Politik

"Freibrief" für Verfassungsschutz Linke dürfen beobachtet werden

Überraschende Niederlage für die Linkspartei: Der Verfassungsschutz darf laut einem Urteil des Leipziger Bundesverwaltungsgerichts die Partei auch zukünftig ins Visier nehmen. Im Fall des klagenden Linken-Politikers Ramelow entscheiden die Richter, dass das Anlegen eines Dossiers aus öffentlich zugänglichen Daten über ihn „verhältnismäßig“ sei.

Die Leipziger Revisionsverhandlung geht zu Ungunsten von Ramelow aus: öffentliches Material darf gesammelt werden.

Die Leipziger Revisionsverhandlung geht zu Ungunsten von Ramelow aus: öffentliches Material darf gesammelt werden.

(Foto: dpa)

Der Verfassungsschutz darf die Linkspartei weiter beobachten. Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig urteilte im Fall des Linken-Politikers Bodo Ramelow, dass ein Dossier aus öffentlich zugänglichen Daten über ihn verfasst werden darf. Die Richter genehmigten zudem, dass alle anderen Linken-Spitzenpolitiker beobachtet werden können (Aktenzeichen: BVerwG 6 C 22.09). Ramelow, Fraktionsvorsitzender der Linken im Thüringischen Landtag, hatte in den beiden Vorinstanzen Recht bekommen. Daraufhin hatte die Bundesrepublik Deutschland Revision eingelegt.

Ramelow will nun zum Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe weiterziehen - und notfalls bis zum Europäischen Gerichtshof. „Sie werden verstehen, dass ich tief enttäuscht bin, dass ein sechsjähriger Klageweg auf einmal hier so abgeräumt wird - mit einer Begründung, die ich schwer nachvollziehen kann“, sagte Ramelow. Während der dreistündigen Verhandlung sei nichts vorgebracht worden, das gegen ihn spreche. Dem „Schnüffelstaat“ seien nun Tür und Tor geöffnet, sagte Ramelow. Das Urteil komme einem Freibrief für den Bundesverfassungsschutz gleich. „Jeder mit höherer Funktion in dieser Partei darf nun beobachtet werden. Dieses Urteil darf nicht so stehen bleiben!“, sagte der Linken-Vorsitzende Klaus Ernst. Auch Prozessbeobachter zeigten sich vom Urteil überrascht.

Persönlichkeitsrecht nur ein bisschen verletzt

Das Urteil des 6. Senats überrascht etliche Prozessbeobachter.

Das Urteil des 6. Senats überrascht etliche Prozessbeobachter.

(Foto: APN)

„Man kann nicht einzelnen Funktionären alles zurechnen, was die Partei macht. Er kann eine eigene Meinung haben“, hatte der Vorsitzende des 6. Senats, Werner Neumann, während der Verhandlung gesagt. Der Vorsitzende Richter sagte in der Urteilsbegründung dann, der Senat sei im Gegensatz zur vorherigen Instanz der Auffassung, dass die Beobachtung nicht gegen die Verhältnismäßigkeit verstoße.

Es gebe Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen von Teilgruppen innnerhalb der Partei. Diese könne aber nur effizient überwacht werden, wenn auch die Spitzenfunktionäre mit einbezogen würden. „Der zusätzliche Erkenntnisgewinn steht in einem angemessenen Verhältnis zur Belastung für den Abgeordneten“, sagte Neumann.

Der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht der Funktionäre wiege nicht sehr schwer, weil die Verfassungsschützer nur das öffentliche Verhalten erfassen - und nicht den persönlichen Bereich ausspähen. Zudem habe sich der Verfassungsschutz auf die unterste Ebene der Beobachtung gegeben und bespitzele Ramelow nicht mit geheimen Methoden - etwa mit V-Männern, Observationen und „Wanzen“.

Die Justiz befaßt sich seit Jahren mit der Überwachung von Ramelow in seiner Zeit als Bundestagsabgeordneter von 2005 bis 2009. In den Vorinstanzen hatte sich der Politiker durchgesetzt; immer mit dem Hinweis, dass es sich um einen Einzelfall handelt. Er hatte nun gehofft, dass das Bundesverwaltungsgericht grundsätzlich entscheidet, dass der Verfassungsschutz keine Linken-Politiker beobachten darf.

Wagenknecht im Fokus

Ein Indiz für Verfassungsfeindlichkeit der gesamten Partei sei, das Sahra Wagenknecht stellvertretende Parteivorsitzende ist, sagte der Anwalt der Verfassungsschützer, Wolfgang Roth. Auch die Bundespräsidentenwahl habe gezeigt, dass die Partei beobachtet werden müsse; weil sie die Staatsoberhaupt-Suche als „Wahl zwischen Stalin und Hitler“ bezeichnet und Joachim Gauck wegen seiner Tätigkeit für die Stasi-Unterlagenbehörde abgelehnt habe.

Ramelow war nach eigenen Angaben bereits in den 1980er Jahren als Gewerkschafter in Hessen ins Visier des Verfassungsschutzes geraten. Anlass war eine Solidaritätserklärung für einen DKP-Anhänger, der mit einem Berufsverbot belegt werden sollte. Als er 1999 in Thüringen für die Linke ins Parlament einzog, erfuhr er von seiner Akte. Seitdem klagt er.

Niedersachsens Linke-Chef Dieter Dehm zeigte sich empört über das Urteil. „Geheimdienste gehören ins letzte Jahrhundert“, sagte Dehm. „Es ist eine unglaubliche Einschüchterung der parlamentarischen Kontrolle durch die, die kontrolliert werden. Immerhin sind die Abgeordneten die einzigen, die den Geheimdiensten auf die Finger schauen“, so Dehm. „Das hat nichts mit Rechtsstaatlichkeit zu tun.

Unterstützung von SPD und Grünen

Unterstützung bekam die Linke aus den Reihen der Grünen und der SPD. „Ich finde die Gleichsetzung der Linken mit der NPD oder anderen extremistischen Parteien insgesamt verfehlt“, sagte Grünen-Chef Cem Özdemir der „Berliner Zeitung“. Die Linke arbeite nicht konspirativ, selbst die Kommunisten in ihren Reihen agierten in einem öffentlichen Umfeld.

Der Parlamentarische Geschäftsführer der Grünen-Bundestagsfraktion, Volker Beck, erklärte, eine Beobachtung von Abgeordneten komme nur bei Hinweisen auf Gewaltdelikte oder die Unterstützung terroristischer Organisationen in Betracht. „Abwegige Programmatik“ rechtfertige eine Beobachtung nicht. Der Sprecher der Parlamentarischen Linken in der SPD, Ernst-Dieter Rossmann, sagte der „Berliner Zeitung“: „Nach dem, wie sich die Linkspartei verhält, ist ihre Überwachung nach meinem Urteil keine Aufgabe mehr durch den Verfassungsschutz.“

Innenministerium freut sich

Dagegen begrüßte das Bundesinnenministerium das Leipziger Urteil. „Das ist ein guter Tag für unsere wehrhafte Demokratie“, sagte der Parlamentarische Innen-Staatssekretär Ole Schröder (CDU) in Berlin.

Quelle: ntv.de, dpa

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