Politik

Straßenschlachten in Tripolis Machtzentrum Gaddafis bröckelt

Mit Kugeln und Koran gegen Gaddafi.

Mit Kugeln und Koran gegen Gaddafi.

(Foto: AP)

Hunderte Libyer strömen nach den Freitagsgebeten in Tripolis auf die Straßen und rufen: "Gaddafi ist ein Feind Gottes!". Sicherheitskräfte treiben die Menschen auseinander; Schüsse fallen. Das Ausland versucht, den Tausenden nach Tunesien geflohenen Gastarbeitern zu helfen. Auch Deutschland schickt Schiffe.

Nach dem Freitagsgebet strömen in Tripolis Gaddafi-Gegner auf die Straßen.

Nach dem Freitagsgebet strömen in Tripolis Gaddafi-Gegner auf die Straßen.

(Foto: AP)

Mehrere hundert Menschen haben in der libyschen Hauptstadt Tripolis gegen Machthaber Muammar al-Gaddafi demonstriert und sich Auseinandersetzungen mit regierungstreuen Sicherkräften geliefert. Über 600 Kilometer östlich von Tripolis rückten die Rebellen weiter entlang der Küste nach Westen vor. Eine Verhandlungslösung des Konflikts zeichnete sich nicht ab.

In Tripolis strömten die Gaddafi-Gegner nach den traditionellen Freitagsgebeten aus den Moscheen auf die Straßen und forderten ein Ende der seit 41 Jahren andauernden Herrschaft Gaddafis. Die Menge rief, "Gaddafi ist ein Feind Gottes", berichtete ein Zeuge.

Sicherheitskräfte gehen gegen die Demonstranten vor.

Sicherheitskräfte gehen gegen die Demonstranten vor.

(Foto: AP)

"Dies ist das Ende von Gaddafi, es ist vorbei", sagte der Ingenieur Faragha Salim, der sich an den Protesten beteiligte. Die Sicherheitskräfte trieben die Menge mit Tränengas auseinander. Ein anderer Zeuge berichtete, bei den Protesten im Osten von Tripolis seien auch viele Schüsse zu hören gewesen. Zuvor habe er beobachtet, wie 14 Geländewagen mit grün uniformierten Männern zum Kundgebungsort gerast seien. Ausländische Journalisten wurden von Sicherheitskräften gehindert, sich selbst ein Bild von der Lage zu machen.

Polizeichefs kehren Gaddafi den Rücken

Mit Wasserwerfern und Schüssen wird die Menge auseinandergetrieben.

Mit Wasserwerfern und Schüssen wird die Menge auseinandergetrieben.

(Foto: AP)

Immer mehr Funktionäre wenden sich vom Gaddafi-Regime ab. Aus gut informierten Kreisen in der Hauptstadt Tripolis hieß es am Freitagabend, inzwischen hätten sich die Sicherheitschefs der Städte Misrata, Sebha, Adschdabija, Bengasi und Tripolis auf die Seite der Aufständischen geschlagen.

Auch mehrere hochrangige Offiziere des Militärgeheimdienstes, der Luftwaffe und diverser Polizei-Spezialeinheiten schlossen sich den Aufständischen an, die den Sturz von Gaddafi fordern. In den ersten Tagen nach Beginn des Aufstandes hatten bereits zwei Minister, ein Staatsminister und rund 20 Diplomaten ihre Ämter aus Protest gegen den Einsatz von Gewalt gegen Demonstranten niedergelegt.

Ölanlage Sueitina steht in Flammen

An der Küste bewegten sich die Aufständischen auf den Ölhafen Ras Lanuf rund 600 Kilometer östlich von Tripolis zu. Ausgangspunkt war die Hafenstadt Brega 800 Kilometer östlich von Tripolis, wo die Rebellen Gaddafi-treue Truppen in den vergangenen Tagen zurückschlagen konnten. Eine Ölanlage in Sueitina südlich von Bengasi steht einem Bericht des TV-Senders Al-Dschasira zufolge in Flammen.

Eine zusammenhängende Front zwischen den Aufständischen und den Regierungstruppen gibt es nicht. Kämpfe wurden auch aus dem Ort Sawija nur 50 Kilometer westlich von Tripolis gemeldet, wobei nach Medienberichten zahlreiche Menschen ums Leben kamen. Rebellen berichteten, sie hätten Gaddafi-Truppen vor der Stadt eingekreist.

Rebellen fordern Flugverbotszone

Die Rebellen appellierten erneut an ausländische Militärmächte, eine Flugverbotszone über Libyen durchzusetzen. In den vergangenen Tagen hatte die Luftwaffe Angriffe auf Rebellen geflogen und dabei nach Angaben der Aufständischen im Ort Adschdabija nur knapp ein Munitionsdepot verfehlt. Die USA, die entscheidend für den Aufbau einer Flugverbotszone sind, haben bislang jedoch sehr zurückhaltend reagiert.

"Sieg oder Tod. Wir werden nicht aufhören, bis wir dieses Land befreit haben", sagte der Chef des Libyschen Nationalrates der Rebellen, Mustafa Abdel Dschalil. Sein Berater Ahmed Dschabril erklärte, verhandelt werde nur darüber, wie Gaddafi das Land verlassen oder wie er seine Regierungsämter aufgeben könne. Ein Vorschlag für Verhandlungen des Präsidenten von Venezuela, Victor Chavez, fand auf beiden Seiten wenig Beachtung. Libyen brauche keine Hilfe von außerhalb, um seine Probleme zu lösen, sagte Gaddafis Sohn Saif al-Islam.

Im Ausland wachsen allerdings Befürchtungen, dass in den Rebellengebieten eine Nahrungsmittel- und Medikamentenknappheit droht. Rebellen aus Sawija berichteten, die Vorräte an Arzneien und Babymilch neige sich dem Ende zu.

Internationale Rückholaktion für Flüchtlinge

In Tunesien gestrandet: Ägyptische Gastarbeiter, die aus Libyen geflohen sind.

In Tunesien gestrandet: Ägyptische Gastarbeiter, die aus Libyen geflohen sind.

(Foto: REUTERS)

In Tunesien startete eine internationale Rückholaktion für Tausende aus Libyen geflohene Gastarbeiter. Die internationale Gemeinschaft bemüht sich, eine humanitäre Katastrophe in den provisorischen Zeltlagern nahe der Grenze zu verhindern. Die Weltgesundheitsorganisation warnte vor einer Seuchengefahr in den tunesischen Flüchtlingslagern. Mittlerweile seien zwar humanitäre Korridore für den Transport von Medikamenten und anderen Hilfsgütern geschaffen worden, sagte WHO-Mitarbeiter Eric Laroche in Tunis. Doch die vorhandenen Unterkünfte im Grenzgebiet platzten aus allen Nähten. Täglich kommen mehr als 10.000 Menschen aus dem umkämpften Land nach Tunesien, der Großteil stammt aus Ägypten. Schon mehr als 180.000 Menschen haben Libyen nach Schätzungen verlassen.

US-Präsident Barack Obama, der erneut den Rücktritt Gaddafis forderte,  sagte die Entsendung von Flugzeugen zu. Frankreich hatte ebenfalls angekündigt, Flüchtlinge aus Tunesien auszufliegen. Auch die Deutsche Marine ist an dem Hilfseinsatz beteiligt. Ein Sprecher des Auswärtigen Amtes sagte, mit dem Einsatzverband aus drei Schiffen könnten mehrere Hundert Flüchtlinge transportiert werden. Derzeit hielten sich noch 50 Deutsche in Libyen auf, davon 40 in Tripolis. Die meisten von ihnen wollten das Land aber nicht verlassen.

"Gebot der Menschlichkeit"

In Bengasi, das in der Hand der Rebellen ist, demonstrieren die Menschen nach dem Freitagsgebet gegen Gaddafi.

In Bengasi, das in der Hand der Rebellen ist, demonstrieren die Menschen nach dem Freitagsgebet gegen Gaddafi.

(Foto: AP)

An dem Einsatz unter UN-Schirmherrschaft werden sich vermutlich auch weitere europäische Staaten beteiligen. Mit Hilfe deutscher und anderer Schiffe sollen nach Angaben von Bundesaußenminister Guido Westerwelle innerhalb der nächsten Tage etwa 4000 Ägypter über das Mittelmeer in ihre Heimat zurückgebracht werden. "Das ist für uns ein Gebot der Menschlichkeit", sagte Westerwelle bei einem Treffen mit europäischen Kollegen im slowakischen Bratislava.

Das Auswärtige Amt hat bisher für 2,8 Millionen Euro Hilfe zur Verbesserung der humanitären Lage in Libyen und der Grenzregion zu Tunesien bereitgestellt. Die Europäische Union verdreifachte die Soforthilfe für auf 30 Millionen Euro.

Die US-Regierung will Obama zufolge neben dem Einsatz von Militärmaschinen für ägyptische Libyen-Flüchtlinge auch zusätzlich Zivilmaschinen chartern, um andere aus Libyen geflohene Ausländer in ihre Heimatländer zurückzubringen. Darüber hinaus sollen US-Teams an die libysche Grenze entsandt werden, um die UN und andere internationale Organisationen bei humanitären Aktionen innerhalb des Landes zu unterstützen.

Gegen Gaddafi (M) und seine Söhne Hannibal (l) und Saif wird nun in Den Haag ermittelt.

Gegen Gaddafi (M) und seine Söhne Hannibal (l) und Saif wird nun in Den Haag ermittelt.

(Foto: dpa)

Der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag nahm am Donnerstag Ermittlungen gegen das Gaddafi-Regime auf. Auch die Söhne des libyschen Staatschefs sind dabei im Visier der Ermittler. Gaddafi und sein Umfeld trügen mutmaßlich "die größte Verantwortung für die schwersten Verbrechen", die seit dem 15. Februar gegen friedliche Demonstranten begangen wurden, teilte Chefankläger Luis Moreno-Ocampo in Den Haag mit.

Finanzmärkte beunruhigt

Spuren haben die Kämpfe auch auf den Finanzmärkten hinterlassen. Vor allem die Öl- und Goldpreise zogen nochmals an. Der anhaltende Machtkampf könnte den Ölpreis nach Einschätzung von Analysten zumindest kurzfristig weiter nach oben treiben. Größte Sorge der Anleger ist ein Übergreifen der Unruhen auf den weltgrößten Ölexporteur Saudi-Arabien.

Quelle: ntv.de, rts/dpa/AFP

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