Politik

Wikileaks-Informant verurteilt Manning muss 35 Jahre hinter Gitter

Bradley Manning auf dem Weg zu einer Anhörung - neben dem schmächtigen Whistleblower wirkt seine muskelbepackte Eskorte fast schon absurd.

Bradley Manning auf dem Weg zu einer Anhörung - neben dem schmächtigen Whistleblower wirkt seine muskelbepackte Eskorte fast schon absurd.

(Foto: AP)

Jetzt hat es Bradley Manning schwarz auf weiß: Ein halbes Menschenleben lang soll der Whistleblower ins Gefängnis, weil er der Öffentlichkeit zeigte, was die Weltpolizei im Irak und anderswo auf dem Globus wirklich treibt. Und wieder einmal stellt sich die Frage: Wer ist dieser Mann, der die USA vor aller Welt vorführte?

Der Wikileaks-Informant Bradley Manning ist zu 35 Jahren Haft verurteilt worden. Das gab eine US-Militärrichterin in Fort Meade bei Washington bekannt. Zudem wurde er unehrenhaft aus der Armee entlassen.

Der Soldat hatte Hunderttausende vertrauliche Dokumente an die Enthüllungsplattform Wikileaks weitergegeben und war Ende Juli unter anderem wegen Geheimnisverrats, Spionage, Computerbetrugs und Diebstahls für schuldig erklärt worden. In dem am schwersten wiegenden Punkt "Unterstützung des Feindes" (aiding the enemy) wurde er dagegen freigesprochen.

Die Ankläger hatten mindestens 60 Jahre gefordert. Insgesamt dreieinhalb Jahre werden von der Strafe abgezogen, weil Manning bereits seit Mai 2010 in Untersuchungshaft sitzt und dabei nach Ansicht der Richterin Denise Lind teilweise besonders schwere Bedingungen erleiden musste. Eine Entlassung Mannings aus dem Gefängnis vor Ablauf seiner Strafe ist rechtlich möglich.

Soviel also zu den Fakten - doch wer ist dieser Mann, vor dem sich die Weltmacht so sehr fürchtet, dass sie ihn für ein halbes Menschenleben hinter Gittern steckt?

"Mehr Kirchenbänke als Menschen"

Die Geschichte beginnt in Crescent, Oklahoma: Wer Mannings Motivation verstehen will, muss hier mit der Suche beginnen. Schon früh eckte der Junge in der Kleinstadt an. Beim Fahneneid verweigerte er, die Teile zu rezitieren, die sich auf Gott bezogen, in einer späteren E-Mail bezeichnete er Crescent als Ort, in dem es "mehr Kirchenbänke als Menschen gibt".

Bis zuletzt hofften Mannings Anhänger auf einen Freispruch.

Bis zuletzt hofften Mannings Anhänger auf einen Freispruch.

(Foto: dpa)

Klar, dass das in einer Gegend, die nicht umsonst als "Bibelgürtel", als "Bible Belt" bezeichnet wird, nicht gut ankam. Manning, der Computerspiele lieber hac kte anstatt sie zu spielen, war von Beginn an ein Pariah, der nicht in die Konformität des amerikanischen Traumes passen wollte. Auch die Scheidung seiner Eltern und der Umzug in die walisische Heimat seiner Mutter änderten nichts an Mannings Außenseiterrolle.

Egal, ob seine Computeraffinität, der amerikanische Akzent oder seine Liebe zu Dr. Pepper: Manning litt in Großbritannien massiv unter dem Mobbing der walisischen Mitschüler. Als die dann auch noch vermuteten, er könnte schwul sein, wurde sein Leben vollends zur Hölle. Sein ehemaliger Mitschüler Rowan John, der sich damals bereits geoutet hatte, erinnert sich: "So offensichtlich anders zu sein wie Bradley und ich – das war mitten im Nirgendwo in etwa so, als hätten wir eine Zeitreise ins finstere Mittelalter gewagt."

Nachdem Manning sich mit Müh und Not durch die schwierigen High-School-Jahre gekämpft hatte, schickte ihn die Mutter zurück zu seinem Vater und seiner älteren Schwester nach Crescent. Besser wurde sein Leben dort nicht, ganz im Gegenteil: Nach einer kurzen Episode bei einer kleinen Softwarefirma, bei der Manning sowohl wegen seiner brillanten PC-Fertigkeiten als auch wegen seiner aufbrausenden Art auffiel und schlussendlich gefeuert wurde, fand der Vater heraus, dass sein Sohn schwul war – und schmiss ihn aus dem Haus.

"Wisch den Boden!"

Manning war am absoluten Tiefpunkt seines bisherigen Lebens angekommen: Er lebte aus seinem Wagen heraus und versuchte, sich mit Minijobs über Wasser zu halten. 2007 beschloss der junge Mann, seinem Leben eine Richtung zu geben und bei der Armee anzuheuern. Seine Fähigkeiten am Computer waren dabei zwar gern gesehen, abseits des Bildschirms aber wurde Manning mehr denn je wie ein Außenseiter behandelt. "Ich wurde nur dann nicht von meinen Vorgesetzten ignoriert, wenn ich etwas Wichtiges am PC zu erledigen hatte. Danach hieß es dann wieder: 'Bring mir einen Kaffee und wisch den Boden!'", schreibt Manning in einer E-Mail an einen Vertrauten.

Kurz vor seiner Versetzung in den Irak lernte er Tyler Watkins kennen, seines Zeichens Sänger und Drag Queen. Manning verliebte sich Hals über Kopf in den extrovertierten Musiker und fand in dessen Dunstkreis genau das Gegenteil des von ihm so gehassten Militärlebens: Bei Watkins und seinen Freunden durfte er ganz Nerd sein, sie akzeptierten sowohl seine liberalen politischen Einstellungen als auch seine Homosexualität – und viele von ihnen waren Hacker.

Hier reifte Mannings Plan, seine einmalige Stellung im US-Militär dafür zu nutzen, vertrauliche und geheime Informationen einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Nach und nach sammelte er die sensiblen Daten aus dem Militärnetzwerk, bis er im Januar 2010 schließlich den Volltreffer landete: Das schockierende Video, in dem die Besatzung eines US-Kampfhubschraubers mindestens zwölf Zivilisten erschießt, darunter auch zwei Reuters-Fotografen. Zusammen mit einer wahren Flut von geheimen Dokumenten landete das Material bei Wikileaks und schlug nach der Veröffentlichung in ausgewählten Medien weltweit ein wie eine Bombe.

Auf Mannings Spur kam das US-Militär, weil die Eitelkeit den jungen Mann packte. In einem Chat mit dem berühmt-berüchtigten Hacker Adrian Lamo gab Manning mit seiner Tat an, woraufhin dieser den Obergefreiten bei der Staatsmacht verpfiff. Was dann folgte, ließ Mannings bisheriges Leben wie einen Ausflug auf den Ponyhof wirken: Zunächst saß er in Isolationshaft in einem Militärgefängnis in Kuwait, dann in einer Einzelzelle auf dem Stützpunkt Quantico im US-Bundesstaat Virginia – wegen angeblicher Selbstmordgefahr wurde ihm sämtliche Kleidung abgenommen, alle fünf Minuten musste er die Frage "Are you ok?" positiv beantworten. Nach Protesten von Menschenrechtsaktivisten gegen die Haftbedingungen verlegte ihn die Armee im Frühjahr 2011 schließlich in das Militärgefängnis Fort Leavenworth in Kansas.

"Es würde mich nicht stören, wenn sie mich hinrichten oder für den Rest meines Lebens hinter Gittern bringen - solange mein Gesicht auf den Titelseiten der Weltpresse prangt", schrieb Manning einmal in einer Mail an einen Vertrauten. Das zumindest hat der ewige Außenseiter aus dem verschlafenen Crescent schon lange erreicht.

Quelle: ntv.de, jve/dpa

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