich einen Aufschlag für die zu erwartende Inflation einzurechnen.
Auch der SPD-Linke Ottmar Schreiner hält Arbeitslosengeld II für nicht mehr existenzsichernd, weil es keine Orientierung der Leistung an den Lebenshaltungskosten gebe. Der Sozialexperte sagte der "Bild"-Zeitung: "Wenn jetzt die Lebensmittelpreise überproportional steigen, verringert sich der reale Wert von Hartz IV stark. Deswegen muss jetzt erst recht eine Korrektur vorgenommen und Hartz IV erhöht werden." Der Grünen-Sozialexperte Markus Kurth sagte, die nun bei Milchprodukten erwartete Preissteigerung von bis zu 50 Prozent zeige deutlich, dass der Regelsatz erhöht werden müsse.
Quelle: ntv.de