Kölscher Klüngel Man kennt sich, man hilft sich
08.03.2002, 15:18 UhrAls in Bayern die Skandale um den damaligen Ministerpräsidenten Max Streibl (CSU) bekannt wurden, prägten die Medien den Begriff "Amigo-Affäre". Im Spendenskandal der Kölner SPD müssen die Journalisten keine Wortneuschöpfungen bemühen. Für das System aus Vetternwirtschaft, Gefälligkeiten und Korruption hat sich am Rhein schon seit langem ein eigener Begriff fest etabliert: Hier sprechen die Menschen von "Klüngel" und meinen damit, dass eine Hand die andere wäscht.
Mittlerweile ist der "Kölsche Klüngel" fast sprichwörtlich und bundesweit in aller Munde. Zu brisant ist die Spendenaffäre der Kölner SPD, die sich zu einer der ganz großen Skandale in der Geschichte der Bundesrepublik auswachsen könnte. Vergleiche zu den "Amigos" von der Isar brauchen die "Fründe" vom Rhein wohl nicht zu scheuen. 
Ein Skandal mit vielen Gesichtern
Schon heute, wenige Tage, nachdem erstmals Licht ins Dunkel des Klüngels gekommen ist, stehen bedenklich viele Namen im Raum. Skandale haben meist viele Gesichter, doch zwei stehen im Zentrum der "Klüngel-Affäre": das von Norbert Rüther und das seines Schatzmeisters Manfred Biciste. Rüther, früherer Fraktionschef der Kölner SPD, nahm eine Spende des Unternehmers Hellmut Trienekens entgegen. 511.000 DM sollen es gewesen sein, die in die Parteikasse geschleust wurden, ohne im Rechenschaftsbericht aufzutauchen. In Einzelbeträgen wurde das Geld von 42 Parteifreunden gegen Spendenquittung eingezahlt. Wer die hilfsbereiten Geister waren, möchte SPD-Landeschef Harald Schartau jetzt schnellstmöglich ermitteln.
Inzwischen ist Rüther, von Beruf Psychiater, zurückgetreten. Außerdem hat der 51-Jährige sein Parteibuch abgegeben. Wohltäter Trienekens dagegen ist dick im Geschäft. Der Entsorgungsunternehmer, der den elterlichen Strohgroßhandel zu einem Konzern mit 4.700 Mitarbeitern und 900 Mio. Euro Jahresumsatz ausbaute, erhielt in den 90er Jahren den Zuschlag für eine Müllanlage im Kölner Stadtteil Niehl. Konkurrenten hatten gegen den gewitzten Firmenchef aus Viersen nie eine reelle Chance.
Fingierte Rechnungen und Konten in der Schweiz
Wie die Kölner Staatsanwaltschaft inzwischen ermittelte, sind im Zusammenhang mit dem Bau der Verbrennungsanlage mindestens 29 Mio. DM an Schmiergeldern geflossen. Der unter Bestechungsverdacht stehende Ex-Manager des Anlagenbauers Steinmüller soll das Geld während der Errichtung der Müllverbrennungsanlage veruntreut haben. Vier Millionen Euro seien, so berichtet der "Kölner Stadt-Anzeiger", mit Hilfe fingierter Rechnungen an den ehemaligen Geschäftsführer der stadtnahen Betreibergesellschaft der Müllanlage, Ulrich Eisermann (SPD), weitergereicht worden.
Auch Trienekens soll auf ein Schweizer Konto Schwarzgeld überwiesen haben. Die Staatsanwaltschaft prüft nun, ob dieses Geld im Zusammenhang mit dem Bau der Verbrennungsanlage an Entscheidungsträger in der Kölner Politik zurückgeflossen ist. Inzwischen räumte der 75-jährige bekennende Christdemokrat Trienekens eine Privatspende an die SPD ein. Das Geld stamme aus versteuertem Privatvermögen, habe aber bei weitem nicht die Summe von 511.000 Mark erreicht, die von der SPD genannt worden sei. 
Täglich müssen die Genossen vom Rhein mit neuen Hiobsbotschaften leben. Geahnt haben es manche von ihnen schon länger, jetzt haben sie Gewissheit, dass es bei der Kölner SPD-Fraktion eine "schwarze Kasse " gab. Zwischen 200.000 und 250.000 Euro sollen sich darin befinden. Das Konto sei zunächst vom ehemaligen Oberstadtdirektor Klaus Heugel, später dann von Rüther geführt worden. Unklar ist noch, woher das Geld stammt. 
Oppositionsbank wird zu Folterbank
Im stürmischen Meer aus Korruption und Vorteilsnahme bemüht sich Jochen Ott darum, die Wogen zu glätten. Ott ist seit einem Jahr Vorsitzender des SPD-Unterbezirks Köln und erst 27 Jahre alt. Jugend sei nicht alles, er müsse in Zukunft auch auf erfahrene Politiker hören. Es gehe schließlich um die Chance, in rheinischen Rathäusern irgendwann mal wieder aus der harten Oppositionsbank herauszukommen, hat ihm der damalige SPD-Landesvorsitzende Franz Müntefering vor knapp einem Jahr mahnend mit auf den Weg gegeben. Heute gleicht die Oppositions- einer Folterbank, von der Macht am Rhein scheinen die Genossen so weit entfernt wie schon lange nicht mehr, und dem Rat erfahrener Politiker mag Ott nur ungern trauen - sie könnten ja dem tiefsten Klüngel entstammen.
Köln: Jahrzehntelang in SPD-Hand
Ott bekommt schon in jungen Jahren die ganze Härte der Politik zu spüren. 83 Prozent der Stimmen erhielt der Lehrer bei einer Wahl ohne Gegenkandidaten, was einer kleinen Revolution glich: ein 26-Jähriger als Vorsitzender des traditionsreichen Unterbezirks Köln.
Zuvor war der Kölner Klüngel schon einmal ruchbar geworden. Kurz vor den Kommunalwahlen 1999 musste Oberbürgermeisterkandidat Heugel das Handtuch werfen, nachdem bekannt geworden war, dass er verbotene Insidergeschäfte an der Börse getätigt hatte. Wegen eines Gewinns von 15.000 DM riskierte Heugel den sicher geglaubten Sieg und löste ein Debakel für die erfolgsverwöhnte Kölner SPD aus. 
Die Sozialdemokraten verloren die Wahl. Dabei war die Stadt jahrzehntelang fest in roter Hand: vom ehrenamtlichen Oberbürgermeister und den hauptamtlichen Oberstadtdirektor über den Vorstandsvorsitzenden der Sparkasse und den Chef der Stadtwerke bis hin zum Regierungspräsidenten Franz-Josef Antwerpes, der 22 Jahre in seinem Amt war und scherzhaft "der Kurfürst" genannt wurde. Alle hatten sie das gleiche Parteibuch. 
Gegenseitige Gefälligkeiten
Die Schwelle zur Versuchung, Vorteile für sich oder die Partei herauszuschlagen, schien niedrig zu sein. Sie ist es dort fast immer, wo eine Partei zu lange an der Macht ist. An Beispielen dafür mangelt es nicht. Ähnlich wie ein Tauschring lebt der Klüngel von gegenseitigen Gefälligkeiten, die zeitlich und thematisch meist weit auseinander liegen und daher schwer aufzudecken sind. 
In Köln sorgte der Spendenskandal der Sozialdemokraten inzwischen auch bei der CDU für Aufregung. Der Generalsekretär der nordrhein-westfälischen CDU, Herbert Reul, sah sich dazu veranlasst feszuhalten, dass eine Beteiligung der CDU an der Affäre nicht auszuschließen sei. Längst hat sich das Kölner System auch in die Reihen anderer Parteien ausgedehnt. Müll-Unternehmer Trienekens war Mandant des Anwalts Rolf Bietmann, jenes Mannes, der heute Vorsitzender der CDU-Fraktion im Kölner Rathaus ist. Die FDP der Domstadt wird von dem Unternehmer Ralph Sterck geführt, der mit seinem Kurierdienst "Kölner Flitzer" auch in Diensten Trienekens' steht.
System der Mauscheleien
Wie Mehltau hat sich ein Geflecht aus Bestechungen, Vorteilnahme und Korruption über die Stadt gelegt. Die "Kölsche Lösung" frei nach dem Motto "Dat mache mer so" ist längst zur Gewohnheit geworden. Rund um die Domplatte, wo zur Karnevalszeit gelacht und gesungen wird, haben Politiker und Unternehmer einen Weg gefunden, sich gegenseitig Vorteile zu sichern. 
Dass mit diesem uralten System aus vorherigen Absprachen und Mauscheleien aufgeräumt wird, glauben in Köln wohl die wenigsten. Auf dem außerordentlichen Parteitag des SPD-Unterbezirks mühte sich der junge Vorsitzende Ott redlich, den Parteimitgliedern Hoffnung auf einen Neuanfang zu machen. Die Ratlosigkeit angesichts dieser Herkulesarbeit stand den meisten ins Gesicht geschrieben. 
Vielleicht aber kann im katholischen Köln die Kirche mit guten Worten Abhilfe schaffen. Der Generalvikar des Kölner Erzbistums und Autor des Buches "Kölscher Klüngel", Norbert Feldhoff, hat davor gewarnt, die Klüngelei ausschließlich als negativ zu beurteilen. In der kirchlichen Tradition seien etwa Fürbitten an Heilige nichts anderes als ein Vertrauen darauf, dass diese ein gutes Wort beim Allmächtigen einlegten. Ein schöner Vergleich, der nur deswegen hinkt, weil Männer wie Rüther und Trienekens nur schwerlich für Heiligen-Metaphern taugen.
Quelle: ntv.de